Bund-Länder-Beschluss zu Coronatests: Spahns Schlingerkurs
Noch vor wenigen Wochen versprach der Gesundheitsminister kostenlose Tests für Urlauber. Jetzt soll das nicht mehr gelten – außer in Söders Bayern.
E ins vorab: Es ist gut, dass die politisch Verantwortlichen ihre Entscheidungen beim Corona-Krisenmanagement laufend hinterfragen. Denn in dieser Pandemie bewegen wir uns alle auf unbekanntem Terrain. Richtigerweise holen Kanzlerin, Länderchefs und Co. deshalb laufend den Rat von VirologInnen und anderen ExpertInnen ein. Dies führt bisweilen dazu, dass Dinge, die gestern noch als richtig galten, sich heute als falsch herausstellen. Die anfängliche Ablehnung einer Maskenpflicht ist dafür ein Beispiel.
Politiker als Lernende, so könnte man auch das Konzept von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verstehen, die Testpflicht für Reiserückkehrer bald wieder abzuschaffen. Der Bund-Länder-Gipfel hat das am Donnerstag so beschlossen: Für Urlaubsheimkehrer aus Risikogebieten soll ab Oktober wieder primär die vierzehntägige Quarantänepflicht gelten. Erst nach fünf Tagen soll ein freiwilliger Covid-19-Test möglich sein. Für Rückreisende aus Nicht-Risikogebieten soll der Gratisabstrich sogar ganz wegfallen. Als Grund nannte Spahn die fast ausgeschöpften Laborkapazitäten.
So richtig der Beschluss in der Sache sein mag – Klinik- oder Pflegepersonal sollten eher getestet werden als jeder beliebige Mallorca-Urlauber –, ist das kommunikativ ein ziemlich starkes Stück von Spahn. Ein Kursschwenk, der Planlosigkeit suggeriert. Zur Erinnerung: Es ist gerade mal vier Wochen her, dass der Minister zur besten Sendezeit im Fernsehen verkündete: Alle Urlaubsheimkehrer sollen sich testen lassen können, der Staat übernimmt sogar die Kosten. Spahns Begründung damals: Von den Tests profitiere die ganze Solidargemeinschaft.
Nun also Kommando zurück. Da stellt sich die Frage: Ist es wirklich so überraschend, dass die Laborkapazitäten für Hunderttausende Tests innerhalb weniger Wochen nicht ausreichen? Konnte der Minister das nicht absehen? In einem riesigen Apparat wie dem Gesundheitsministerium sollte man erwarten, dass Spahn genügend fähige ReferentInnen und StaatssekretärInnen um sich hat, die das einschätzen können. Und wenn das der föderalen Struktur wegen nicht so einfach ist, hätte der Minister nicht so forsch auftreten dürfen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat bereits angekündigt, weiter kostenlose Tests an Autobahnen und Flughäfen anbieten zu wollen – der Freistaat trägt die Kosten selbst. Damit drückt der CSU-Chef seinerseits aus, was er vom Schlingerkurs Spahns hält. Erst „Tests für alle“ rufen, um das kurze Zeit später zu kassieren, schafft vor allem Verwirrung und schwächt Vertrauen. Das, was viele in der aktuellen Lage am wenigsten brauchen können.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
BSW scheitert, Schwarz-Rot hat eine Mehrheit
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Bundestagswahl 2025
Mehr gewollt und links verloren
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option