piwik no script img

Bundeshaushalt 2024Das Loch stopfen

Schröpft der Staat die Bürger:innen? Diesen Vorwurf erhebt die Union nach der Einigung zum Haushalt 2024. Doch es gibt auch deutliche Entlastungen.

Ob Energie teurer wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen Foto: Henrik Weis/plainpicture

Die kleinen Leute zahlen drauf. Diese manchmal zutreffende, oft aber falsche Alltagsweisheit spielt in der aktuellen Debatte wieder eine Rolle. Nach der Einigung von SPD, Grünen und FDP auf den Bundeshaushalt 2024 behauptet unter anderem die Union, die Bür­ge­r:in­nen würden von der Regierung geschröpft. Was ist dran an der Kritik?

Mathias Middelberg, Abgeordneter der CDU aus Osnabrück und Vizechef ihrer Bundestagsfraktion, ist vorneweg mit dem Vorwurf: „Vor allem haben die sich auf Abgabensteigerungen zulasten von Bürgern und Wirtschaft geeinigt“, bemängelte er die Beschlüsse der Ampel-Regierung.

Die hatte am Mittwoch erläutert, wie sie das Loch von ungefähr 30 Milliarden Euro im Etat des kommenden Jahres stopfen will – nämlich mit einem Potpourri aus Einsparungen, Ausgabenkürzungen und teilweise höheren Abgaben zulasten von Privathaushalten und Unternehmen. Das Ergebnis der langwierigen Verhandlungen war eine Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November, das der Regierung einen Verstoß gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz attestiert hatte.

Einer der Beschlüsse der Ampel führt tatsächlich zu höheren Stromkosten für Privathaushalte und vielen Firmen. Dabei geht es um die sogenannten Netzentgelte – das sind Ausgaben für den Ausbau der überregionalen Elektrizitätsleitungen, die die Ver­brau­che­r:in­nen im Rahmen ihrer Stromrechnungen mitbezahlen.

Bis zu 17 Prozent Preissteigerung

Die Kosten von 5,5 Milliarden Euro wollte die Regierung eigentlich aus dem Haushalt übernehmen, wofür sie jetzt aber keine Mittel mehr zur Verfügung stellen will. Ergebnis laut Berechnungen der Vergleichsportale Verivox und Check24: Durchschnittshaushalte müssten um acht Euro monatlich oder 100 Euro pro Jahr mehr für Strom entrichten. Das kann 10 Prozent der Rechnung ausmachen. Der Bundesverband der Industrie- und Handelskammern kommt in einzelnen Fällen auf bis zu „17 Prozent“ Steigerung der Strompreise zulasten von Unternehmen.

Ein weiterer Punkt: Die Bundesregierung will den CO2-Preis von jetzt 30 auf 45 Euro pro Tonne Gasausstoß erhöhen. Das ist eine Abgabe auf den Verbrauch von fossiler Energie – Benzin, Diesel, Heizöl, Erdgas, Kohle. Damit steigen nicht nur die Preise an den Tankstellen, sondern auch die Rechnungen der Firmen und Privathaushalte für Heizwärme.

Den Effekt bei der Gasrechnung eines durchschnittlichen Privathaushalts beziffert Check24 mit etwa 5 Euro monatlich und 60 Euro jährlich. Das würde etwa 3 Prozent der Rechnung ausmachen. Wobei weitere erhöhende Faktoren wie das Auslaufen der Energiepreisbremsen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine noch hinzukommen. Allerdings räumt das Verbraucherportal ein, dass der staatliche Preisauftrieb zumindest teilweise kompensiert werden könnte, indem die Gaspreise am Markt sinken.

Dagegen stehen jedoch mehrere Entlastungen. So will die Bundesregierung auch 2024 die Umlage für Ökostrom weiter aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Alle Privathaushalte und die meisten Betriebe profitieren. Einst machte die EEG-Umlage 10 bis 20 Prozent der Stromrechnungen aus. Gleichzeitig will die Regierung die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe um 3 Milliarden Euro verringern.

Ein Geben und Nehmen

Entlastend für Privathaushalte und viele Un­ter­neh­me­r:in­nen wirkt sich auch die bereits 2022 beschlossene Senkung der Einkommensteuer aus. Das Finanzministerium beziffert die Begünstigung auf zusätzliche 15 Milliarden Euro pro Jahr ab 2024, was je nach Haushalt ein-, zwei- oder dreistellige Ersparnisse monatlich bedeutet. Konkret steigen die Grund- und Kinderfreibeträge. Außerdem greifen die jeweiligen Steuersätze erst bei höheren Verdiensten.

