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Bürgerversammlung im OlympiastadionGefühlsgleichschritt der Bewegung

Eine Kondomfirma, eine Klimagruppe und „die Wissenschaft“ treffen sich als emotionale Masse im Stadion. Was kann da schon schiefgehen?

Wenn das der Führer wüsste: Deutsche machen wieder Politik im Olympiastadion Foto: dpa

Von Lenin ist das Wort überliefert, dass die Revolution in Deutschland nie etwas werde. „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte“, soll der russische Revolutionär gespottet haben. Heutzutage beläuft sich der Preis der „Utopie“ auf 29,95 Euro. Soviel kostet die Eintrittskarte zur „größten Bürger*innenversammlung Deutschlands“, die 2020 im Berliner Olympiastadion stattfinden soll, sofern die Veranstaltenden mindestens 60.000 Tickets verkaufen.

Die Idee: Die „renommiertesten Expert*innen aus allen Bereichen“ kommen zusammen, „um die Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit gebündelt zu präsentieren“ und werden dabei gefeiert „wie wir ansonsten nur Rockstars feiern“. Laut Organisierenden diene dies der „Inspiration und der emotionalen Aufladung“.

Auch der Rest der Veranstaltung steht im Zeichen der Gefühle, die es wohl zweifellos braucht, wenn man eine Massenbewegung organisieren will. Die Veranstaltung soll den Teilnehmenden das „Gefühl geben, dass sie auch als Einzelpersonen Veränderungen bewirken können“. Und überhaupt: „Wir werden danach mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, einen weiteren Schritt in Richtung Veränderung unternommen zu haben.“

Erreicht werden soll das neben den personenkultig gefeierten Expertise-Rockstars durch massenhafte Petitionen an den Bundestag, die man aus dem Olympiastadion heraus mit seinem Smartphone mitzeichnen können soll.

Was bei Beyoncé okay ist

Hinter dem Projekt steht das Berliner Hygieneartikel-Unternehmen Einhorn, das Gefühle schon länger als Geschäftsfeld für sich erschlossen hat und allerhand überteuerte vegane Kondome und Menstruationsartikel in hippem Design auf den Markt wirft. Als offizielle Kooperationspartner treten die Scientists for Future sowie der Berliner Ableger von Fridays for Future auf; Luisa Neubauer ist eines der Gesichter im Werbefilm.

Petitionen an den Deutschen Bundestag bringen in aller Regel nichts. Zwar hatte das Unternehmen Einhorn mit einer Petition zur Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Periodenprodukte Erfolg, weil Olaf Scholz sich im Kampf um den SPD-Vorsitz profilieren musste, doch das bleibt die Ausnahme. Petitionen sind nämlich keine direktdemokratischen Verpflichtungen für die Legislative. Was der Parlamentsmehrheit nicht in den Kram passt, wird stets abgelehnt. Das ist Usus im Petitionsausschuss.

Bislang muss man sich auf die Organisierenden verlassen, was das Programm der Veranstaltung angeht. Was bei einer Show von Beyoncé okay ist, löst befremden aus, wenn es um eine politische Veranstaltung geht. Von den Inhalten sind bislang lediglich drei Stichworte bekannt: „Klimawandel, Rechtsruck, globale Ungerechtigkeit …“.

Wissenschaft als Fetisch

Wer aber bei diesen Themen die „renommiertesten Expert*innen“ sind und welche Petitionen sich daraus ergeben, bleibt vollkommen offen. Es lässt sich erahnen, dass die objektive Wissenschaft, die in diesem Milieu schon längst zum Fetisch verkommen ist, wieder einmal wird herhalten müssen.

Nur: Wie operationalisiert man „globale Ungerechtigkeit“? Was ist gerecht? Was ist die objektive Lösung für die globale Ungerechtigkeit? Dass alle das gleiche haben, können und dürfen? Oder kommt es vielleicht doch auf die individuelle Leistung an? Und vor allem: Wer bestimmt, welche Expert*innen renommiert sind?

Und was passiert, wenn zwei von ihnen unterschiedliche Meinungen haben? Wenn etwa einer einen Emissionshandel, ein anderer eine CO2-Steuer als das bessere Mittel für die Einführung eines CO2-Preises hält, ein dritter sagt, man müsse einfach alles verbieten, was CO2 emittiert und ein vierter, dass nur mit der Überwindung der Marktwirtschaft das Klima geschützt werden könne?

Wer ein Ticket ergattert, muss den Organisierenden vertrauen, dass ihre Antworten auf diese Fragen nicht enttäuschen. Deren Utopie scheint keine Differenz, Vielfalt oder Diskussion zu ersehnen, sondern Eintönigkeit, Elitenhörigkeit und Gleichschritt. Schließlich sollen im Stadion „90.000 Weltbürger*innen, die genau das Gleiche wollen wie du“ zusammenkommen.

Für eine politische Veranstaltung, bei der alle das gleiche wollen und den auserkorenen Stars zujubeln, ist das Olympiastadion mit seiner faschistischen Ästhetik und seiner nationalsozialistischen Vergangenheit immerhin die konsequente Ortswahl: Gemeinschaftsgefühl passt unbestritten gut zu Statuen von Arno Breker.

Eine politische Bewegung muss nun mal Gefühle erzeugen, um am Leben zu bleiben. Wenn das Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen von quasi heiligen Expert*innen vor einer brachialen Kulisse bestätigt wird, gibt das der Bewegung gewiss Aufwind. Nur: Zu welchem Preis?

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9 Kommentare

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  • Einige Kommentare hier sind ja völlig absurd.

    Mich interessiert nur folgender Satz: "Was der Parlamentsmehrheit nicht in den Kram passt, wird stets abgelehnt. Das ist Usus im Petitionsausschuss."

    Damit ist alles gesagt. Da braucht man auch nicht mehr darüber reden, dass das alles undemokratisch ist. Nur erhöht das noch den Superlativ:

    - undemokratisch



    - ineffektiv



    - kapitalistisch

    Schlimmer gehts nicht.

  • Das erinnert an Scientology.



    Dort muss man auch für jede Veranstaltung viel Geld bezahlen und es scheint ein einträgliches Geschäft zu sein.



    Für die Organisation natürlich - nicht für die Masse der Mitglieder.

  • Erinnert mich an "Die Welle".

  • 0G
    08337 (Profil gelöscht)

    Ich finde diesen Artikel total undifferenziert und schlecht recherchiert. Fast nach dem Motto Hauptsache erst mal alles kritisieren.



    1. versuchen die Veranstaler*innen, so wie ich das verstanden habe, so gut wie möglich alle Menschen mit einzubeziehen. Auch diejenigen, die keine 30€ aufbringen können. Das sieht man daran, dass man auf der Seite des Crowdfundings auch Tickets für sich selbst und eine weitere Person oder für 100 Personen oder für 1.000 Personen kaufen kann, was auch schon viele Menschen getan haben. 529 Menschen haben bis jetzt für sich und eine weitere Person gekauft, 6 für 100 Personen und sogar 3 für 1.000 Personen. Diese ganzen finanzierten Karten lassen Menschen teilhaben, die nicht genug Geld haben. Außerdem rufen die Veranstalter*innen sehr deutlich dazu auf, Karten an alle möglichen Leute zu verschenken.



    2. Herr Nabert kennen Sie sich mit dem aktuellen Stand der Klimaforschung aus? Es scheint so, als würden Sie dies nicht tun. Denn wenn Sie sich mit dem aktuellen Stand auskennen würden, dann würden Sie auch in leichte Panik geraten, oder tue ich Ihnen hiermit Unrecht? Die Organisatior*innen setzen sich jeden Tag mit dem Thema auseinander und versuchen aus meiner Sicht einfach, Dinge zu tun, damit sich so schnell wie möglich etwas ändert. Denn alles was momentan passiert, bringt nichts und ist zu langsam. Und anstatt einfach rumzusitzen und in Panik zu geraten, versuchen diese Menschen in ihrer Freizeit das Ruder noch rumzureißen. Und selbst wenn die Petitionen nichts bringen, wird der Tag dafür sorgen, dass ganz viele Menschen wieder anfangen daran zu glauben, dass sie etwas verändern können. Sie wissen wahrscheinlich nicht wie die junge Generation sich fühlt.



    3. Den Hinweis auf die faschistische Geschichte des Olympiastadions verstehe ich nicht. Also wollen Sie in Zukunft jede Veranstaltung schlecht reden, die an einem Ort stattfindet, der sich in irgendeiner Weise mit der NS-Vergangenheit verknüpfen lässt?

  • "Für eine politische Veranstaltung, bei der alle das gleiche wollen und den auserkorenen Stars zujubeln, ist das Olympiastadion mit seiner faschistischen Ästhetik und seiner nationalsozialistischen Vergangenheit immerhin die konsequente Ortswahl: Gemeinschaftsgefühl passt unbestritten gut zu Statuen von Arno Breker."

    Auch wenn dieses "Event der größten BürgerInnenversammlung" noch unausgegoren scheint. Es unter Faschismusverdacht zu stellen finde ich unredlich.

  • Weiß man schon was über die Aufstellung? Und hoffentlich schmeckt die Stadionwurst...

  • Das klingt ja in der Tat nach einer zumindest merkwürdigen Veranstaltung. Was aber bitte soll der Hinweis auf eine angebliche fetischisierte Wissenschaft - zumal ja gleichzeitig auf das Rühren an große Gefühle durch Großveranstaltung und Ortswahl hingewiesen wird? Wir alle stehen doch vor dem selben epochalen Problem, und trotz der mannigfaltigen Belege gibt es noch immer zu viele Menschen mit Einfluss und Verantwortung, die sich gut gepolstert in Skepsis suhlen. Wie sollte denn denen ihrer Meinung nach beizukommen sein? Rein irrational? Das größere Problem ist doch nicht die zu wissenschaftsgläubige Öffentlichkeit, sondern die zu geringe Öffentlichkeit der Wissenschaft.



    Unter den gegebenen Umständen kann dann auch ein Teilzeitleistungsexperte wie der Christian "irgendwas mit Wasserstoff" daherreden ( www.heise.de/tr/bl...stoff-4593044.html ). Und die Regierung kann sich gleichzeitig eine Eins mit Sternchen für das "Klimapaket" ins Zeugnis schreiben und den Ausbau der Windkraft zurückdrehen...

  • Danke, Alexander Nabert!



    Bin froh, dass Ihr Artikel so eindrücklich und fundiert eine Lanze für die Demokratie bricht!

  • Perfekt demotiviert. Was will man mehr?