Bürgermeisterin über rechtes Mobbing: „Jetzt stehst du ganz alleine da“
Martina Angermann (SPD) wurde von Rechten gemobbt, bis sie krank wurde. Wenn sie aufgibt, könnte die AfD im sächsischen Arnsdorf zum Zug kommen.
Das Dorf, in dem Martina Angermann lebt, gehört noch zu Dresden, es fühlt sich aber schon sehr ländlich an. Von hier oben blickt man über das Dresdner Stadtzentrum bis in die Lausitz, auf der anderen Seite reicht der Blick bis in die Sächsische Schweiz und nach Tschechien. „Das ist Freiheit“, sagt Martina Angermann und strahlt. Hier oben weht immer ein frischer Wind, der ihr den Kopf durchpustet.
Angermann lebt mit ihrer Familie auf dem Gelände eines Bauernhofes, den ihr Urgroßvater vor mehr als hundert Jahren gekauft hat. An einem der Hänge hat sie eine Bank aufgestellt. Hier hat sie sich oft hingesetzt, wenn sie spät abends aus Arnsdorf kam und wieder etwas Schlimmes passiert war. Arnsdorf, die Gemeinde, deren Bürgermeisterin sie ist, liegt etwa zwanzig Kilometer nordöstlich von ihrem Wohnort. 2001 wurde Angermann gefragt, ob sie nicht für die SPD in Arnsdorf kandidieren wollte – seitdem hat sie sich in jedem Wahlkampf durchgesetzt.
2016 wurde der Ort deutschlandweit bekannt, weil eine rechte Bürgerwehr einen psychisch kranken Iraker an einen Baum fesselte, nachdem er in einem Supermarkt Unruhe verbreitet hatte. Die Hintergründe wurden nie aufgeklärt, der Prozess am Amtsgericht Kamenz wurde nach wenigen Stunden eingestellt. Zuvor war die Staatsanwaltschaft bedroht worden. In seiner Begründung sagte der Richter, dass das Opfer kurz vorher tot aufgefunden worden war und das öffentliche Interesse an dem Fall nicht so groß sei – eine grobe Fehleinschätzung, der Fall wurde überregional verfolgt, flankiert von Videos und einer Kampagne der rechten „Ein Prozent“-Bewegung.
Martina Angermann hat das Vorgehen der Bürgerwehr öffentlich verurteilt. Auch deshalb wurde sie in den vergangenen vier Jahren von Rechten gemobbt und bedroht. Im Februar brach sie zusammen, seitdem ist sie krankgeschrieben.
Vor unserem Interview hat Angermann ihre Psychologin um Rat gefragt. Die hat sie ermutigt, das Gespräch zu führen. Wir sitzen dabei in der Küche ihres Hauses. Während des Gesprächs bereitet sie das Mittagessen zu, gebratenen Fisch mit Kartoffelsalat.
taz am wochenende: Frau Angermann, wie geht es Ihnen zurzeit?
Martina Angermann: Ich bin wieder in meiner Mitte, ich habe meine Ruhe wiedergefunden und bin auf keinen böse. Ich habe noch nie so viel über diese ganzen Ereignisse geredet wie in letzter Zeit. Jetzt, wo ich zu Hause bin, mit meiner Hausarbeit, hab ich zum ersten Mal Gelegenheit, so richtig darüber nachzudenken. Da relativiert sich alles, und das ist auch gut so.
Wann waren Sie das erste Mal nach Ihrem Zusammenbruch wieder in Arnsdorf?
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Das war, als ich meine erste Krankschreibung vorbeigebracht habe. Da habe ich mich dazu gezwungen hinzufahren, um die Unterlagen nicht mit der Post zu schicken. Aber das war ein ganz schlimmer Besuch, ich habe sofort angefangen zu weinen. Mit der Zeit wurde es besser. Gemeinsam mit Journalisten war ich kürzlich wieder dort. Hinterher meinten die: So schwer ist Ihnen das aber nicht gefallen. Und ich glaube, das lag daran, dass ich nicht alleine war. Davor war ich so oft alleine. Ich musste alles mit mir selbst ausmachen.
Wissen Sie noch, wann die Rechten angefangen haben, Sie zu mobben?
Im Wahlkampf 2015. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon seit 14 Jahren Bürgermeisterin von Arnsdorf. Ein Mann aus der Gemeinde, der der Reichsbürgerszene zugeordnet wird, hat eine Facebookseite gegründet, auf der er mich und die Gemeinde beschimpft und meinen damaligen Gegenkandidaten von der CDU unterstützt hat. Dieser Gegenkandidat, Detlef Oelsner, war dann auch später bei der Bürgerwehr dabei und ist heute bei der AfD. Ich habe 2015 trotz der Hetze mit 75 Prozent der Stimmen gewonnen. Aber es war ein ganz böser Wahlkampf. Auf besagter Facebookseite war die Rede von Armbrüsten, die sich der Betreiber angeschafft hat. Er hat auch Bilder von Kampfhunden gepostet, die ihre Zähne fletschen. Und er hat eine Demo vor meinem Haus angekündigt. Nach dem Vorfall mit der Bürgerwehr kamen die ganzen Hassmails. Ich bin nicht mit dem Tod bedroht worden, aber ich wurde übel beschimpft.
Martina Angermann hat einen ganzen Ordner angelegt mit den Mails, die sie erhalten hat, und einigen Zeitungsartikeln. Sie blättert durch ihre Unterlagen, bei manchen Nachrichten lacht sie auf, bei anderen schüttelt sie den Kopf.
Kennen Sie die Leute, die Ihnen geschrieben haben?
Manche schon, viele aber auch nicht. Das war wie eine graue Masse. Inzwischen glaube ich, dass das auch von außen gesteuert wurde. Wir haben öfter Autos gesehen mit Freitaler Kennzeichen, als es in den Arnsdorfer Gemeindeversammlungen um Asylsachen ging. Daran hat man gemerkt, dass diese Leute sich alle kannten und vernetzt waren. Im ganzen Ort klebten Aufkleber der Identitären Bewegung und der Ein-Prozent-Kampagne. Ich habe ein Gespür dafür entwickelt, wenn irgendwas nicht stimmt. Ich schaue Leute an, spreche mit ihnen und weiß ungefähr, wie ich sie einordnen muss. Ich habe mir auch angewöhnt, rechte Zeichen zu erkennen.
Hatten Sie Rückhalt in der Gemeinde?
Ich hatte meine Verbündeten im Gemeinderat und es gab ein paar einzelne Leute aus dem Ort, die aufrecht waren. Aber viele hatten auch Angst. Ich habe darunter gelitten, dass die Mitte der Gesellschaft geschwiegen hat. Es gab Momente, wo ich mir dachte: Jetzt stehst du ganz alleine da.
Als der Prozess gegen die Bürgerwehr eingestellt wird, belagern rechte Rocker den Gemeinderat von Arnsdorf. Sie bedrohen Martina Angermann und fordern ihren Rücktritt und eine Entschuldigung. Die Stimmung im Ort ist angespannt. Zwei Gemeinderäte von der Fraktion „Buntes Arnsdorf“ ziehen weg, weil sie sich bedroht fühlen. Ihre Sitze werden nicht neu besetzt, da einer der Nachrücker gestorben ist und der andere Arnsdorf ebenfalls verlassen hat.
Nachdem der Prozess eingestellt worden war, wurde es ruhiger um Arnsdorf. Zumindest überregional. Wie ging es vor Ort weiter?
Die Rechten haben angefangen, die Vereine zu unterwandern, den Faschingsverein, den Badverein, den Fußballverein und die Feuerwehr. Ich habe mich in Arnsdorf nicht mehr sicher gefühlt. Ich bin mir vorgekommen wie eine Zielscheibe. Vor allem am Abend, wenn ich lange gearbeitet hatte, kam ich mir in meiner Einsamkeit bedroht vor. Das war eine ganz schlimme Zeit.
Damals hatte ich Martina Angermann erstmals zu einem Gespräch getroffen. Im April 2018, im Rathaus von Arnsdorf. Es war morgens um 10 Uhr, sie hatte Kuchen besorgt. Bevor wir begannen, hatte sie sorgfältig die Tür verschlossen: Sie wollte nicht, dass die Gemeindemitarbeiter mithören. Angermann erzählte, dass sie das Gefühl habe, dass sich in Arnsdorf eine rechte Zelle bilde. Dass sie sich unwohl fühle und auch schon überlegt habe, alles hinzuwerfen. Dass eine Supervision ihr schließlich geholfen habe und sie weitermache, weil einer standhaft bleiben müsse. „Aber wenn ich merke, dass ich gesundheitlich leide, höre ich auf“, sagte sie damals. „Ich habe auch eine Verantwortung gegenüber meiner Familie.“
Einige Monate später, Anfang 2019, diagnostizierte ihr Arzt: Burn-out.
ist seit 2001 Bürgermeisterin von Arnsdorf in Sachsen. Das 61-JährigeSPD-Mitglied war nach der Wende als Bürgermeisterin und Hauptamtsleiterin in verschiedenen Gemeindeverwaltungen tätig.
Wie haben Sie die Wochen nach Ihrem Zusammenbruch erlebt?
Am Anfang habe ich nur geheult und geschlafen. Ich habe dann eine Psychologin besucht, die meinte, ich habe ein Trauma. Es ist über die Monate langsam besser geworden, es hat einfach lange gedauert.
Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen?
Geholfen haben mir die paar Menschen, die mich immer unterstützt haben. Meine Familie. Meine nächsten Mitarbeiterinnen. Und mein Mann, der versucht hat, mich aufzuheitern, und mit mir ins Kino gegangen ist. Und schließlich ist es gut, dass ich nicht in Arnsdorf wohne, sondern außerhalb.
Dass Lokalpolitiker von Rechten bedroht werden, ist seit Langem bekannt, aber sie werden oft damit alleine gelassen, so wie Sie. Der Mord an Walter Lübcke war eine Zäsur. Wie ging es Ihnen, als Sie im Juni davon erfahren haben?
Das war schlimm. Wo es mich besonders geschaudert hat: Der Dresdner Anwalt Frank Hannig, der ein Mitglied der Arnsdorfer Bürgerwehr vertreten hatte, vertritt jetzt auch den Mörder von Walter Lübcke. Das zeigt mir, wie stark die rechte Szene vernetzt ist.
Martina Angermann zieht einen Brief des sächsischen Innenministers Roland Wöller (CDU) aus ihrem Ordner, der nach dem Mord an Walter Lübcke verschickt wurde. Betreff: Intensivierung des Schutzes für Amts- und Mandatsträger. Der Brief fordert Politiker auf, Angriffe anzuzeigen: „Die Kontaktaufnahme mit der Polizei ist […] Voraussetzung, um den Tätern das Handwerk zu legen und mit den Betroffenen geeignete Maßnahmen zu deren Schutz besprechen zu können.“ Martina Angermann lacht bitter auf.
Ich habe meine Hauptamtsleiterin mal gebeten, mir einen Überblick zu erstellen, was wir alles angezeigt haben und was alles unbeantwortet blieb, abgeschmettert wurde oder, wie man so schön sagt, hinter die Heizung gerutscht ist.
Martina Angermann hat vier Vorgänge angezeigt, darunter Verleumdungen und Bedrohungen. Alle Verfahren wurden eingestellt – oder sie hat nie eine Antwort von Polizei oder Staatsanwaltschaft erhalten.
Ich werde dem Innenminister einen Brief schreiben und ihm sagen: Herr Professor Wöller, Sie haben etwas Wesentliches in Ihrem Schreiben vergessen. Sie fordern die Bürgermeister auf, Angriffe anzuzeigen. Bitte prüfen Sie bei Ihren nachgeordneten Einrichtungen, welche Anzeigen unbeantwortet blieben.
Fühlten Sie sich von der Polizei geschützt?
Wenn wir eine bestimmte Gemeinderatssitzung hatten, dann habe ich die Polizei vorher kontaktiert und Bescheid gesagt. Die wären dann nicht weit weg gewesen, wenn was passiert wäre. Ich hatte dann irgendwann die Handynummer von einem Polizisten vom Staatsschutz. Der hat sich nicht nur um mich gekümmert, aber es war zumindest eine moralische Unterstützung. Wäre was mit mir passiert, hätte ich ihn anrufen können.
Haben Sie das Gefühl, dass die Polizei die rechte Szene in Arnsdorf unter Kontrolle hat?
Nein. Ich habe zur Polizei ganz am Anfang gesagt, dass wir aufpassen müssen, dass sich in Arnsdorf keine rechte Zelle bildet. Aber das wurde nie richtig aufgedröselt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass wir im ländlichen Raum sind. Das wäre in jedem anderen Dorf genauso. Wir haben keine Polizeistation in Arnsdorf, die in Radeberg haben sie auch zugemacht. Die nächste ist in Kamenz, das ist dreißig Kilometer entfernt. Wenn ich bei der Polizei angerufen habe, dann bin ich in Görlitz gelandet. Die wussten manchmal gar nicht, wo Arnsdorf ist.
Und wie geht es jetzt in Arnsdorf weiter?
Da ich schon so lange krank bin, geht es den Leuten durch den Kopf, ob ich irgendwann wiederkomme oder ob es Neuwahlen gibt. Die AfD steht schon in den Startlöchern und würde gerne in Arnsdorf den ersten Bürgermeister in Sachsen feiern. Detlef Oelsner, der bei der Bürgerwehr war, würde wohl für die AfD kandidieren. Hinter dem Mobbing steckt also durchaus auch Strategie.
Werden Sie als Bürgermeisterin zurückkehren?
Gerade ist die Stimmung so, dass sich viele Leute wünschen, dass ich wiederkomme. Aber ich will nicht wieder krank werden, ich kann das Risiko nicht eingehen. Der Amtsarzt wird jetzt ein Gutachten über meine Arbeitsfähigkeit erstellen, danach wird entschieden, wie es weitergeht.
Sie waren 18 Jahre lang die Bürgermeisterin von Arnsdorf, tut Ihnen das nicht auch weh, jetzt zu gehen?
Natürlich. Ich war so lange in diesem Ort, ich kenne so viele Menschen, ich war bei vielen Älteren zum Geburtstag. Über etliche Jahre war man eine Persönlichkeit, die geachtet wurde. Und dann wird etwas mit einem gemacht, dass man sich am liebsten verkrochen hätte. Aber auch wenn es mir wieder besser geht, ich bin nicht belastbar. Mit Arnsdorf ist es jetzt ein bisschen so wie Kinder großziehen und sie dann loslassen. Jeder Mensch ist ersetzbar.
Es geht vielen Bürgermeistern so wie Ihnen, sie müssen schlimme Beschimpfungen und Drohungen aushalten. Was könnte man tun, um sie zu stärken?
Wir bräuchten Unterstützung von der Politik weiter oben, die Länderregierungen müssten sich wirklich für ihre Bürgermeister einsetzen. Wichtig wäre auch, dass Internetmobbing bestraft wird und man das nicht abtut als freie Meinungsäußerung. Irgendwo sind Grenzen, auch Bürgermeister sind Menschen und dürfen nicht wie Freiwild behandelt werden. Die Kommunalpolitiker sind die Ersten, die zu greifen sind, und die werden angegriffen. Es gibt jetzt zum Glück ein paar Prozesse, aber das ist viel zu spät.
Was noch?
Wir Lokalpolitiker müssten uns eigentlich vernetzen, so wie es auch die Rechten tun. Wir wissen zu wenig voneinander. Es ist deprimierend zu erfahren, wie hier und dort wieder einer wegbricht, weil unsere Kraft auch nicht ausreicht. Manchmal ist das auch kein Mut, der uns auf unserem Posten hält, manchmal sind es Wut und Verzweiflung, die dazu führen, dass man nicht locker lässt. Und es war manchmal ganz schön viel Angst dabei.
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