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Zurückgehaltenes Gutachten zu S21Unterirdischer Komfort

Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann hat ein Gutachten zurückgehalten. Das hielt den Tiefbahnhof für komfortabler als den Kopfbahnhof.

Unten ist es gemütlicher. Bild: dpa

STUTTGART taz | Transparenz ist ein häufig verwendetes Wort im Koalitionsvertrag der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat es damit nun nicht so genau genommen. Seit Dezember liegt ihm ein Gutachten vor, das dem geplanten S21-Tiefbahnhof ein gutes Zeugnis ausstellt. „Der Durchgangsbahnhof ist unter Ansatz gleicher Verkehrsmengen komfortabler als der Kopfbahnhof“, heißt es darin. Veröffentlicht wurde es erst jetzt – aufgrund öffentlichen Drucks.

Hermann, vor seiner Zeit als Minister offener Kritiker des Bahnprojekts, kassiert heftige Kritik. FDP-Verkehrsexperte Jochen Haußmann äußerte den Verdacht, dass der Minister „seinen persönlichen Kampf gegen Stuttgart 21“ weiter fechte. Selbst der Koalitionspartner SPD äußerte sich verärgert, das Gutachten sei „kropfunnötig“.

Hermann hat die Untersuchung bei einem Karlsruher Fachbüro in Auftrag gegeben. Kosten – für gut 38.500 Euro. Die Verkehrsexperten sollten eine von der Bahn 2009 angestellte Personenstromanalyse methodisch überprüfen und klären, welcher Bahnhof für die Reisenden komfortabler ist. Ihr Fazit: Der Tiefbahnhof sei komfortabler. Die Bahngutachter hätten keine maßgeblichen handwerklichen Fehler gemacht.

Diese Nachrichten wollte das grün geführte Verkehrsministerium wohl ungern verkünden. Den Vorwurf der Verschleierung weist Hermann aber zurück. Man habe vor einer Veröffentlichung noch offene Fragen zum Gutachten klären wollen, damit es wie geplant zur Versachlichung der Debatte um S21 beitragen könne. Allerdings ist das zurückgehaltene Gutachten bei näherer Betrachtung nichts weiter als ein alter Hut. Das Ergebnis war schon von vornherein hinfällig, weil mit Zahlen von 2009 gerechnet wurde, die im überprüften Bahngutachten verwendet wurden. Statt mit 29 Zügen in der Spitzenstunde ist seit der Schlichtung 2010 mit 49 Zügen in der Spitzenstunde zu rechnen. Außerdem hat die Bahn ihre Baupläne längst um weitere Treppenhäuser ergänzt.

Das Verkehrsministerium verspricht jetzt Nacharbeiten am Gutachten. Die neue Bahn-Personenstromanalyse werde im April veröffentlicht und dann auch von den Gutachtern des Verkehrsministerium bewertet. Außerdem sollen die künftig mit 49 Zügen in der Spitzenstunde rechnen. Diese Updates scheinen so umfangreich, dass man wohl von einer Neuauflage sprechen könnte.

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11 Kommentare

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  • E
    Elko

    Wie genau definiert man jetzt 'komfort' eigentlich? Vielleicht finde ich etwas komfortabel, was ein Rollstuhlfahrer nicht so empfindet? Oder alte Menschen? Oder Kinder? Oder Blinde? Alles Käse...

  • Sind die 6 Meter Höhenunterschied über die Bahnsteiglänge von 400 Meter (sonst verboten!) auch komfortsteigernd? Treppen steigen statt Querbahnsteig? Und der Versuch, mit über 1000 anderen im Brandfall wieder nach oben zu kommen - ohne Aufzug - bleibt stecken??? Gibt es denn 2 unabhängige Fluchtwege aus der Tunnel-Welt? Was sagt denn da der/die Behindertenbeauftragte?

    Wie ist denn da "Komfort" definiert? Für Autofahrer?

    • @guido-nrw:

      Wollen sie eine ernsthafte Antwort?

       

      Falls ja: das im Gutachten angewandte Verfahren ist ziemlich primitiv, der Komfort wird alleine über die Zahl der Personen pro Quadratmeter definiert. 0,4 Personen/qm (entspricht 2,5 qm pro Person) sind erlaubt.

       

      Fahrplan, Zugfolge, Gleisgefälle, Weglängen, Rettungsaspekte, Treppen vs. ebenerding, Bahnsteigmobiliar, sogar die Aufzüge, das wird alles ignoriert.

      • @Markus Hitter:

        Ja, danke für die Infos. "Primitiv" beschreibt die Sache vollkommen.

