Bundesamt für Naturschutz: Staat bezuschusst Umweltzerstörung

Jedes Jahr subventionieren Bund und Länder die Zerstörung der Natur mit 22 Milliarden Euro. Das zeigt ein Gutachten des Bundesamts.

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Pendlerpauschale? Unökologisch Foto: imago-images/Photothek/Florian Gaertner

BERLIN taz | Es war die erste Erfolgsmeldung der neuen SPD-Umweltministerin: Am 20. Juni 2018 verkündete Svenja Schulze, die Regierung habe auf ihren Vorschlag hin die Eckpunkte für ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ beschlossen. „Das Insektensterben aufzuhalten ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit“, verkündete die Ministerin. Mit dem Programm sollen die Lebensräume der Tiere gesichert und das Spritzen von Ackergiften und Dünger verringert werden. „Wir sind uns in der Regierung einig, in welchen Bereichen wir handeln werden, um das Insektensterben zu stoppen“, sagte Schulze. Dafür soll es jedes Jahr 5 Millionen Euro geben.

5 Millionen. Dagegen stehen 22 Milliarden Euro an Steuergeld, mit denen in Deutschland jedes Jahr die Zerstörung der Natur bezuschusst wird. Diese Summe investieren Bund und Länder jedes Jahr in Aktivitäten, die Lebensräume zerschneiden und betonieren, die Gifte verteilen oder das Grundwasser belasten. Das geht aus einem neuen Gutachten des Bundesamts für Naturschutz (BfN) hervor, das am heutigen Mittwoch vorgestellt wird und der taz vorab vorlag. Fazit: „Die öffentlichen Haushalte subventionieren in erheblichem Maße Aktivitäten, durch die wichtige Teile der biologischen Vielfalt Deutschlands zerstört und beeinträchtigt werden.“

Das BfN präsentiert damit zum ersten Mal den Parlamenten und Regierungen eine Rechnung über die ökologischen Auswirkungen ihres Handelns – oder Nichthandelns – beim Artenschutz. Vor allem in der Agrar-, Verkehrs- und Siedlungspolitik weisen die beamteten Naturschützer darauf hin, dass die Politik teilweise ihren selbst gesteckten Zielen der Nachhaltigkeit widerspricht, ihre eigenen Versprechen zum Subventionsabbau ignoriert und dadurch volkswirtschaftliche Schäden verursacht. Dass Deutschland beim Erhalten von Tier- und Pflanzenarten große Defizite hat, sei „zu einem wesentlichen Teil darauf zurückzuführen, dass es bisher nicht gelungen ist, den wirtschaftlichen Anreizen, die zu einer Schädigung von Natur und Umwelt führen, ausreichend entgegenzusteuern“, heißt es in dem Papier mit dem Titel „Ökonomische Instrumente zum Schutz der biologischen Vielfalt“.

In der 44-seitigen Studie bezieht sich das BfN auch auf Arbeiten des Umweltbundesamts (UBA), das regelmäßig einen Überblick über alle umweltschädlichen Subventionen in Deutschland erstellt. Deren Höhe belief sich 2016 auf insgesamt 55 Milliarden Euro, darunter Subventionen für Kohle, Dieselkraftstoff oder Flugbenzin. Die 22 Milliarden des BfN, die konkrete Flora und Fauna bedrohen, sind ein Teil dieser Summe. Darunter fallen vor allem direkte und indirekte öffentliche Hilfen bei Landwirtschaft, Energie und beim Verkehr. So fördern etwa die Entfernungspauschale (Mindereinnahmen etwa 5 Milliarden) und die Eigenheimzulage beziehungsweise das Baukindergeld (etwa 1 Milliarde) Straßenbau und Flächenverbrauch.

Verstoß gegen Beschlüsse

In der Landwirtschaft stehen laut Bericht 4,8 Milliarden Euro Subventionen für die konventionellen Bearbeitung nur 2 Milliarden an Hilfen für soziale und ökologischen Leitplanken gegenüber. Auch verzichte der Staat auf 5 Milliarden an Einnahmen durch eine geringere Mehrwertsteuer auf Fleisch- und Milchprodukte, eine Milliarde bei Hilfen für Biokraftstoffe und knapp 500 Millionen bei der Subventionierung von Diesel für die Landwirtschaft. Die Förderung von Bioenergien, die größtenteils als Mais­äcker der Artenvielfalt schaden, koste die Allgemeinheit noch einmal knapp 2 Milliarden.

