Bürgerrechte in Polen: Demonstrieren von Gottes Gnaden
Die rechte Regierung schränkt die Versammlungsfreiheit ein. Staat und Kirche sollen privilegiert sein, wenn sie Kundgebungen abhalten wollen.
Am Freitagabend war die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit an der Reihe. Die PiS-Abgeordneten stimmten für ein Staats- und Kirchenprivileg, das diesen Vorrang bei allen Demonstrationen einräumt. Normale Staatsbürger, Vereine und Bürgerinitiativen werden das Nachsehen haben. Zwar protestierten die beiden Oppositionsparteien Bürgerplattform (PO) und Moderne (Nowoczesna) gegen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Doch vergeblich. Wie immer wurden sie von der PiS überstimmt.
Besonders umstritten ist die Neuregelung, die es Organisationen erlaubt, zyklische Veranstaltungen an einem Ort zu reservieren. Eine Anmeldung beim Woiwoden, einem Regierungsvertreter in den 16 Woiwodschaften des Landes, soll genügen, um eine Dreijahreserlaubnis zu bekommen.
Diese Regelung käme zurzeit vor allem der PiS zugute, die an jedem 10. eines Monats eine Gedenkfeier für den 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Parteigründer und damaligen Präsidenten Polens, Lech Kaczyński, abhält. Die Regelung macht Gegendemonstrationen nahezu unmöglich.
Gesetz ist verfassungswidrig
„Das PiS-Gesetzesprojekt zur Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist verfassungswidrig und verletzt internationale Rechtsstandards“, kritisierte Polens Ombudsmann Adam Bodnar scharf. Er fordert die PiS auf, das Gesetzesprojekt zurückzuziehen. Sorgen bereitet ihm die Hierarchisierung der Demonstranten, die Staat und Kirche einen privilegierten Status gegenüber dem eigentlichen Souverän, den Staatsbürgern, einräumt. Auch die Warschauer Chefin von Amnesty International warnte vor der Verletzung des Menschenrechts auf Versammlungsfreiheit.
In den letzten Monaten gab es in ganz Polen immer wieder Straßenproteste gegen die PiS-Regierung. Millionen Polen folgten den Demonstrationsaufrufen des Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD), Frauen protestierten massenhaft gegen das absolute Abtreibungsverbot, Lehrer und Eltern protestierten gegen die Abschaffung der Mittelschule. Die PiS, die angeblich genau weiß, was gut für das Volk ist, geißelte manch einen der Aufmärsche als „politische Provokation“.
In Zukunft wird es nun ganz einfach sein, eine unliebsame Demonstration zu verhindern. Es muss lediglich eine staatliche oder kirchliche Aktion am gleichen Ort und zur gleichen Zeit angemeldet werden. Das ist dann kein Verbot, läuft aber auf dasselbe hinaus.
Mit einem weiteren Gesetz soll Polens Zivilgesellschaft demnächst zentral von Warschau aus organisiert werden, kündigte Premierministerin Beata Szydło von der regierenden PiS an. Ein „Nationales Zentrum zur Entwicklung der Zivilgesellschaft“ werde Vereinen, Stiftungen und Bürgerinitiativen Aufgaben und Ziele zuteilen, zu deren Erfüllung sie dann Zuschüsse vom Staat erhalten würden.
Formale Demokratie
Ziel dieses Gesetzes sei, so bekannte Szydło in einem Interview ganz offen, Stiftungen, die „Teil der Politiker-Seilschaften der vorherigen Regierung“ seien, demnächst kein Geld mehr oder wesentlich weniger als bisher zuzuweisen. Das „Nationale Zentrum zur Entwicklung der Zivilgesellschaft“ werde die Zuschüsse sämtlicher Ministerien für polnische NGOs zusammenführen, so dass diese dann von der Warschauer Zentrale aus verteilt werden könnten. Das Zentrum – und damit auch die Milliarden Zloty für die Zivilgesellschaft – soll Premier Szydło persönlich unterstellt sein.
„Kommt zur Vernunft, Leute“!, appellierte der Soziologieprofessor Ireneusz Krzemiński an die PiS-Politiker in Parlament und Regierung. Polen nähere sich mehr und mehr dem bereits überwunden geglaubten Einparteienstaat an – diesmal unter Jarosław Kaczyński als dem PiS-Parteisekretär. Schon jetzt, so Krzemiński, „kann Polen nur noch formal eine Demokratie genannt werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin