Bürgermeisterwahl in London: Busfahrersohn vs. Elite-Uni-Absolvent
Am Donnerstag wählt London einen neuen Bürgermeister. Nach acht Jahren Tories könnte wieder ein Labour-Mann gewinnen.
Am Donnerstag entscheiden die Londoner, wer ihr nächster Bürgermeister wird. Nach acht Jahren Tory-Herrschaft könnte mit Khan wieder ein Labour-Politiker die „Global City“ regieren. Bei den Buchmachern stehen die Chancen 1 zu 12 für einen Sieg Khans. Er wäre nach Rotterdams OB Ahmed Aboutaleb erst der zweite Muslim an der Spitze einer westeuropäischen Großstadt.
Seit Wochen klopft Khan fast täglich an Haustüren und buhlt auf öffentlichen Veranstaltungen um die Gunst der Stimmberechtigten. In einer Mehrzweckhalle auf dem ehemaligen Olympiagelände in Ostlondon findet der Höhepunkt des Wahlkampfs statt: 6.000 Zuschauer, so viel wie nirgendwo sonst, sind zugegen, als Khan auf seinen stärksten Konkurrenten, den konservativen Kandidaten Zac Goldsmith, trifft.
Der Werdegang der beiden Duellanten könnte unterschiedlicher nicht sein. Der 45-jährige Khan ist Sohn eines aus Pakistan stammenden Busfahrers. Er ging auf die öffentliche Schule, studierte Jura und wurde Menschenrechtsanwalt. Zac Goldsmith, einen guten Kopf größer als Khan, kommt aus einer Millionärsfamilie mit englisch-aristokratischen und jüdisch-deutschen Wurzeln. Er genoss dieselbe Eliteausbildung wie die Spitzen seiner Partei. Lange war er Herausgeber des Umweltmagazins The Ecologist.
Es wird ein Zweikampf
Die Veranstaltung auf dem Olympiagelände wird von London Citizens ausgerichtet, einer Dachorganisation zivilgesellschaftlicher Akteure, darunter vor allem religiöse Gemeinden. Außer Khan und Goldsmith bewerben sich noch eine Grüne, eine Liberaldemokratin, ein Ukip-Mann sowie der Sozialist George Galloway um das Amt des Stadtoberhaupts. Da die Umfragen sie alle weit hinter den Kandidaten der beiden großen Parteien sehen, hat man sie gar nicht erst hierher eingeladen.
In der Halle geht eher ein Theaterspektakel als ein Wahlkampf vonstatten. Die Masse feiert sich selbst als Beweis für Londons Diversität: Mehr als die Hälfte der Stadtbewohner bezeichnet sich selbst als „nichtweiße Briten“, 37 Prozent der Londoner sind im Ausland geboren. Über den Geländern der Tribünen hängen albanische und kolumbianische Fahnen, zu sehen sind Verschleierungen in allen Nuancen. Der Chor einer schwarzen Kirchengemeinde singt „We Shall Overcome“.
Die London-Citizens-Mitglieder haben seit Sommer 2015 in einem aufwändigen Beteiligungsprozess eine Wahlagenda erarbeitet, auf die nun beide Kandidaten eingeschworen werden sollen. Es geht um existenzsichernde Löhne, gute Jobchancen für Berufsanfänger und ein Bleiberecht für Tausende junger Immigranten.
Alle Themen werden szenisch dargestellt, und die beiden Kandidaten sind von der strengen Choreografie dazu verdammt, knappe Stellungnahmen abzugeben. Inhaltlich gleichen sie sich, doch weicht Goldsmith vom Tory-Kurs ab, indem er etwa die Aufnahme von mehr syrischen Flüchtlingen fordert. So bleibt er Parteirebell, einer, der sonst mit Umweltschutzanliegen die Konservativen nervt. Und als Brexit-Befürworter macht er Cameron Sorgen, auch wenn er damit derzeit im Tory-Mainstream schwimmt.
Wohnungen für die Ärmeren
Das überragende Thema des Abends ist die Wohnungskrise. Die Immobilienpreise und Mieten sind in London so hoch wie fast nirgendwo sonst auf der Welt, während der Bestand an Sozialwohnungen seit Jahrzehnten schrumpft. Die Zahl der Mieter auf dem freien Markt wächst, ohne dass diese irgendeinen Schutz genießen. In die Halle ziehen symbolisch Pflegepersonal und Feuerwehrleute ein. Lebensnotwendig für London, können sie sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten.
Der 15-jährige Dylan Wiggan spricht auf der Bühne für diejenigen, die unter der Krise leiden. „Seit meinem achten Lebensjahr musste ich schon fünf Mal umziehen, weil meinen Eltern gekündigt wurde.“ Die Wohnungen, die gerade gebaut würden, so Dylan, seien nicht für Leute wie ihn gedacht, und seine Freunde lebten in Blocks, die zum Abriss vorgesehen seien.
Im Gegensatz zu Amtsinhaber Boris Johnson und auch zu dessen Vorgänger, dem Labour-Mann Ken Livingstone, sind weder Goldsmith noch Khan charismatische Redner. In der Wohnungsfrage aber nutzt Khan seine Chance, auf der Bühne Volksnähe zu demonstrieren. Wie schon so oft im Wahlkampf betont er, wie stolz er sei, in einer Sozialwohnung aufgewachsen zu sein. Und setzt sich deutlich von seinem Rivalen ab.
Wahlen: Am 5. Mai findet neben der Parlamentswahl in Schottland und Wales die Wahl des neuen Bürgermeisters und der Abgeordneten des Stadtparlaments von London statt.
Kandidaten: 12 Kandidaten bewerben sich um das Amt des Stadtoberhaupts. Umfragen sehen Labour-Kandidat Sadiq Khan 20 Punkte vor dem Konservativen Zac Goldsmith. (op)
Zwar wollen beide die Planungsverfahren transparenter machen, 50.000 Wohnungen jährlich bauen, dafür so viel kommunales Land wie möglich erschließen und zuerst die Londoner in den Genuss der neuen Wohnungen kommen lassen. Doch anders als Goldsmith will Khan die Forderung von London Citizens erfüllen, dass 50 Prozent davon unter die Kategorie „erschwinglicher Wohnraum“ fallen sollen, der nicht mehr als ein Drittel des Einkommens kosten dürfe. „Hand in Hand, Schulter an Schulter – gemeinsam können wir die Wohnungskrise lösen“, wendet er sich pathetisch ans Publikum.
Dabei ist auch Khans Programm höchstens eine Modifizierung der erfolglosen Strategie der bisherigen Bürgermeister, mit privaten Bauherren um Zugeständnisse zu ringen. Und wie teuer „erschwinglicher Wohnraum“ sein darf, wird noch immer auf nationaler Ebene definiert. Nach Ansicht der Regierung darf er 80 Prozent des Marktwerts kosten. Für Londons Feuerwehrleute und Krankenschwestern unbezahlbar.
„Besser das Übel, das man schon kennt“
Goldsmith lächelt gequält bei den Versprechungen Khans. Die 50-Prozent-Quote für erschwinglichen Wohnraum im Neubau sieht er als Bremse für eine erhöhte Bautätigkeit. Ausgerechnet Robert, der Vater von Dylan, der sich abseits der Bühne stolz über den Auftritt seines Sohnes zeigt, will ihm trotzdem seine Stimme geben. Goldsmith habe nichts versprochen, von dem er wisse, dass er es nicht halten könne. „Wo soll das Geld herkommen für Khans Pläne? Also: besser das Übel, das man schon kennt“.
Goldsmiths Berater stammen aus dem Team des Wahlkampfstrategen Lynton Crosby, der David Cameron zum Überraschungssieg bei der vergangenen Unterhauswahl verhalf. Ihren Schützling wiesen sie an, die aristokratische Höflichkeit abzulegen. Im März erhielten Londoner mit Hindu-Namen ein Anschreiben von den Tories, in dem diese davor warnen, dass Khan sie zu „Laborratten“ für Labours Jeremy-Corbyn-Experiment mache. Und tamilischen Haushalten sandte die Partei Post, in welcher die Steuerpolitik von Labour als Gefahr für den „Familienschmuck“ beschrieben wurde. Persönlich warf Goldsmith Khan mehrmals vor, er hätte schon öfter das Podium mit Extremisten wie etwa dem radikalen Prediger und angeblichen IS-Sympathisanten Suleiman Gani geteilt.
Khans Parteifreunde unterstellen Goldsmith und den Tories, eine islamophobe Kampagne zu führen. Der Labour-Kandidat, dessen Unterstützung der Homo-Ehe ihm schon eine Fatwa durch einen Imam eingebracht hat, kontert, dass er als Menschenrechtsanwalt und Politiker öfter mal mit Leuten auftrete, mit denen er nicht übereinstimme. Und Suleiman Gani verlautbarte, dass er gar kein Isis-Freund sei. Vor der Unterhauswahl habe er vielmehr auf Anfrage Wahlkampf für die Konservativen gemacht, erklärte er und twitterte ein Foto, dass ihn mit Goldsmith zeigt.
Lieber Mr Nice Guy
Die Attacken der Tories zielen nicht zuletzt auch auf Labour-Führer Jeremy Corbyn ab. Ihm würde ein Sieg Khans innerparteilich Luft verschaffen. Doch genauso wenig, wie Goldsmith ein Mann Camerons ist, ist Khan ein Corbynist, auch wenn er dem Vertreter des linken Flügels vergangenes Jahr die Kandidatur zur Parteispitze ermöglicht hatte. Im Wahlkampf traten sie nur zweimal gemeinsam auf. Aktuell wirft Khan seinem Parteichef vor, nicht entschieden genug gegen Exbürgermeister Livingstone und dessen jüngste Auslassungen über Hitlers Sympathien für den Zionismus vorzugehen. Öffentlich sorgt er sich, dass jüdische Wähler deswegen zögern könnten, ihr Kreuz hinter seinen Namen zu setzen.
Bei der Veranstaltung von London Citizens in der Halle auf dem Olympiagelände haben spalterische Worte allerdings keinen Platz. Muslimische und jüdische Geistliche sprechen simultan ein Gebet. Und Zac Goldsmith tritt als der Mr Nice Guy auf, der er trotz der ihm von seinen Wahlstrategen verschriebenen Aggressivität offensichtlich auch lieber ist. Am Ende scheint es, als sei er gar erleichtert darüber, in der Inszenierung des Abends nur die zweite Hauptrolle gespielt zu haben. Nach der Veranstaltung wollen zahlreiche Besucher jeglicher Hautfarbe und Religion ein Selfie mit Sadiq Khan ergattern. Der Tory-Kandidat hat da den Saal schon längst wieder verlassen.
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