Bund-Länder-Kommission zur Pflegereform: Arbeitsgruppe soll Milliardenloch stopfen
Der Pflegeversicherung droht ein Milliardendefizit. Eine Bund-Länder-Gruppe soll Reformvorschläge erarbeiten – nicht eingeladen sind Vertreter der Praxis.

Die gesetzliche Pflegeversicherung steckt in der Krise: Es fehlen Milliarden, und die Beitragssätze steigen. Eine neue Arbeitsgruppe von Bund und Ländern soll jetzt Vorschläge für eine Reform der Finanzen erarbeiten. Am Montag kamen die Vertreter*innen zum Auftakttreffen bei Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) in Berlin zusammen, Ende des Jahres sollen Ergebnisse präsentiert werden.
Die finanziellen Lücken sind nicht neu. Anfang 2025 hatte die Pflegeversicherung deshalb zuletzt die Beiträge erhöht. Dieses Jahr gibt es so nur ein kleines Minus. Doch 2026 wird ein Defizit von 3,5 Milliarden Euro erwartet, bis 2029 fehlen laut Bundesrechnungshof 12 Milliarden Euro. Im Bundeshaushalt sind Finanzspritzen vorgesehen – allerdings zu wenig: In diesem Jahr will die Bundesregierung 500 Millionen Euro zuschießen, 2026 sollen zusätzliche 1,5 Milliarden kommen. Zusätzliche Mittel könnte der Bundestag bereitstellen, andernfalls müssten spätestens 2026 erneut die Beiträge erhöht werden, erklärte Warken.
Ein Grund ist, dass die Zahl der Pflegebedürftigen stark steigt – von 4 Millionen 2019 auf 5,6 Millionen Menschen heute. 2055 werden es laut Berechnungen 7,6 Millionen Pflegebedürftige sein. Die Kosten steigen, auch weil dringend benötigte Pflegekräfte besser bezahlt werden. Einen immer größeren Teil für die Pflege im Heim müssen Pflegebedürftige selbst bezahlen. Im ersten Jahr sind es durchschnittlich fast 3.000 Euro pro Monat. Mehr als ein Drittel der rund 800.000 Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen, Tendenz steigend.
Andreas Wedeking, Caritas
Das alles soll jetzt also die Kommission angehen, darauf haben sich SPD und Union im Koalitionsvertrag geeinigt. Neben Warken gehört der Arbeitsgruppe auch Familienministerin Karin Prien (CDU) an, für die Bundesländer sind die zuständigen Ressortchef*innen dabei. Außerdem nehmen die kommunalen Spitzenverbände teil.
Vertreter*innen der Praxis fehlen in der Kommission
Nicht zur Kommission geladen sind dagegen die Vertreter*innen der Trägerverbände. Das kritisiert Andreas Wedeking, Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe innerhalb der Caritas. Die Kostenträger und Leistungserbringer müssten mit an den Tisch, fordert er, die Praxis müsse gehört werden, Lösungen könne die Politik nicht alleine bestimmen. Immerhin seien aber die Kommunen vertreten, die später für die Umsetzung vieler Maßnahmen zuständig sind.
Zusätzlich zur Reform brauche es jedoch Soforthilfen, sagt Wedeking. Denn vielen Pflegeeinrichtungen fehle Geld, weil die Sozialämter die Anträge der Pflegebedürftigen oft nicht schnell genug bearbeiten. Das Sozialamt muss eigentlich einspringen, wenn Pflegebedürftige den Eigenanteil nicht bezahlen können, bis zur Bearbeitung bleiben die Pflegeheime aber auf den Kosten sitzen. Wedeking fordert einen Pflegesonderfonds, der die Lücken zumindest teilweise ausgleicht. Andernfalls drohe vielen Heimen eine Insolvenz. „Die Pflege spricht mit einer Stimme“, so Wedeking, die Problemlage würde von allen Interessenvertreter*innen ähnlich beschrieben. „Das darf jetzt nicht weiter in die Zukunft vertagt werden, die Probleme müssen jetzt angegangen werden.“
Eine Möglichkeit, mehr Geld in die Kassen zu bringen, wäre auch die Zusammenführung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung. Dem erteilte Warken jedoch eine Absage. Stattdessen will sie mehr Anreize für private Vorsorge schaffen, sagte sie am Montag im ZDF. Auch Kürzungen schloss sie nicht aus: Wichtiger als eine Deckelung der Eigenbeteiligung sei die Frage, welche „Leistungen wir uns noch leisten können“.
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