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Bundesaufnahmeprogramm AfghanistanDeutschland nimmt wieder auf

155 ehemalige Ortskräfte und Menschen aus der afghanischen Zivilgesellschaft dürfen nach Deutschland einreisen. Aus der CDU kommt Kritik.

Unter den aus Afghanistan Geretteten waren auch Kinder. Das Bild zeigt eine lesende 15-Jährige in Afghanistan Foto: dpa

Berlin afp/dpa | 155 Menschen aus Afghanistan konnten am Dienstag über eine Aufnahmezusage nach Deutschland einreisen. Ein Charterflugzeug aus Pakistan brachte die in ihrem Heimatland gefährdeten Afghaninnen und Afghanen nach Berlin, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Mehr als die Hälfte von ihnen komme über das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan in die Bundesrepublik, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Die übrigen Passagiere seien etwa über das Ortskräfteverfahren nach Deutschland eingereist.

„Alle an Bord des Flugzeugs haben das Aufnahmeverfahren inklusive der Sicherheitsüberprüfung durch die deutschen Sicherheitsbehörden erfolgreich durchlaufen“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. 80 der Aufgenommenen seien Frauen und Mädchen, darunter eine frühere afghanische Polizistin. 60 der Menschen an Bord seien minderjährig, darunter 40 Kinder unter zehn Jahren.

Im Rahmen der Aufnahmeverfahren befinden sich derzeit noch weitere besonders gefährdete Personen aus Afghanistan in Pakistan, die bereits über eine rechtlich verbindliche Aufnahmezusage verfügen, hieß es von Seiten des Auswärtigen Amts weiter. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich die Flugdaten für geplante Charterflüge aus unterschiedlichen Gründen stets kurzfristig ändern könnten.

Aus der Union kam Kritik an der Aufnahme. Unionsparlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) kritisierte in der Bild, Deutschland müsse eher Afghanen in ihre Heimat abschieben, anstatt nach Deutschland zu holen. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sagte den Zeitungen Bild und Welt: „Wir Länder haben ein ums andere Mal den sofortigen Stopp der Aufnahmeprogramme gefordert.“

Keine Flüge in den Wochen vor den Wahlen

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese verteidigte die Wiederaufnahme der Charterflüge für Afghanen nach Deutschland. Im Sender Welt TV erinnerte er daran, dass viele der nun eingereisten Afghanen für Deutschland gearbeitet hätten. „Die haben für unsere Truppe in Afghanistan gearbeitet“, sagte er. „Wir haben eine Verantwortung für diejenigen, die für die Bundeswehr vor Ort gearbeitet haben, und diese Ortskräfte im Stich zu lassen, das halte ich für den falschen Weg.“

Der frühere Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour nannte die Kritik an den Aufnahmen „unanständig“. Er warf der Union vor, gefährdete Ortskräfte der Bundeswehr nicht schon vor der Machtübernahme der Taliban in Sicherheit gebracht zu haben. „Wir reden über Leute, die der Bundeswehr geholfen haben, den Deutschen in Afghanistan unter widrigsten Umständen geholfen haben als Lokale und deshalb gefährdet sind“, sagte Nouripour dem TV-Sender Welt.

In den Wochen vor der Bundestagswahl hatte das Bundesinnenministerium (BMI) zwei Charterflüge kurzfristig abgesagt – offiziell aufgrund von logistischen Problemen. Dabei war der Verdacht laut geworden, dies könne mit der bevorstehenden Wahl zu tun gehabt haben.

Der Sprecher des Innenministeriums wies am Dienstag darauf hin, dass es für solche Verschiebungen viele Gründe geben könne – etwa Kapazitäten am Flughafen in Islamabad ebenso wie den Landeflughäfen in Deutschland, Kapazitäten zur Zwischenunterbringung vor der Verteilung auf die Bundesländer oder auch die Bereitstellung von Charterflugzeugen. Ähnlich äußerte sich auch das Auswärtige Amt, auf dessen Initiative laut Innenministerium die aktuelle Terminverschiebung erfolgte.

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15 Kommentare

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  • Wieso jetzt und nicht VOR der Bundestagswahl? Fürchtete Rot-Grün, dass so ein Flug Wählerstimmen gekostet hätte? Und was wurde eigentlich aus der großen Ankündigung, noch vor der Wahl einen Abschiebeflug nach Afghanistan zu organisieren? Wird hier die Öffentlichkeit getäuscht und manipuliert? Ich denke schon..!

  • Schon komisch, wenn vor der Wahl Nichts passiert ist und direkt nach der Wahl solche Flüge erfolgen. Man kann sich da schon Gedanken machen, ohne gleich rechtsextrem zu sein.

  • Mehr als die Hälfte waren nicht Ortskräfte, oder? Warum wir besonders gefährdete Leute nur aus Afghanistan und nicht auch aus anderen Ländern per Charterflug aufnehemen verstehe ich nicht!

    Ich denke auch, in Zukunft sollten wir besonders gefährdete Menschen aus den USA aufnnehmen.

  • Ganz schön beschämende und unanständige Äußerungen gegenüber den ehemaligen Ortskräften. Das von Parteivertretern, die angeblich doch Tugenden wie Nächstenliebe, Ehre oder Haltung (beanspruchte Guttenberg ironiefrei gleich mal als Grunddisposition "des Adels" ) wertschätzen . Ich frabe mich immer, wie man sich als Betroffener fühlt. Erst wird man wird bei der verpatzten Evakuierung zurückgelassen, dann mit Kleingeistigkeit und Ablehnung behandelt, während zu der Zeit, als man selber Risiken auf sich genommen hat, "jeder Depp" in die Bundesrepublik einreisen konnte, der sich eben nicht engagieren wollte oder insgeheim sogar auf der Gegenseite stand. Und wenn man dann endlich hier ankommt, ist die Situation aus genau den Gründen inzwischen so verkorkst, dass man vermutlich wenig Würdigung für das Engagement findet, sondern misstrauisch beäugt wird. Ein bisschen mehr leave no one behind hätte gut getan.

  • Das jetzt mal wieder (vielleicht absichtlich nach dem Wahltermin) Menschen aus Afghanistan kommen können, darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie erbärmlich sich Deutschland hier seit 2021 verhalten hat. Erst wurde Hilfe vor dem Fall Kabuls in Bürokratie erstickt, später dann immer neue Sicherheitsüberprüfungen. In der Zwischenzeit liefen für viele Betroffene Visa in Pakistan ab (wohl auch jetzt noch), die dann von dort wieder nach Afghanistan zurückgeschoben wurden. Das alles lief ziemlich stillschweigend - von den vermeintlichen Verteidiger:innen der Humanität bei SPD und B90/Grüne war wenig zu hören.

  • 10tausende aufnehmen?? Das verstehe ich nicht. Die Ortskräfte haben unseren Truppen ja nicht für lau geholfen. Jeder der einem "Brunnenbohrer" mal die Tür aufgehalten hat, wird fürstlich belohnt. Die BW hat ja im Übrigen am Hindukusch eine eher traurige Vorstellung abgeliefert.

    • @Fidel Ramos:

      Was verstehen Sie unter "fürstlicher Entlohnung", woher kommt diese Einschätzung? Und was kann man mit dem Geld anfangen, wenn die Ermordung durch Taliban & Co. droht?

  • "...Unionsparlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) kritisierte..."

    Man man man, was ist bloß mit den Leuten los? In meinem normalen Sprachgebrauch benutze ich solche Begriffe zwar eher nicht, aber was ist eigentlich mit diesen ganzen Ehre und Ehrgefühl Dingens bei den Konservativen geworden? Früher war denen sowas doch mal wichtig.



    Können die sich eigentlich noch im Spiegel angucken, wenn sie fordern Menschen mit denen wir mal an einen Strang gezogen haben, die in gewisser Weise sowieso schon zu uns gehören, einfach im Stich und sie da sitzen zu lassen?

    Ich bin ja auch für klare Regeln beim Asyl Thema, klare Regeln für alle. Aber es sollte keine Rolle spielen wo jemand her kommt, und am besten nicht einmal weshalb der kam, sondern die Frage sollte lauten "können wir mit dem oder nicht". Denn wir brauchen Einwanderung...!



    Und mit den Ortskräften können wir, das wissen wir ja schon.

    Ich kann keine Logik darin erkennen, wie man da jetzt dagegen sein kann. Und ich verstehe auch nicht, wie mancher Amerikaner oder jetzt auch hierzulande die Merz Anhänger dieses ganze "in den Rücken fallen von Partnern", noch mit ihren sonst ja ach so wichtigen Ehrgefühl vereinbaren können.

  • Wieso steht nicht im Artikel, wieviele Ortskräfte tatsächlich an Bord waren? Andere Medien berichten von fünf Ortskräften.



    Immer häufiger werden in der taz nur lückenhafte Zahlen genannt.

  • "ehemalige Ortskräfte und Menschen aus der afghanischen Zivilgesellschaft dürfen nach Deutschland einreisen. Aus der CDU kommt Kritik. "



    Was gehen uns auch Ortskräfte an, denen wir entsprechende Zusagen gemacht haben? Das sind doch bloß Ausländer.

    sicherheitshalber: wer hier Sarkasmus findet, darf ihn behalten

  • Wer Zusagen macht, sollte sie einhalten, wenn er im Ausland bei Militäreinsätzen ernst genommen werden will.

  • Es wird deutlich, dass die rechte Polemik der cdU kein Zufall war.



    Wer Menschen , die besonders gefährdet sind und UNS unterstützt haben, nicht hilft, der sollte schleunigst das "C" und "D" im Namen ablegen. Eine solche Position ist der von Rechtsextremen nicht mehr zu unterscheiden.



    Mag sein, dass es noch einmal zu einer großen Koalition kommt. Ansonsten ist die cdU gerade auf dem schlechten Weg nach rechts.



    Wo sollten noch Hürden bestehen für eine Zusammenarbeit mit der "afd"?

  • Immerhin ein Anfang aber da muss jetzt Bewegung rein. Meine gelesen zu haben das noch tausende auf die Einreise nach Deutschland warten.

  • Wenn wir in einen nächsten militärischen Konflikt geraten, können wir nur Beten, das wenn wir auf die nächsten Ortskräfte angewiesen sind, jene vergessen wie wir in Afghanistan vor Ort unsere Ortskräfte behandelt haben. Bei so einem verhalten würde ich der Bundeswehr nicht helfen, der Bundeswehr helfen dabei das eigene Leben und das der eigenen Familie zu riskieren, und im Anschluss wird man wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, die ganzen Familien samt Ortskräfte müssen in Afghanistan um ihr Leben fürchten. Das ist die beste Werbung um beim nächsten Konflikt keine Hilfe mehr zu bekommen , ein sehr gutes Beispiel dafür, was auf den Spiel steht, und die Politiker weigern sich das zu verstehen.

    • @taz.manien:

      Beim nächsten militärischen Konflikt sind die Ortskräfte Litauer, Polen oder Rumänen. Da ist das Thema aber sowieso nach 30 Tagen erledigt. Länger hält die Bundeswehr nicht durch.