Bundesanstalt lässt Dorf verfallen: Und dann kommt der Abrissbagger
Ostenholz in der Lüneburger Heide gehört fast komplett dem Bund. Der kümmert sich nicht. Ortsansässige sprechen von Vertreibung.
Der Grund für den Niedergang ist der Bundeswehr-Truppenübungsplatz Bergen, mit über 28.000 Hektar einer der größten in Europa. Seine Grenze ist nur wenige Gehminuten entfernt und wenn es auf seinen Schießbahnen zur Sache geht, hört sich das an wie im Krieg.
In Privatbesitz ist in Ostenholz nur die Kirche. Alles andere gehört dem Bund und wird von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) verwaltet. Die verpachtet nur kurzzeitig – wenn überhaupt. Denkt sie, dass Abriss billiger ist als Erhalt, reißt sie ab.
Vergangene Woche traf es den Wünninghof, ein imposantes Vierständer-Hallenhaus in Fachwerk von 1833. Die Bundeswehr hatte ihn für sich selbst gewollt und dann leer stehen lassen, jahrzehntelang. Jetzt kam der Bagger.
Arne Hilbich empört das. Er ist Sprecher des „Freundeskreis Wünninghof“, entstanden aus einer Initiative, die aus dem Gelände des Truppenübungsplatzes und der angrenzenden Gemeinden am liebsten ein Unesco-Biosphärengebiet machen würde. Seit 2014 hat sie versucht, den Hof zu pachten, für ein Umweltinformationszentrum – ohne Erfolg. „Hier findet eine schleichende Vertreibung der Anwohner statt“, sagt Hilbich. Der Abriss sei eine „Schande“, ein „Trauerspiel“. Bundeswehr und Bima sieht er als „Heimatzerstörer“.
Am Vortag der Zerstörung kamen am Wünninghof rund 80 Menschen zu einer Protestkette zusammen. Und irgendjemand hatte offenbar auch einen Baggerschlüssel dabei. „Danach stand das Ding dann 100 Meter vom Hof weg“, lacht Hilbich. Aber eigentlich fühlt er sich wie alle, die Ostenholz nicht retten können: „Hier hat jeder resigniert.“
Und dann zählt er auf: Dass er nicht versteht, warum der Wünninghof nicht unter Denkmalschutz gestellt worden ist. Dass er nicht versteht, warum die Bima Miet- und Sanierungswillige abweist, obwohl doch überall Wohnraum fehlt. Die Bima sieht er als „Marionette der Bundeswehr, die die Bahn frei haben will für die Übung der nächsten desaströsen Kampfeinsätze“. Der Abriss entbehre jeder Vernunft.
Dabei hatte alles so gut ausgesehen. Heidekreis-Landrat Manfred Ostermann (parteilos) hatte sich, unterstützt durch die Grünen, dafür eingesetzt, den Hof kommunal zu pachten – ohne Erfolg. „Der Abriss macht traurig“, sagt Ostermann der taz. „Dabei ging es letztlich nur noch darum, das Geld statt in den Abriss ins Dach zu investieren, damit das Gebäude stehen bleiben kann.“ Auch Nachnutzungskonzepte örtlicher Initiativen habe es gegeben. Aber: „Dafür hat es im für die Mittelfreigabe zuständigen Kreisausschuss keine Mehrheit gegeben.“
Das war im Herbst 2019. Die Bima habe zugesichert, in andere Gebäude zu investieren, die teilweise ebenfalls ortsprägend seien, sagt Ostermann. „Ich hoffe und wünsche, dass diese Zusage realisiert wird.“
Die Bima habe „Verständnis für den Wunsch, den Wünninghof zu erhalten“, teilt ihr Sprecher Thorsten Grützner in der Zentrale in Bonn, mit. „Sie trägt aber auch die Verantwortung für die Verkehrssicherheit des Gebäudes. Der Wünninghof befindet sich in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Er ist baufällig und einsturzgefährdet.“
Man habe sich um den Erhalt bemüht. Aber: „Leider konnte auch mit wissenschaftlicher und baufachlicher Expertise keine Lösung gefunden werden, die den Erhalt und eine zukunftsfähige Nutzung ermöglicht hätte.“ Der Abriss sei „bedauerlicherweise unumgänglich“. Um das Dorf „zu erhalten und lebenswert zu gestalten“, habe die Bima ein „Zukunftskonzept“ aufgestellt, sagt Grützner. Worin das konkret besteht, sagt er nicht.
„Keine Ahnung, in welcher Schublade das vergraben liegt“, sagt Hilbich. „Von den versprochenen Investitionen in Millionenhöhe ist bei den Anwohnern jedenfalls nichts angekommen. Deren Heizungen sind teils noch aus den 1950ern.“
Der Abriss des Wünninghofs sei „keine Maßnahme der Bundeswehr“, sagt ein Sprecher des Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr auf taz-Anfrage. Die Gründe kenne man nicht.
An der Bausubstanz kann es nicht gelegen haben, sagt Hilbich. „Die war grundsolide.“ Vor ein paar Tagen bekam er übrigens Post von der Bima. Die erteilt ihm und seiner Initiative ein „ausdrückliches Betretungsverbot“ aller Bima-Flächen der Region, was faktisch bedeutet, dass ganze Ortschaften tabu sind. Hilbich: „Eine so weitreichende Einschränkung der Bewegungsfreiheit und auch des Rechtes auf Versammlungsfreiheit hat es lange nicht gegeben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind