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Bürger*innenräte fürs KlimaForderung nach neuem Klimarat

Verschiedene Verbände fordern Bürger*innenbeteiligung in der Klimapolitik. Das soll für entschlossenere Maßnahmen und mehr Verständnis sorgen.

Kunstaktion von Fridays For Future vor dem Reichstag in Berlin zum 5. globalen Klimastreik im April Foto: Christian Mang/imago

Um die Folgen des Klimawandels abzumildern, sind drastische politische Maßnahmen notwendig, die alle Menschen betreffen. Deshalb müssen diese in klimapolitischen Fragen mehr mitbestimmen dürfen: Das ist der Tenor eines offenen Briefs, den die Initiative Klima-Mitbestimmung jetzt, Fridays For Future Deutschland sowie Extinction Rebellion am Donnerstag an den Umweltausschuss des Bundestags übergeben haben.

Unterzeichnet haben 169 weitere Organisationen, darunter die Klimaallianz, in der unter anderem BUND und WWF Mitglied sind. Zentrale Forderung des Briefs ist die Einberufung eines Bürger*innenrats zum Thema „Klimagerechtigkeit und Wege aus der ökologischen Krise“.

„Die breite zivilgesellschaftliche Unterstützung für den offenen Brief zeigt, dass neue politische Ansätze zum Umgang mit der Umwelt- und Klimakatastrophe längst überfällig sind“, sagte Lorenz Kramer von Extinction Rebellion. Die Initiator*innen versprechen sich aber nicht nur mehr Mitbestimmung, sondern vor allem eine größere Akzeptanz der Klimapolitik.

Deshalb müsse der Rat klaren Kriterien folgen: Die Vorschläge sollten möglichst konkret ausfallen, bis hin zu Gesetzesentwürfen. Die Arbeit müsse transparent dokumentiert und über Öffentlichkeitsarbeit vermittelt werden. In einer Konsultationsphase soll die Zivilgesellschaft eigene Vorschläge einbringen können.

Rat repräsentiert Querschnitt der Gesellschaft

Nach Einberufung des Rats durch die Bundesregierung sollen zunächst Einladungen an per Losverfahren ausgewälte Bürger*innen verschickt werden. Von denen, die teilnehmen wollen, werden wiederum etwa 150 Personen ausgewählt, die in Alter, Geschlecht, Wohnort, politischer Einstellung, Migrationshintergrund und beruflicher Qualifikation die deutsche Gesellschaft widerspiegeln. Gemeinsam mit einem Expert*innengremium aus Wissenschaft und Politik soll der Rat an sechs Wochenenden in sechs Monaten diskutieren und der Regierung schließlich gemeinsame Handlungsempfehlungen überreichen.

Diese Form der politischen Mitwirkung ist keineswegs neu. Schon 2015 hatte die Arbeit eines Bürger*innenrats wesentlich zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im erzkatholischen Irland beigetragen. Im ostbelgischen Regionalparlament ist ein Bürger*innenrat bereits eine dauerhafte Institution. Und in Frankreich liegen seit Mitte dieses Jahres klimapolitische Empfehlungen eines Bürger*innenrats vor, der infolge der Gelbwestenproteste entstanden war.

Auch in Deutschland schloss im vergangenen Jahr ein „Bürgerrat Demokratie“ seine Arbeit ab, während derzeit ein weitererer zum Thema „Deutschlands Rolle in der Welt“ in Planung ist. Auch Sylvia Kotting-Uhl (Grüne), die Vorsitzende des Umweltausschusses, begrüßte die Initiative.

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6 Kommentare

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  • Als erstes werden per Los Bürger:innen ausgewählt. Gibt es Ausschlusskriterien? Wird die Auslosung unabhängig überwacht? Wer bestimmt die 150, die anscheinend nicht ausgelost werden? Wer benennt Expert:innen in das Gremium? Sie werden maßgeblichen Einfluss auf den Bürger:innenrat haben. Der Rat soll Gesetzesentwürfe formulieren. Laien können das wahrscheinlich nicht. Beratende Juristen haben also auch großen Einfluss. Es sollten auch Einwohner Deutschlands teilnehmen, die keine Bürger sind. Egal, was sie beschließen, es ist nicht bindend, also Makulatur.

    • @Patricia Winter:

      Es gibt verschiedene Verfahren, wie die Teilnehmenden ausgewählt werden. Das gängigste läuft folgendermaßen ab:

      Per Brief wird eine große Anzahl an Einladungen (ca. 100.000 für einen bundesweiten Bürger*innenrat) an Menschen in ganz Deutschland verschickt. Dies kann entweder über das Postregister oder das Anwohnermelderegister der Kommunen erfolgen. Dabei wird auf eine ausgeglichene Verteilung der Adressen z. B. bezüglich der verschiedenen Regionen und Bundesländer sowie des Stadt-Land-Verhältnisses geachtet.

      Personen, die eine Einladung erhalten haben, können antworten und ihr Interesse an der Teilnahme am Bürger*innenrat bekunden. Die Teilnahme ist freiwillig. Aus dem Topf aller Interessierten werden dann ca. 100 bis 150 Personen zufällig ausgewählt. Das erfolgt so, dass der dabei entstehende Bürger*innenrat gemessen an einer Reihe von Kriterien repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ist. Diese Kriterien sind in der Regel z. B. Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Wohnort und Einstellung zum Thema des Bürger*innenrats (z. B. "Wie sehr sind Sie wegen der Klimakrise besorgt"). Es werden dann also Personen so ausgelost, dass am Ende die 150 Personen im Groben die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegelt. Dieses Auswahlverfahren wird auch als stratifizierte Stichprobe beschrieben.

    • @Patricia Winter:

      Es gibt auch keinen Grund dafür, Personen, die zufällig ausgewählt wurden, die Befugnis zu geben, verbindliche Entscheidungen zu treffen. Dafür sind die gewählten Parlamente da.

      Nach dem Artikel sollen die Ausgewählten ja nach mehreren Kriterien, u. a. der politischen Einstellung, die Gesellschaft widerspiegeln. Nimmt man das ernst und guckt man sich an, wie "ökologisch/klimaschützend" sich die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich verhält, wenn sie die Wahl hat, dann sind Beschlüsse zu erwarten, die von den Initiatoren des Rats bestimmt nicht gewollt sind. Da wird man bei der "zufälligen" Auswahl wohl ein wenig nachhelfen müssen.

  • Den 172 Organisationen ist vermutlich mindestens zum größten Teil klar, dass es eine einzige Regierungskonstellation gibt, bei der sie um die Umsetzung ihrer Forderungen nicht noch jahrelang kämpfen müssen.

    Und nein, das ist *nicht* Schwarz-Grün und auch nicht Grün-Schwarz.

    Das wird ein spannender Sommer, 2021. Mal schauen, was das Klima so anstellt.

  • Schöner Artikel! Wir von Klima-Mitbestimmung JETZT haben übrigens neben dem Offenen Brief auch eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht. Mit dieser fordern wir die Einberufung eines bundesweiten Bürger*innenrates zur Klimapolitik. Unterzeichnet werden kann noch bis zum 16. Dezember. Weitere Infos unter: petition.klima-mitbestimmung.jetzt/

    • @Johanna von Klima-Mitbestimmung JETZT:

      puh... also voll gut. ich freu mich ja riesig, dass Ihr die Petition gestartet habt. Aber warum!!!? auf der Bundestagsseite. Die ist nun wirklich nicht niederschwellig und hat ne mini-community. Kaum ne chance?!