Bürgerschaftswahl in Hamburg: Bloß kein Schulkampf im Hamburger Wahlkampf
Eltern fordern, dass schwächere Schüler nicht mehr von Gymnasien „abgeschult“ werden. Die Grünen sehen das auch so, die SPD setzt auf Campusschulen.
Das erklärt, wieso sich die Grünen ihre einstige Forderung von der „Schule für alle“ abgeschminkt haben. Man stehe dazu, die Struktur wie im Schulfrieden vereinbart fortzuführen, „einschließlich der Stadtteilschulen und Gymnasien“, heißt es in ihrem Wahlprogramm. Nur Linke und Volt-Partei fordern noch die „Schule für alle“.
Ob der Schulfrieden, der zuletzt 2019 verlängert wurde und in diesem Jahr ausläuft, fortgesetzt wird, ist derzeit nicht klar. Die Grünen wollen das, die SPD hat sich noch nicht positioniert. Einige schulpolitische Akteure hielten kürzlich extra einen „Schulfriedensgipfel“ ab und fordern, dass ein künftiger Schulfrieden „weniger restriktiv“ sein solle, sagte Stadtteilschul-Elternvertreter Torsten Schütt im taz-Interview. Elternverbände wollen zum Beispiel, dass Hamburgs Gymnasien damit aufhören, Jahr für Jahr rund 800 Schüler nach der sechsten Klasse abzuschulen, also vom Gymnasium auf die Stadtteilschule zu schicken. Diese Praxis sei mit Druck und Leid für die Kinder verknüpft.
Die Grünen trauen sich bildungspolitisch im Wahlkampf immerhin ein bisschen was. „Ich bin überzeugt, Entwicklung passiert in Wellen, insbesondere Kinder entwickeln sich nicht im Gleichschritt“, erklärt die Landesvorsitzende Maryam Blumenthal, selbst Lehrerin und Mutter von drei Schulkindern. Deshalb sollten Schulen mehr Raum für individuelle Entwicklung einräumen, zum Beispiel, indem Klassenarbeiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglicht werden.
„Flexible Oberstufe: Lernen im eigenen Takt“, moderiert von Dora Heyenn, AfB-Landesvorsitzende, Di, 18. 2., 19 Uhr, Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg, Hamburg
Blumenthal spricht vom „Lernen im eigenen Takt“. Es sei nicht ausschlaggebend, zu welchem Zeitpunkt eine Kompetenz erreicht wird, sondern, ob dies überhaupt geschieht. „Es sollte kein zwangsweises Abschulen gegen den Willen der Familie vom Gymnasium geben“, sagt Blumenthal. Im Wahlprogramm findet sich allerdings nichts zum Thema „Abschulen“, beim Koalitionspartner SPD auch nicht.
Die Sozialdemokraten haben andere Ideen. Sie wollen die Gymnasialempfehlung nach Klasse 4 abschaffen und durch eine allgemeinere „Schullaufbahnempfehlung“ ersetzen.
Außerdem setzt die SPD auf den Ausbau der Campus-Schulen. Das sind Schulen, wo Stadtteilschule, hier ist das Abitur nach neun Jahren erreichbar (G9), und ein verkürztes achtjähriges Gymnasium (G8) unter einem Dach sind. In Klasse 5 und 6 lernen alle gemeinsam. Ab Klasse 7 getrennt, wobei in der Oberstufe die Schüler der Klasse 10 des Gymnasialzweigs und Klasse 11 des Stadtteilschulzweigs wieder gemeinsam lernen.
„Das Abschulen in dieser Schulform kommt so gut wie nicht vor“, sagt Dora Heyenn, die Vorsitzende der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB) der SPD. Und wenn doch, müsste ein Schüler nicht gleich die Schule wechseln, sondern nur die Klasse.
Zurzeit sind acht der 60 Stadtteilschulen Campus-Schulen. Meist sind es neu gegründete Schulen. Heyenn sagt, dass sich auch bestehende Schulen dafür eignen. An 17 Standorten existierten je ein Gymnasium und eine Stadtteilschule „heute schon Tür an Tür“. Im SPD-Wahlprogramm heißt es: „Speziell die Entwicklung der Campus-Stadtteilschulen sehen wir positiv. Schulen, die sich zu einer Campus-Stadtteilschule entwickeln wollen, werden wir deshalb bei diesem Prozess unterstützen“.
Führen-Können als Lernziel für Gymnasiasten
Eine kritische Anmerkung zur Campus-Schule findet sich in einem Papier der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS), das den Titel „Das Hamburger Gymnasium der Zukunft“ trägt und seinerseits auch Irritationen auslöst. Nicht überraschend heißt es zum Thema Inklusion, diese wäre an Gymnasien selbstverständlich „bei zielgleichem Lernen“.
Dem verkürzten Abitur (G8) messen die Rektoren einen „spezifischen Wert“ bei. Und „Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft“ wären für alle Schulbeteiligen „ein hohes Gut“. Obendrein werden, so heißt es, die Schüler am achtjährigen Gymnasium „bei der Entwicklung eines Selbstkonzepts unterstützt, dass 'Leadership’ in unserer Gesellschaft ermöglicht“. Übersetzt heißt das: „Führung“. Sie entwickelten Fähigkeiten, sich selbst und andere zu inspirieren und Verantwortung zu übernehmen.
Man könnte dies arrogant nennen. Dazu befragt, sagt der VLHGS-Vorsitzende Christian Gefert: „Wir haben lange um die Formulierung gerungen. Wir finden es wichtig, zur Verantwortungsbereitschaft zu erziehen.“ Der Begriff „Leadership“ entstammt der Soziologie. Die Kritik an der Verwendung verstehe er nicht. „Zur Verantwortungsbereitschaft kann die Stadtteilschule genauso erziehen“, sagt Gefert.
Streit um Inklusions-Begriff
Bei der Campus-Schule stelle sich für ihn die Frage, wie der Übergang der Schüler in die 7. Klasse des Gymnasiums gelingen könne, wenn sie in Klasse 5 und 6 nach Bildungsplan der Stadtteilschule lernen.
Dora Heyenn, die für den Einzug in die Bürgerschaft kandidiert, verweist auf die Praxis der beiden ältesten Campus-Schulen Heinrich-Hertz und Gyla Trebisch, die seit Jahren zu den beliebtesten Schulen gehören. Sie lese aus dem Papier der Gymnasialschulleitungen schon eine Abgrenzung zur Stadtteilschule heraus. „Warum in diesem Zusammenhang Anglizismen wie 'Leadership’ verwendet werden, ist merkwürdig“, so Heyenn. Der Fokus auf Anstrengung und Leistungsdifferenzierung in der Beobachtungsstufe sowie das starre Festhalten am achtstufigen Bildungsweg verursachten zudem „bei Jugendlichen enormen Druck“.
Die Linke-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus irritiert die Formulierung der „inklusiven Bildung bei zielgleichem Lernen“. „Mehr Missverständnis über das, was Auftrag von Inklusion ist, geht nach meinem Verständnis nicht“, sagt sie. Und gute Führungskräfte, da sei sie sicher, werden Schüler, wenn sie über soziale Kompetenzen und Erfahrungen von Vielfalt verfügten, „also auf einer inklusiven Schule sozialisiert wurden“.
Einig sind sich SPD und Grüne, die wohl nach der Wahl weiter regieren werden, darin, per Modellversuch die „flexible Oberstufe“ zu probieren. Die erlaubt es Schülern, das Abitur schneller oder langsamer abzulegen, eine Reaktion auf die Kritik am Turbo-Abitur nach acht Jahren.
Klar ist: Die Hamburger Bildungsbehörde liegt seit 2011 fest in SPD-Hand. Gefragt, ob die Grünen sich vorstellen können, sie zu übernehmen, sagt Blumenthal: „Natürlich können wir uns vorstellen, Verantwortung für jede Behörde zu übernehmen. Auch die Bildungsbehörde.“ Aber, so heißt es aus der SPD, man gebe sie ungern her.
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