Krieg in Äthiopien: Heimliche Kriegspartei Eritrea

Eritrea soll direkt in die Kämpfe um die Kontrolle der äthiopischen Region Tigray verwickelt sein. Das berichten immer mehr Quellen.

Ein Grenzposten der Amhara Special Forces an der Grenze zu Eritea

Der Grenzübergang Humera zwischen Tigray und Eritrea Foto: Eduardo Soteras/afp

BERLIN taz |Welche Rolle spielt das Nachbarland Eritrea im Krieg der äthiopischen Regierung gegen die „Tigray-Volksbefreiungsfront“ (TPLF) in der Region Tigray an der eritreischen Grenze? Schon zu Beginn des Kriegs Anfang November hatte die TPLF dem Nachbarland vorgeworfen, der äthiopischen Armee militärisch unter die Arme zu greifen. Als Reaktion beschoss sie den Flughafen der eritreischen Hauptstadt Asmara. Nun erheben auch eritreische Exilanten schwere Vorwürfe gegen Eritrea.

Natsanet Kidane lebt seit 2014 in Deutschland, wo sie politisches Asyl bewilligt bekommen hat. Rezene Kalaeb, ein ehemaliger hochrangiger Militärarzt, kam 2015 nach Deutschland. Beide sind als Blogger tätig. Gegenüber der taz sagt Kalaeb: „Wir haben von mehreren ehemaligen Kollegen in Eritrea erfahren, dass das eritreische Regime unsere Brüder und Schwestern als Kanonenfutter an die Front schickt. Ohne vorab informiert zu werden, wohin es geht, wurden sie der äthiopischen Armee unterstellt und an die Front gefahren. Die Befehle erfolgen durch äthiopische Offiziere in amharischer Sprache.“ Die Eritreer müssten vor den äthiopischen Soldaten marschieren. „Sie sind eingequetscht zwischen der äthiopischen Armee und den Tigrayern in einem Krieg, der uns eigentlich nichts angeht.“ Es habe viele Tote unter ihnen gegeben.

In Eritrea herrscht für Männer faktisch lebenslanger Zwangsdienst, Frauen sind bis zur Geburt eines Kindes zwangsverpflichtet. Die Verpflichteten werden militärisch ausgebildet und im Militär oder zur Zwangsarbeit eingesetzt – und jetzt, so der Vorwurf, auch im Krieg.

Kidane berichtet vom Bruder eines in Deutschland lebenden Eritreers, der drei Monate lang vom Militär beurlaubt gewesen sei, um der Familie bei der Ernte zu helfen. „Nach Aussagen seines Bruders in Deutschland wollte er seinen Urlaubsschein verlängern, aber er wurde eingekarrt und ohne Vorwarnung an die Front geschickt.“

Auch eine Bekannte von Kidane, die noch in der Ausbildung gewesen sei, sei ohne Vorwarnung an die Front geschickt worden. „Sie wurde im militärischen Einsatz verletzt und hat ihren Vater angerufen. Der wollte sie besuchen, aber sie lehnte das ab, weil sie als Kriegsverletzte jetzt im Untergrund leben würde. Der Vater konnte seine Tochter danach nicht mehr telefonisch erreichen. Ihr Verwandter in Europa, der das ebenfalls versuchte, hatte auch keinen Erfolg.“

Dass die Frau in den Untergrund ging, hatte offenbar einen Grund: Laut Information der beiden Blogger gibt es einen militärischen Befehl, alle eritreischen Kriegsverletzten zu erschießen. Kalaeb hat das von einem ehemaligen Kollegen erfahren: Der habe Verletzte eingesammelt und seine Vorgesetzten gefragt, in welches Krankenhaus er sie bringen könne. Aber der Vorgesetzte habe gefordert, die Verletzten zu erschießen. „Mein Bekannter verweigerte den Befehl und desertierte. Er ist jetzt in großer Gefahr.“

Die Blogger wollen gehört haben, dass in den Krankenhäusern von Senafe, Dekemhare und Keren ausschließlich Amharisch sprechende Kriegsverletzte aus Äthiopien versorgt werden und kein einziger Eritreer. Im Krankenhaus von Dekemhare soll ein eritreischer Militärangehöriger, der sich bei der Ausbildung am Fuß verletzte, nicht behandelt worden sein – auf seine Beschwerde erhielt er die Auskunft, dass derzeit ausschließlich äthiopische Kriegsversehrte behandelt würden. Kalaeb: „Der Mann soll ausgerastet sein und hat zuerst vier äthiopische Offiziere und danach sich selbst erschossen.“

Rezene Kalaeb sagt, seit sein erstes Video Ende November online ging, riskiere man in Eritrea bereits sein Leben, wenn man nach Deutschland telefoniere. „Wir bekommen unsere Informationen jetzt nur über Umwege.“

„Aggressive Intervention“

Überprüfen lassen sich die Berichte der Exilanten im Einzelnen nicht, aber ihre Schilderungen werden grundsätzlich von anderen Quellen bestätigt. Die eritreische Menschenrechtsorganisation HRCE (Human Rights Concern Eritrea) spricht von einer „aggressiven Intervention eritreischer Streitkräfte in Tigray“ mit „unnötigen Toten auf beiden Seiten“.

Mesfin Hagos, ehemaliger eritreischer Verteidigungsminister im deutschen Exil, hat detailliert aufgeführt, welche eritreischen Divisionen wo in Tigray im Einsatz gewesen sein sollen. Nach seiner Darstellung ist Eritreas Eingreifen zurückzuführen auf den TPLF-Angriff auf das Regionalkommando Nord der äthiopischen Armee bei Tigrays Hauptstadt Mekelle in der Nacht zum 4. November – der Grund dafür, dass Äthiopiens Regierung noch in der Nacht den Krieg erklärte.

Die damals nach Eritrea geflohenen äthiopischen Einheiten seien mit eritreischer Hilfe zurück in den Krieg geschickt worden, so Hagos: „Als die reorganisierten und verstärkten äthiopischen Truppen an vier Fronten eine Reihe von Offensiven aus Eritrea nach Tigray starteten, leisteten eritreische Hilfstruppen Aufklärung und Logistik, ihre schweren Waffen deckten die vorrückenden äthiopischen Bundestruppen und nahmen schließlich aktiv an den Kampfhandlungen teil. Verlässliche Quellen haben zahlreiche eritreische Tote und Verwundete, darunter hohe Offiziere, bei Kämpfen tief innerhalb Äthiopiens bestätigt.“ Der Exminister beruft sich auf „zuverlässige Quellen innerhalb des eritreischen Verteidigungsministeriums“.

Die TPLF beschuldigte Eritrea am 10. November einer „Invasion“ Tigrays. Eritreas Regierung dementierte dies, Äthiopiens Verteidigungsminister Kenea Yadeta sprach von einer „kompletten Lüge“. Die TPLF bleibt bei ihrer Darstellung. „90 Prozent der in Tigray operierenden Streitkräfte sind aus Eritrea“, sagte vergangene Woche TPLF-Führungsmitglied Getachew Reda in einem Interview.

Die TPLF behauptet auch, eritreische Kriegsgefangene zu halten, und ein eritreischer Oppositionssender aus London hat entsprechende Videos und Fotos von Interviews übernommen. Kalaeb will darauf einen Mann erkannt haben, mit dem zusammen er in der Militärschule Sawa ausgebildet wurde. Seine Kollegin Kidane will von einem Mann aus Deutschland, den sie sehr gut kennt, gehört haben, dass sein Neffe auf einem der Fotos war.

Auch Flüchtlinge verwickelt

Die beiden Blogger sorgen sich auch um die Eritreer, die vor ihrer Regierung nach Äthiopien geflohen sind und in Tigray in Flüchtlingslagern leben – 96.000 nach UN-Angaben. Laut der in Berlin lebenden Dolmetscherin Freweyni Habtemariam seien bereits Tausende entführt worden. „Unter dem Vorwand, das Rote Kreuz würde sie umsiedeln, wurden sie zum Verlassen der Flüchtlingslager motiviert. Wir wissen nicht, von wem. Einige sind jetzt in Eritrea inhaftiert, von anderen gibt es kein Lebenszeichen.“ Journalisten berichten, dass zahlreiche eritreische Flüchtlinge jetzt aus Tigray in andere Landesteile Äthiopiens unterwegs seien.

Ein Bericht eines äthiopischen Flüchtlingshelfers, der die taz erreichte, spricht auch davon, dass eritreische Flüchtlinge in Tigray von Eritreas Armee bewaffnet worden seien, um gegen die einheimische Tigray-Bevölkerung vorzugehen. Eritreas Militär habe das Flüchtlingslager Hitsats am 19. November besetzt und Gewehre verteilt, so die auf den 28. November datierte Schilderung. Sie seien dann brandschatzend durch die Gegend gezogen. „Sie schlachten die Rinder, Schafe und Ziegen, sie verbrennen die reife Ernte, von der die Einheimischen ein Jahr lang leben wollten.“ Vier Tage später seien Tigray-Milizen angerückt und hätten die Eritreer in heftige Kämpfe mit vielen Toten verwickelt.

Viele Bobachter schreiben den beiden Machthabern – Abiy Ahmed in Äthiopien, Isaias Afeworki in Eritrea – ein gemeinsames Interesse zu, die TPLF zu zerschlagen. Abiy Ahmed wolle die alte Tigray-Militärelite unschädlich machen, die Äthiopiens Regierung bis zu seinem Amtsantritt 2018 dominierte; Isaias Afeworki revanchiere sich für den blutigen Grenzkrieg von 1998 bis 2000, der auf äthiopischer Seite von einer TPLF-dominierten Regierung geführt wurde und mit einer Niederlage Eritreas endete.

Die TPLF, selbst eine alte Guerillabewegung, geht derweil in Tigray in den Untergrund und kämpft weiter. Zwar hat Äthiopiens Regierung am Montag den siegreichen Abschluss der Militäroperation in Tigray verkündet – der Krieg ist aber nicht vorbei.

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