  • Ein paar zusätzliche Informations-Häppchen:

     

    - Der aktuelle Fahrplan Stuttgart Hbf enthält in der Spitzenstunde rund 37 Züge/h, die 29 Züge/h waren also schon seit Jahrzehnten veraltet und kamen dadurch zustande, dass man (allen Ernstes!) mit einer Verringerung des Fahrgastaufkommens rechnete. Das, während gleichzeitig in allen Werbeprospekten etwas von "doppelter Leistungsfähigkeit" und "Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene" zu lesen war.

     

    - Das Gutachten kann man hier nachlesen (Link ganz unten): http://mvi.baden-wuerttemberg.de/de/ministerium/presse/pressemitteilung/pid/stellungnahme-zur-berichterstattung-ueber-eine-vom-mvi-beauftragte-untersuchung-zur-personenstromana/

     

    - Laut Verkehrsministerium liegt der Bahn das Gutachten bereits seit Oktober 2013 zur Stellungnahme vor: http://mvi.baden-wuerttemberg.de/de/ministerium/presse/pressemitteilung/pid/verkehrsministerium-weist-vorwurf-der-geheimniskraemerei-zurueck/

     

    - Ich weiss nicht, warum das Indiz "der Tiefbahnhof ist komfortabler" überall in der Presse als einziger Fakt zu lesen ist. Es ist richtig, dass ein solcher Satz im Gutachten enthalten ist. Jedoch gleich neben Beschreibungen, dass der geplante Tiefbahnhof an nicht wenigen Stellen nicht einmal die Mindestanforderungen erbringt und beim vorhandenen Bahnhof nur die Hälfte der Bahnsteige berücksichtigt wurde.

     

    - Bei den "zusätzlichen Treppenhäusern" handelt es sich um reine Fluchttreppen, die im Normalbetrieb geschlossen sind. Sie stellen also vor Allem ein Hindernis dar.

  • J
    Jens

    Unehrenhafter Abschied und zwar sofort!

  • Wer wirklich glaubt das ein Uraltbahnhof "Komfortabler" ist als ein Nietnagelneues, der naja. Die Studie ist damit im Grunde eine Nullaussage

    • @Tim Leuther:

      Das Alter ist doch egal. Entscheidend ist, wie schnell und bequem die Menschen zu den Zügen kommen - und auch im Brandfalle wieder an die frische Luft. Und da ist der Kopfbahnhof nicht zu schlagen - besonders für Gepäck, Kinderwagen, Rollatoren und Menschen mit Behinderungen. Aufzüge sind gerne mal kaputt, Rolltreppen gehen nicht für alle - fragt sich, wieso Frankfurt, München oder Zürich ihre Kopfbahnhöfe behalten. Wahrscheinlich Fahrgastquäler.

  • G
    GegenFaschisten

    Jaja...wie viele Beispiele braucht man eigentlich noch um den wahren Geist der grünen Partei zu erkennen??? Selbst ein blinder mit Stock sieht welches (un)geistes Kind diese Oberdemokraten sind. Erst wieder ein Gutachten zurückgehalten, jetzt wird sich gewunden und das ganze so lange "angepasst" bis es der grünen Ideologie passt. Diese Partei und ganz konkret dieser Minister sind undemokratisch, autokratisch, faschistoid und stehen in einer Reihe mir längst überwunden geglaubten Bewegungen des 20. Jahrhunderts...

  • EV
    Einer vor Ort

    Man könnte natürlich in diesem Beitrag etwas weiter ausholen, dann würde die Geschichte so lauten: ein Gutachten auf der Grundlage einer völlig veralteten Personenstromanalyse aus dem Jahr 2009 - lange vor der Schlichtung, lange vor den rauchgläsernen Fluchttreppen und lange vor der Erweiterung auf die erforderlichen 49 Zughalte in den Spitzenstunden - ist völlig sinnlos und hievt den Tiefbahnhof in eine unverdiente gute Ausgangsposition, deshalb fordert der Verkehrsminister den Projektpartner Bahn auf, eine neue, aktuelle Personenstromanalyse beizusteuern, und das schon im Juni 2013. Nun weiß die Bahn, was sie tut beim bestgeplanten Projekt, und liefert diese aktuelle Analyse natürlich nicht. Und das Gutachten wird fertig, der Tiefbahnhof, in einer Konfiguration, die nie gebaut werden kann und wird, hat leichte Vorteile, und dann beginnt die Trompeterei und die Dreckschleuderei, weil Winfried Hermann natürlich - als seriöser Minister - mit der Herausgabe des Gutachten warten will, bis vergleichbare Ausgangsbedingungen hergestellt sind. Und dabei geht die taz den Tunnelparteien noch zur Hand - das ist guter Journalismus?

  • U
    Unsereiner

    Von den Grünen erwarte ich nichts anderes mehr.

    Transparenz - aber nur, wenn sie nicht an der Regierung sind.

    Tolerant sollen immer nur die anderen sein.

    Meinungsäussereung ja, aber nur wenn es die grüne Meinung ist.