Nicht alle diese Subventionen sind per se problematisch, befindet die Studie. Maßnahmen wie die Förderung von Bioenergie oder Senkung von Lebensmittelpreisen könnten politisch durchaus sinnvoll sein. Aber die Untersuchung verdeutlicht, wie widersprüchlich die Ausgaben der öffentlichen Hand in diesem Bereich verteilt sind. So zahlen zwar die deutschen SteuerzahlerInnen pro Jahr 600 Millionen Euro für den Naturschutz durch Erhalt von Biotopen, Ausgleichzahlungen oder Pflege von Naturgebieten – gleichzeitig aber investieren sie fast das Vierzigfache in die Belastung der Natur.

Manchmal sind die naturschädlichen Hilfen sogar ein Verlustgeschäft

Dabei verstoße die Regierung gegen Beschlüsse zur Nachhaltigkeit und zum Abbau dieser Subventionen, denen sie auf UN- und EU-Ebene zugestimmt hat und gegen ihre eigenen Beschlüsse in der „nationalen Biodiversitätsstrategie“. Schließlich seien die naturschädlichen Hilfen sogar manchmal ein Verlustgeschäft, heißt es: Wenn etwa Moore entwässert und als Ackerland genutzt werden, gehen Biotope verloren und Klimagase entweichen. In der Summe, so das Gutachten, stehen in diesem Fall „Marktgewinnen von 623 bis 2.069 Euro pro Hektar und Jahr volkswirtschaftliche Kosten sowie Subventionszahlungen in Höhe von 3.456 Euro entgegen“.

Als Konsequenz aus diesen Zahlen müsse die Politik ihre Prioritäten ändern, fordert die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel. „Hilfreich wäre eine Düngemittel-Abgabe auf Stickstoffüberschüsse von 2 Euro pro Kilogramm und eine an der Giftigkeit orientierte Pestizid­abgabe. Dadurch könnte nach Berechnungen ein Aufkommen jeweils von ca. 1 Mrd. Euro generiert werden“, schlägt sie vor. Mit den Einnahmen aus diesen Abgaben und eingesparten umweltschädlichen Subventionen könne dann massiv in den Schutz der Artenvielfalt investiert werden. Allein für die Umsetzung der Maßnahmen für das verpflichtende europäische Netzwerk Natura 2000 bräuchte Deutschland jährlich 1,4 Milliarden Euro.

Jessel weist darauf hin, dass der Wert der Natur nicht nur mit Zahlen zu fassen sei. „Aber wir haben gemerkt, dass wir bei der Politik und der Öffentlichkeit am besten mit diesen ökonomischen Argumenten durchdringen“, sagt Jessel. Sie fordert außerdem, dass die „Nachhaltigkeitsprüfung“, die das Finanzministerium bereits jetzt im regelmäßigen „Subventionsbericht der Bundesregierung“ unternimmt, transparenter und konkreter an den ökologischen Schäden ausgerichtet werden müsse.

Die Zeit für die Forderung scheint günstig. Das Finanzministerium um SPD-Vizekanzler Olaf Scholz realisiert gerade, wie wichtig die Finanzen für die Umweltpolitik sind – in der Klimapolitik drohen Haushaltsrisiken, wenn die Klimaziele ab 2021 verfehlt werden. Die Regierung beginnt, unter dem Druck der „Fridays for Future“-Proteste über eine CO2-Steuer zu diskutieren. In Bayern war das „Volksbegehren Artenvielfalt“ so erfolgreich, dass die Regierung die Forderungen übernahm.

Und wie bestellt kommt das Thema im Mai auf die internationale Bühne: Dann präsentiert der UN-Rat für Artenvielfalt und ökologische Dienstleistungen (IPBES) zum ersten Mal einen Gesamtbericht zum Zustand der Biodiversität und dem Wert von Ökodienstleistungen. Allein die Leistung für die Bestäubung von Gemüse und Obst durch Insekten beziffern Experten auf zwischen 230 und 570 Milliarden Dollar weltweit.

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