Bürgerentscheid zu Flüchtlingsunterkunft: Fürstenauer wollen Flüchtlinge
Die Pommern-Kaserne im niedersächsischen Fürstenau soll bis zu 500 Geflüchtete aufnehmen. Ein Bürgerentscheid dagegen fand keine Mehrheit.
55,2 Prozent erklärten, die Stadt dürfe einen zehn Hektar großen Teil des Geländes ruhig an die Landesaufnahmebehörde vermieten, 44,8 Prozent lehnten dies ab. Damit ist das Bürgerbegehren, das die Unterbringung von bis zu 500 Geflüchteten an dieser Stelle verhindern wollte, gescheitert.
Er sei erleichtert, sagte der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde, Ernst Ehmke (SPD) gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ähnlich äußerten sich Stadtdirektor Matthias Wübbel (SPD) und Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD).
Und die grüne Landtagsfraktion jubelte in einer Pressemitteilung gar: „Sachliche Debatten über die Unterbringung von Geflüchteten sind möglich.“ Das liegt möglicherweise aber auch daran, dass die Debatte in Fürstenau nicht so ganz entlang der üblichen Frontstellungen verlief.
Verwirrende Fragestellung
Das fängt schon mit der Fragestellung an: „Lehnen Sie eine Vermietung/Verpachtung der ehemaligen Pommernkaserne durch die Stadt Fürstenau an die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen ab?“ Wer also keine Erstaufnahmeeinrichtung an dieser Stelle will, muss mit „Ja“ stimmen. Wer für die Unterkunft ist, mit „Nein“.
Dass dies so umständlich und missverständlich formuliert ist, musste die Stadtverwaltung immer wieder erklären. Es liegt daran, dass das Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) verfügt, dass ein Bürgerbegehren immer so formuliert sein muss, dass diejenigen, die mit den Initiatoren übereinstimmen, mit „Ja“ antworten können.
Die Initiatoren sind in diesem Fall zwei Anwohner, die von Anfang an betonten, nicht aus der rechten Ecke zu kommen, wie die NOZ berichtet. Sie betonen einerseits die Verärgerung darüber, nicht ausreichend informiert worden zu sein – und andrerseits die Sorge darum, dass eine Massenunterkunft eben nicht unbedingt integrationsfördernd ist.
Auf dem Gelände, das aktuell einem Privatmann gehört, der es aber gern an die Stadt verkaufen möchte, waren schon länger Geflüchtete untergebracht.
Allerdings hatte sich die Art der Unterbringung zwischenzeitlich geändert: Aus einer Notunterkunft für Ukrainerinnen wurde eine Erstaufnahmestelle, die Belegungszahlen änderten sich, die Fristen, zu denen dieses vorübergehende Arrangement auslaufen sollte auch immer wieder – die Anwohner fühlten sich dabei nicht mitgenommen.
Gleichzeitig wird diese Art von Kasernierung auch von Flüchtlingsorganisationen kritisch gesehen, weil sie eben tatsächlich eher zu Isolation als zur Integration führt.
Aber um das Wirrwarr komplett zu machen: Im Fall Fürstenau schiebt nun selbst die AfD das Integrationsargument vor, um sich gegen die Unterkunft auszusprechen. Andere sprechen sich gegen die Unterkunft aus, weil sie es lieber hätten, wenn das gesamte Gelände – die Stadt will insgesamt 40 Hektar kaufen – zur Entwicklung als Gewerbegebiet zur Verfügung stünde.
Stadt spart eigene Unterbringung
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nicht nur Mitleid mit den Geflüchteten haben, sondern auch deutliche Vorteile für die Stadt und ihre Kasse sehen. Die Verpachtung an die Landesaufnahmebehörde würde jährlich rund eine Million Euro einbringen – damit ließe sich der Ankauf und die Entwicklung des restlichen Geländes zumindest teilweise refinanzieren.
Außerdem sehen die bisherigen Vereinbarungen mit dem Land vor, dass die Erstaufnahmeeinrichtung auf die Zuweisungsquote angerechnet wird. Das heißt: Fürstenau braucht selbst keine Geflüchteten mehr unterzubringen, die dann im Ort mit anderen um knappen Wohnraum, Kita- und Schulplätze oder sonstige Kapazitäten konkurrieren. Dafür entstehen in der Einrichtung sogar noch Arbeitsplätze.
Trotzdem hat die Frage den Ort offenbar ziemlich gespalten: Die beiden Lager liegen nur um 390 Stimmen auseinander. Und auch die Wahlbeteiligung von 48,8 Prozent spricht dafür, dass die Sache viele Menschen bewegt hat.
Sie mag zwar auf den ersten Blick niedrig erscheinen, ist aber für einen Bürgerentscheid, der nicht mit anderen Wahlgängen zusammen stattgefunden hat, tatsächlich ziemlich gut. Rund 30 Prozent aller Bürgerentscheide in Niedersachsen scheitern daran, dass sich zu wenig Wahlberechtigte ins Wahllokal begeben, erklärt der Verein „Mehr Demokratie “ auf seiner Webseite.
Für den Rat ist diese Entscheidung nun bindend. Die Stadtverwaltung hat angekündigt, die Kauf- und Pachtvereinbarungen sobald wie möglich abstimmungsreif vorlegen zu wollen. Dann kann in Fürstenau wieder um andere Dinge gestritten werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich