Bücken und pflücken bis zur Rente: Warum Spargelstecher immer älter werden
Spargel wird in Deutschland meist von Arbeitern aus Osteuropa geerntet. Junges Personal kommt von dort aber kaum nach. Ein Ortsbesuch in Brandenburg.
Kaum etwas macht die Deutschen so stolz wie ihr Spargel – aber selber stechen wollen sie ihn nicht. Die Arbeit ist körperlich hart: Ab fünf Uhr morgens gebückt stehen, bis alle Reihen abgeerntet sind. Deshalb kommen die Erntehelfer meist aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Rumänien oder Kroatien, wo die Löhne niedriger sind.
Doch in den vergangenen Jahren wurde es selbst in diesen Ländern immer schwieriger, Arbeitskräfte für die Ernte zu finden – vor allem geeignete. Denn die stärksten Arbeiter seien die jungen Leute, sagt Kovacevic. Sie schaffen deutlich mehr Spargel pro Tag als die Älteren – und können auch mehr Kisten schleppen.
Alle Mitarbeitenden auf dem Spargelhof klagen über Rückenschmerzen und nehmen regelmäßig Schmerzmittel. „Jeder bringt hier Kisten voller Schmerzmittel mit“, sagt Kovacevic. „Was die Polen üblicherweise nehmen, weiß ich nicht, die Kroaten bringen Ibuprofen mit.“ Er selbst lässt sich jeden Mittwoch massieren, um Nacken- und Rückenschmerzen zu lindern.
Mehrmals am Tag geht er ohne warme Kleidung in die Kühlkammer – dort sind es vier Grad, draußen deutlich mehr. „Dieser ständige Temperaturwechsel macht die Muskeln kaputt.“
Sieben Tage, acht Kilometer
Der Spargelhof Simianer ist einer der kleineren Höfe in der deutschlandweit bekannten Spargelstadt Beelitz. Trotzdem werden hier täglich rund fünf Tonnen Spargel gestochen – in der Hochsaison im Mai sogar bis zu sieben Tonnen. Das bedeutet: Sieben Tage die Woche um fünf Uhr morgens anfangen und insgesamt acht Kilometer täglich laufen, bis alle Spargelreihen abgeerntet sind. Einen Tag auslassen geht nicht – der Spargel wächst zu schnell. „Aufstehen, essen, stechen, schlafen, weiter“, sagt der 65-jährige Edward Stefanow aus Polen.
Stefanow arbeitet seit 35 Jahren jede Saison auf dem Hof Simianer. Inzwischen kann er selbst keinen Spargel mehr stechen – sein Rücken macht das nicht mehr mit. Heute fährt er Spargelkisten zu Märkten in Berlin und Potsdam. „Das ist auch schweres Heben“, sagt er, „aber wenigstens muss ich nicht mehr den ganzen Tag gebückt stehen.“
Für die Zukunft des Hofes sieht er allerdings ein Problem: Die derzeitigen ausländischen Arbeitskräfte seien mittlerweile so alt, sagt er, dass sie bald zu krank zum Arbeiten oder gar tot seien.
„Eigentlich bräuchten wir noch 20 bis 30 zusätzliche Kollegen, um all die Arbeit zu bewältigen“, sagt er. „Jetzt müssen die wenigen vorhandenen Kräfte noch härter arbeiten, um alles rechtzeitig zu schaffen.“ Stefanow will nächstes Jahr in Rente gehen.
Weniger Alternativen für Rumänen
Der Spargelhof Simianer hat traditionell viel mit Kroaten und Polen gearbeitet – und leidet nun besonders unter dem Mangel an jungen Arbeitskräften. Denn gerade in diesen Ländern läuft es wirtschaftlich besser – und es gibt mehr Jobmöglichkeiten für junge Leute. Andere Höfe, die mit Rumänen arbeiten, haben laut dem Verband Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer weniger Probleme, da die wirtschaftliche Lage dort noch nicht so gut ist.
„Die Kinder der polnischen Spargelstecher konnten gute Schulen besuchen, weil ihre Eltern hier gutes Geld verdient haben“, sagt Verbandssprecher Simon Schumacher. „Deshalb stehen sie uns heute nicht mehr als Arbeitskräfte zur Verfügung.“
Der 65-jährige Ivo Jaric ist in Kroatien bereits im Ruhestand – doch jedes Jahr kommt er nach Simianer, um in der Spargelsaison zu arbeiten. Seine Rente reicht nicht zum Leben. Er hat Herzprobleme und sollte sich eigentlich schonen. Nach der Spargelsaison gönnt er sich zwei Wochen Urlaub in Kroatien – dann kehrt er zurück nach Deutschland, um auf einem Salathof bei Frankfurt am Main zu arbeiten. „Ich bin Optimist“, sagt er. „Es wird schon klappen.“
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