Die komplette Wirkung aus Belastung (Energiekosten) und Entlastung (Steuer) für einzelne Haushalte ist wegen unterschiedlicher Fallkonstellationen und Einflussfaktoren schwierig zu berechnen. Im Ergebnis lässt sich sagen, dass die Regierung nicht einzig die Abgabenlast erhöht. Gänzlich diesem Vorwurf entgehen könnte sie, wenn sie die Löcher nicht mit Einsparungen stopfen, sondern die Schuldenbremse grundsätzlich lockern würde, um öffentliche Investitionen zu ermöglichen.

Nicht nur die CDU beklagt eine soziale Schieflage der Ampel-Politik. Einer neuen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge sehen 55 Prozent der Bun­des­bür­ge­r:in­nen durch die Energie- und die Verkehrswende allgemein den sozialen Zusammenhalt in Gefahr. Einen Ausgleich könnte das sogenannte Klimageld ermöglichen, das die Ampel im Koalitionsvertrag vorgesehen hatte. Dies sollten alle Bür­ge­r:in­nen als Ausgleich für steigende CO2-Preise erhalten. Die Idee: Wer wenig CO2 verursacht, hat am Ende mehr Klimageld. Doch das bleibt nun auf der Strecke: Dafür ist absehbar kein Geld da.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Danke für diesen sehr informativen Artikel!



    Ich begrüße es sehr, wenn die Presse Informationen verbreitet, statt nur Infobeilagen an großen Meinungssalat!

  • Der Artikel ist doch viel zu kurz gedacht: was ist noch gleich das grundlegende Wesen des Handels? Der Transport natürlich!

    Durch die Erhöhung der CO2-Steuer plus der LKW-Maut ist bereits jetzt absehbar, dass viele Lebensmittel in 2024 deutlich teurer werden müssen, da die Speditionen diese Kosten komplett an den Kunden durchreichen.

    Und das sind letzten Endes wir alle.

    • @Herbert Eisenbeiß:

      ...und wenn durch die Teuerung Warenlieferungen auf die Schiene verlegt werden, profitieren wir Alle.



      Dass der Klimawandel auch erhebliche wirtschaftliche Einbußen mit sich bringt, lassen seit Jahren sogar konservative Industrieverbände und Versicherer verlauten.

      • @Philippo1000:

        Warenlieferungen auf die Schiene, das glauben Sie doch selber nicht! Die ist für viele Dinge einfach viel zu unflexibel.

  • "Einer neuen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge sehen 55 Prozent der Bun­des­bür­ge­r:in­nen durch die Energie- und die Verkehrswende allgemein den sozialen Zusammenhalt in Gefahr."



    Das kommt mir eigenartig vor, sehe ich mich doch ausser Stande eine Verkehrswende in diesem Land auszumachen. Mit der Energiewende sieht es nicht viel besser aus.



    Ich sehe den sozialen Zusammenhalt eher duch das Ausbleiben beider Punkte gefährdet.

    Ich wäre übrigens wirklich neugierig wie die Union das Haushaltsloch stopfen würde wenn sie weder Bürger noch Wirtschaft belasten will.

    • @science wins:

      … natürlich mit Krediten inkl. Notlagendefinition zur Schuldenbremse. Aber so blöd, das jetzt zu verkünden, sind sie natürlich nicht.

    • @science wins:

      Keine Wende? Energie war immer zuverlässig und immer da. Klar kostete sie etwas, aber der Preis war wie Steuer und Sozialversicherung, lästig aber tragbar. Heute warnt die dafür verantwortliche Regierung selbst vor Risiken und möglichen Ausfällen und der Preis ist so, daß viele ernsthaft zu geizen gezwungen sind. Verkehr ähnlich. Klar war das teuer, aber wenn ich entfernt wohnende Verwandte besuchen wollte, dann habe ich das einfach gemacht. Jetzt überlege ich, ob ich es mitr noch leisten kann.



      Und Haushaltsloch? Gerade gestern zeigte in dieser Zeitung ein Diagramm für Berlin eine Verdoppelung der Einnahmen seit 2009. Für den Bundeshaushalt sähe ich das auch gern. So groß wird die Steigerung dort nicht sein, aber weit über der Geldentwertungsrate auch sie. Das Problem ist die ausufernde Verschwendung für staatsfremde Zwecke.