Bürgerkrieg in Äthiopien: Tigray kommt nicht zur Ruhe
Wichtige Führer der einstigen Tigray-Guerilla TPLF sind nach äthiopischen Angaben in Haft oder tot. Die Kontroverse um Eritreas Eingriff eskaliert.
Tot, nach Angaben der Armee, sind TPLF-Sprecher Sekoture Getachew sowie Zeray Asgedom, der ehemalige TPLF-Finanzchef Daniel Assefa sowie der ehemalige Chef der äthiopischen Rundfunkbehörden (EBA), Zeray Asgedom, und der Journalist Abebe Asgedom.
Zu den Verhafteten gehören Sebhat Nega, der zusammen mit dem ehemaligen äthiopschen Premierminister Meles Zenawi 1975 die TPLF als Guerillaorganisation gegründet hatte. Unabhängige Bestätigungen gibt es nicht.
Immerhin aber bestätigen diese Meldungen, dass in verschiedenen Teilen von Tigray noch immer gekämpft wird, obwohl Äthiopiens Regierung bereits vor sechs Wochen den Sieg ausgerufen hatte. Vor allem in der Umgebung der Regionalhauptstadt Mekelle und den Orten Shire und Sheraro gibt es gewaltsame Auseinandersetzungen, meldet die UNO in einem Bericht.
Der Konflikt in Tigray hatte Anfang November begonnen, als TPLF-Einheiten eine Basis der äthiopischen Armee in der Region besetzten und Äthiopiens Premier Abiy Ahmed Luft- und Bodenangriffe anordnete. Die TPLF-Regierung wurde für abgesetzt erklärt, Äthiopiens Armee marschierte in Tigray ein, unterstützt von Milizen der Amhara-Region sowie mutmaßlich Truppen des Nachbarlandes Eritrea.
Nach der Einnahme von Mekelle Ende November erklärte die Regierung den Sieg, aber die TPLF schwor, weiterzukämpfen, und zog sich zurück in die Berge. Seitdem wurden ihre Führer gejagt.
„Eine ausländische Armee, die wir nicht wollten“
Vielfach wurde auch berichtet, dass die Armee des Nachbarlandes Eritrea an der Seite der äthiopischen Streitkräfte in Tigray kämpft und Übergriffe begeht. Es gibt unbestätigte Berichte, dass eritreische Truppen in Tigray geplündert haben und eritreische Flüchtlinge aus Lagern in Tigray zurück nach Eritrea entführt haben.
Zwar hat Abiy Ahmed die Präsenz Eritreas immer wieder verneint. Aber schließlich gab Generalmajor Belay Sayoum, Kommandeur des in Tigray stationierten Nordkommandos der äthiopischen Streitkräfte, das während eines Treffens mit Bürgern der Stadt zu.
„Eine ausländische Armee, die wir nicht wollten, ist hereingekommen“, sagte Belay in den Bemerkungen, die am 27. Dezember fielen und am 6. Januar in englischer Übersetzung von der Zeitung Addis Standard verbreitet wurden, nachdem auch Mekelles Bürgermeister Ataklit Hailselassie die Anwesenheit eritreischer Soldaten bestätigt und sich dabei auf den Generalmajor bezogen hatte.
„Wir kennen die Probleme, die aufgeworfen werden, es ist schmerzhaft, aber wer hat sie reingelassen?“, so der Generalmajor. „Sie waren nicht willkommen. Mein Gewissen erlaubt mir nicht, zu sagen: ‚Eritreische Armee, komm und hilf uns!‘ Wir können unsere eigenen Probleme selbst lösen.“
Die von Äthiopiens Zentralregierung eingesetzte provisorische Regionalverwaltung von Tigray kommentierte das nicht, aber kündigte „Disziplinarmaßnahmen“ gegen den Bürgermeister an, da er nicht dazu befugt sei, sich zu solchen Dingen zu äußern.
Die UNO hat jetzt von der äthiopischen Regierung ungehinderten Zugang zu Tigray gefordert. Nach UN-Angaben brauchen 2,3 Millionen Menschen, die Hälfte der Einwohner von Tigray, humanitäre Hilfe.
Bisher gab es für Hilfswerke nur selektiven Zugang. UN-Stellen berichten, dass Schulen, Krankenhäusern und Büros von Behörden geplündert worden sind. „Es wird befürchtet, dass die Unterbrechung der Überwachungs- und Kontrollaktivitäten für Covid in der Region für mehr als einen Monat und die massiven Bevölkerungsbewegungen und überfüllten Bedingungen in Vertriebenenlagern eine massive Übertragung der Pandemie möglich gemacht hat“, so die UNO.
Mehr als 50.000 Tigrayer, vor allem Frauen, Kinder und Älteren haben die Grenze überquert nach Sudan. Auch da sind die Lager übervoll.
Neuer Konflikt an der Grenze zu Sudan
Dazu kommt noch, das es jetzt Spannungen gibt entlang der Grenze zwischen Sudan und Äthiopien. Kurz nach dem Anfang des Konfliktes in Tigray bereits kam es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen sudanesischen und äthiopischen Streitkräften an der Grenze, wobei beide Seiten die jeweils andere dafür verantwortlich machten. Sudans Antwort war, Truppen ganz nah an der 774 Kilometer langen Grenze zu stationieren.
Mittelpunkt der Spannungen ist das Gebiet Fashaga, das zu Sudan gehört aber wo schon sehr lange äthiopische Bauern das fruchtbare Land bearbeiten und die Ernten nach Äthiopien transportieren. Sudan hat das immer zugelassen, aber jetzt hat Sudans Armee die Region besetzt und die Bauern nach Äthiopien zurückgeschickt, was dort für verärgerte Reaktionen sorgte.
Premier Abiy scheint die TPLF für diese Spannungen verantwortlich zu machen. „Parteien mit versteckten Motiven versuchen, Feindseligkeit und Misstrauen zwischen den Völkern zu erzeugen“, sagte er.
Beide Länder führen momentan Gespräche über eine Lösung der Kontroverse, die neben den Kämpfen in Tigray und den ungelösten Spannungen zwischen Sudan und Äthiopien um den Bau des Renaissance-Staudamms durch Äthiopien am Blauen Nil die regionale Sicherheitslage weiter verschlechtert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten