Bürgermeisterstreit in Lichtenberg: Der letzte linke König
Lichtenberg ist der letzte Berliner Bezirk, in dem die Linke noch den Bürgermeister stellen könnte. Doch auch die SPD erhebt Anspruch auf den Posten.
Denn in Marzahn-Hellersdorf und Pankow, die bisher von linken BürgermeisterInnen regiert wurden, lässt das Wahlergebnis das nicht mehr zu. Ein Linken-Politiker, der anonym bleiben will, sagte der taz: „Es gibt um den Vorschlag, die Linke in Lichtenberg soll eine Bürgermeisterin oder einen Bürgermeister nominieren, die/der nicht aus dem Bezirk kommt und darum dem vergifteten Klima gegenüber unbelastet ist.“
Noch hält die Linke in Lichtenberg jedoch am bisherigen Amtsinhaber Michael Grunst fest, wie die Linkenpolitikerin Kerstin Zimmer der taz sagte. „Darüber sprechen wir gerade mit allen demokratischen Parteien.“
Am 4. November konstituiert sich nicht nur das neue Abgeordnetenhaus. Auch die meisten Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) treffen sich dann zum ersten Mal in neuer Zusammensetzung und können die Bezirksämter wählen. Oder auch nicht, wenn es keine Einigekeit gibt. „Ich glaube nicht, dass wir da schon das Bezirksamt wählen“, sagt Kevin Hönicke (SPD), stellvertretender Bürgermeister, der taz.
Zwar ist die stärkste Fraktion mit 15 von 55 Sitzen die Linke – und damit stehen ihr zwei StadträtInnen sowie das Vorschlagsrecht auf den Bezirksbürgermeister zu. Doch Letzterer muss nicht zwangsläufig von der stärksten Fraktion kommen. Auch eine Zählgemeinschaft mehrerer Parteien, die eine Mehrheit in der BVV haben, kann jemanden vorschlagen. Und die SPD will über eine Zählgemeinschaft mit CDU und Grünen den bisherigen Stellvertreter Hönicke zum Bürgermeister machen. „Wir führen vertrauensvolle und konstruktive Gespräche mit allen Parteien außer der AfD“, so Hönicke.
Also auch mit der Linken, denn eine rot-rot-grüne Zählgemeinschaft, dann unter Führung der Linken, wäre ebenfalls möglich. Doch das Verhältnis zwischen Linken und SPD im Ostbezirk als unterkühlt zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Vor eineinhalb Jahren zog sich die damalige stellvertretende Bürgermeisterin Birgit Monteiro (SPD) zurück, weil ihr Verhältnis zu Grunst eisig war. Doch mit ihrem Nachfolger Hönicke läuft es kaum besser.
Die Grüne Daniela Ehlers spricht von „zwei Alphatieren, die ständig aufeinander losgehen.“ Das „Männermachogehabe“, so Ehlers, tue dem Bezirk nicht gut. Ihre Fraktion, die ihr Wahlergebnis mehr als verdoppelt hat und damit erstmals in Lichtenberg eine Stadträtin benennen kann, wird dafür in jedem Fall eine Frau nominieren. Das will auch die Linke für den ihr zustehenden zweiten Stadtratsposten. „Vielleicht können zwei neue Frauen ja für ein besseres Arbeitsklima sorgen“, hofft Zimmer.
Hönicke sagt, er und die SPD hätten vor allem bei der Planung von Gewerbegebieten und der Schulplanung mit den Linken quergelegen. Doch für alle diese Unterschiede hätte man mit gutem Willen Kompromisse finden können. Die kamen nicht zustande, und daran gab man sich gegenseitig die Schuld. Bereits getroffene Absprachen wurden nicht eingehalten, stattdessen wollte man sich auf Kosten des jeweils anderen profilieren.
Für Hönicke stellt sich daher die Frage: „Warum soll das jetzt klappen, wo mit den Grünen ein neuer Partner in die bisherige rot-rote Zählgemeinschaft hinzukommt?“ Hinzu käme, so Hönicke, dass die gute Haushaltslage in der Vergangenheit Konflikte entschärfen konnte. „Der Haushalt wird aber schwieriger.“
Die Grünen sind also in der Rolle des „Königmachers“, sie können entweder Grunst oder Hönicke zum Bürgermeister küren. „Da sondieren wir noch, die Entscheidung steht aus“, sagt Ehlers der taz. „Das hängt davon ab, mit wem wir unsere Kernanliegen am besten umsetzen können.“ Den fahrradgerechten Umbau des Bezirks beispielsweise hätten bisher alle anderen Parteien blockiert. An feministischen Projekten und solchen gegen rechts dürfe auch nicht gespart werden, so die Grüne.
Etwas ändern wird sich im Bezirk auch im Umgang mit der AfD. Zwar ist deren Stimmanteil um ein Drittel auf 12 Prozent geschrumpft, doch sie darf weiter einen Stadtrat stellen. Dessen Ressort hatten die anderen beim letzten Mal geschrumpft: Er durfte sich um streunende Katzen und Schrottautos kümmern. Das geht nicht mehr. Künftig sind alle Ressorts landeseinheitlich zugeschnitten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören