Bürgerkrieg in Afghanistan: Wer ist der Stärkste im ganzen Land?
Mit ihren jüngsten Attacken stellen die Taliban die Machtfrage – und zwar an den Westen. Noch ist der eine Antwort schuldig.
Zwei amerikanische Soldaten und zwei Kontraktoren verloren ihr Leben. 17 weitere Soldaten wurden verletzt, darunter ein Pole, zwölf von ihnen so schwer, dass sie ins US-Armeehospital im rheinland-pfälzischen Landstuhl ausgeflogen werden mussten. Über afghanische Opfer ist bisher nichts bekannt.
Bei dem Attentäter soll es sich um einen früheren Talib handeln, der 2009 die Waffen abgegeben und einen Job in Bagram gefunden hatte und am Morgen mit Kollegen auf die Basis gekommen war. Wie er seinen Sprengstoff durch die extrem genauen Kontrollen geschmuggelt hat, ist bisher unklar.
Schon in der Nacht zu Sonnabend griff ein Talibankommando das deutsche Generalkonsulat im Zentrum der nordafghanischen Metropole Masar-e Scharif an. Zunächst sprengte ein zur Autobombe umgebauter Kohlelaster eine Bresche in die Umfassungsmauer, dann stürmten Kämpfer auf das Gelände.
Gegen deutsche Invasoren
Der Konsul soll nur durch die schnelle Reaktion eines Personenschützers gerettet worden sein, als er auf dem Weg in einen Schutzraum einem Angreifer in die Arme lief. Keiner der 21 Konsulatsmitarbeiter sei zu Schaden gekommen; sie seien in das Bundeswehrcamp Marmal außerhalb der Stadt evakuiert worden.
Mit dem Konsulat attackierten die Taliban erstmals ein ziviles deutsches Ziel. Ihre Begründung: Das „Invasorenland“ Deutschland gebe nachrichtendienstliche Informationen an die US-Truppen, die diese bei Luftangriffen verwendeten.
In Kundus kamen dabei am 3. November etwa 30 Zivilisten ums Leben. Trotzdem trafen die Taliban in Masar selbst wieder fast nur Zivilisten und ausschließlich Landsleute. Alle der nach UN-Angaben vier Toten und über 120 Verletzten des Angriffs sind Afghanen, die meisten von ihnen waren Passanten auf der am Abend belebten Straße vor dem Konsulat, wo nun ein riesiger Krater klafft und viele Gebäude in Trümmern liegen.
Steigerung der Angriffe um 35 Prozent
Die Gemengelage vor Ort hat sich mit dem Wahlsieg Donald Trumps ebenso wenig geändert wie die politische Linie. Noch am Tag vor der US-Wahl forderten die Taliban das designierte Staatsoberhaupt auf (sie wählten dazu bewusst ein geschlechtsunspezifisches Wort), alle Truppen abzuziehen und eine „entwürdigenden Niederlage“ zu vermeiden.
Sie dürften nun darauf hoffen, dass Trump frühere Tweets in Politik umsetzt, in denen er selbst einen Abzug befürwortet hatte, da „unsere Soldaten dort von den Afghanen getötet werden, die wir ausbilden“ und „wir Milliarden verschwenden, indem wir Straßen und Schulen für Leute bauen, die uns hassen.“ Diese Äußerungen liegen allerdings schon über zwei Jahre zurück, Neues vom designierten Präsidenten zum Krieg in Afghanistan gibt es bisher nicht.
Eskaliert haben die Taliban den Krieg schon seit Ende vorigen Jahres, und der Trend hält an. Die Kabuler Nachrichtenagentur berichtete gerade, dass nach ihren Recherchen im Oktober 2016 bei 193 Angriffen 3285 Menschen getötet oder verwundet worden seien – gegenüber September eine Steigerung von 35 Prozent bei den Angriffen und sogar um 83 Prozent bei der Zahl der Opfer.
Trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit bedrohen die Taliban akut den früheren Bundeswehrhauptstandort Kundus sowie fünf weitere Provinzhauptstädte sowie ein knappes Drittel der rund 100 Distriktzentren. In Kabul herrscht zunehmend gedrückte Stimmung angesichts einer Welle von Entführungen sowie andauernder Querelen in der sogenannten Nationalen Einheitsregierung. Es ist naheliegend, dass die Taliban in den nächsten Wochen und Monaten ihren Vormarsch im Land intensivieren werden.
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