Bürgerunmut in Baden-Württemberg: Park der Zwietracht
Ein Beschluss zum Nationalpark Nordschwarzwald soll nächste Woche fallen. Anwohner wehren sich dagegen – auch mit Hilfe der CDU.
STUTTGART taz | „Setzen Sie den Gesetzgebungsprozess aus!“ So lautete am Mittwoch die Forderung der Gegner eines Nationalparks im Nordschwarzwald bei einer letzten Anhörung vor dem zuständigen Ausschuss des Landtags in Stuttgart. Die Bürgerinitiative „Unser Nordschwarzwald“ und ihr Sprecher Andreas Fischer wollen verhindern, dass der Park am Donnerstag nächste Woche endgültig beschlossen wird.
Gegner und Befürworter des Parks prallen aufeinander. Wie beim Protest gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 werden auch im Schwarzwald Schilder im Stil eines durchgestrichenen Ortsschilds hochgehalten. „Nationalpark, nein danke“, ist darauf zu lesen. Dabei hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann zusammen mit seinem Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Alexander Bonde (beide Grüne), versucht, die Bevölkerung am Projekt zu beteiligen.
Zweieinhalb Jahre dauert die Diskussion bereits. Der Park ist ein Projekt der Landesregierung und soll insgesamt 10.000 Hektar groß werden. Das entspricht einer Fläche von zehn mal zehn Kilometern.
Der Park ist zweigeteilt und läge rund um die Schwarzwaldgipfel Hoher Ochsenkopf und Schliffkopf. Zur Anschubfinanzierung rechnet das Land mit gut 7 Millionen Euro Kosten. Zusätzlich wäre Geld für den laufenden Betrieb nötig, geschätzt rund 9 Millionen Euro pro Jahr.
Mehr Touristen sollen kommen
Mit dem Park will die Landesregierung die Pflanzen- und Tierarten schützen, den Schwarzwald touristisch aufwerten und der Natur ein Stück Urwald zurückgeben. Viele Schwarzwälder aus der betroffenen Gegend zwischen Freudenstadt und Baden-Baden lehnen das Projekt aber ab. Die Gründe: Angst vor dem Borkenkäfer, der sich im Totholz wohlfühlen würde. Furcht vor dem wirtschaftlichen Ruin vieler Sägewerke. Unbehagen, von der grün-roten Landesregierung fremdbestimmt zu werden – und das in der eigenen Heimat.
Kurz bevor mit dem Gesetz Fakten geschaffen werden, haben die Nationalparkgegner zusammen mit der CDU-Fraktion im Landtag einen Entwurf für einen „Bürgernationalpark“ vorgelegt. Der würde nur bei Zustimmung der Bürger umgesetzt, wäre halb so groß wie jetzt geplant – und damit auch günstiger. „Eine Mogelpackung“, nennt das jedoch der grüne Fachminister Bonde. Die CDU wolle sich den Titel Nationalpark erschleichen, ohne die nötigen Kriterien zu erfüllen. Selbst innerhalb der CDU distanzieren sich rund 18 Mitglieder in einem offenen Brief von den Plänen der eigenen Partei. Eine verfahrene Situation.
Vor Ort potenzieren sich Angst und Misstrauen zu einer Ablehnungshaltung, die von außen kaum nachvollziehbar ist. Ja zum Park sagen 52 Prozent der Menschen in den angrenzenden Landkreisen, ergab eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Ein massives Nein kommt aber aus sieben Ortschaften im Nordschwarzwald, wo die Bürger im Mai zum Nationalpark befragt wurden: je nach Gemeinde stimmten zwischen 64 und 87 Prozent dagegen.
„Das Gerechtigkeitsdenken der Leute wird auf den Kopf gestellt“, sagt Wolfgang Schlund vom Naturschutzzentrum Ruhestein. „Warum soll die Bewirtschaftung, wie wir sie schon immer betreiben, jetzt plötzlich nicht mehr richtig sein?“ Man fühlt sich überrumpelt. Projekt-Gegner Fischer sagt: Der Nationalpark sei ein „Multigenerationenprojekt“, das der Region nicht innerhalb einer Legislaturperiode übergestülpt werden könne. Er wirft der Landesregierung vor, die Bürgermeinung zu ignorieren, und bemüht immer wieder ein Zitat von Kretschmann: Gehörtwerden heiße nicht Erhörtwerden, wie der Ministerpräsident einmal zur Bürgerbeteiligung gesagt hatte.
Die Regierung wiederum sagt, auf Wünsche der Bürger habe man Rücksicht genommen, beispielsweise, indem den Sägewerksbesitzern eine Kompensation angeboten werde. Dass der Park noch gestoppt wird, ist unwahrscheinlich. Baden-Württemberg ist neben Rheinland-Pfalz das einzige Flächenland ohne Nationalpark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja