Büchnerpreis für Martin Mosebach: Im Zentrum der Welt
Martin Mosebach erhält Deutschlands bedeutendste Literaturauszeichnung. Lange war eine Preisverleihung nicht mehr so stark symbolisch aufgeladen wie diese.
Am Beginn des Berichts von der Reise, die Martin Mosebach weit weg von dem Mainstream der Bundesrepublik, aber, so ist zu vermuten, auch hin zum Büchnerpreis geführt hat, steht eine seltsam eingefrorene Familienszene. Es ist die erste Hälfte der Neunzigerjahre. Martin Mosebach, noch eher eine Szenegröße denn ein arrivierter Schriftsteller, macht sich auf, seinen Meister zu treffen: den antiliberalen Denker Nicolás Gómez Dávila. Das ist eine weite Reise; sie führt nicht nur bis nach Bogotá, sondern auch bis ans "Ende der Welt", so der Titel, den Mosebach seinem Bericht gegeben hat.
Der Besuch vollzieht sich zunächst so: "Im Dämmer der Halle haben sich die Bewohner versammelt, um einen der seltenen fremden Besucher zu begrüßen. Hierarchisch geordnet umgeben die Söhne, die Tochter und die Schwiegertöchter, die Enkel und Urenkel den Hausherrn, der am Ende der Halle in der Mitte steht und, obwohl gebeugt, an Körpergröße alle überragt. Das ist der Hauhalt des achtzigjährigen Don Nicolás Gómez Dávila."
Es fällt nicht schwer, in dieser fasziniert geschilderten Begrüßungsszene am Ende der Welt den Wunschtraum eines konservativen Intellektuellen zu entdecken. Da ist die geheimnisvoll dämmrige Halle. Da ist der, "obwohl gebeugt", alle überragende Meister. Und drumherum steht, Mosebach sagt es selbst, "hierarchisch geordnet" die Familie, vielleicht auch die Urgemeinde, die sich versammelt hat, um den neuen Jünger zu begrüßen.
Von dieser Szene aus lässt sich gut erklären, warum dieser Schriftsteller - jetzt mal alle feuilletonkatholischen Moden beiseite - für eine Rückkehr zur lateinischen Messe plädiert. Er hat einen Sinn für heile traditionale Ordnungen und ordnet sich offenbar gerne in Vorgefundenes ein. Auch, warum so viele Figuren im Werk des diesjährigen Büchnerpreisträgers etwas Karikiertes haben, lässt sich von ihr aus erahnen. Da sie von vornherein die Ordnung verfehlen, scheint dieser Autor seine eigenen Figuren nie wirklich ernst zu nehmen; stattdessen scheint er ihnen mit seiner, wie manche sagen, gewählten, wie man auch sagen kann: gelegentlich gestelzten Sprache immer auf die Sprünge helfen zu müssen.
Vor allem aber sollte man die Begrüßungsszene im Hinterkopf behalten, wenn man den Reisebericht weiterliest. Ergriffen schildert Mosebach nun den Meister selbst. Dabei fallen alle Zauberwörter, zu der Literaturgläubigkeit fähig ist. Von kostbaren Buchausgaben ist die Rede, von untergründigen Verbindungen quer durch die Weltliteratur, von der "Geistesverwandtschaft" Dávilas zu Baltasar Gracián, zu Baudelaire, zu Marc Aurel - "ein Priester, ein Dichter und ein Soldat". Den Arbeitsplatz Dávilas beschwört Mosebach dann noch als Ort, an dem um die tiefsten Geheimnisse der Welt gerungen wird, indem ganze Abhandlungen auf die Essenz einzelner Sentenzen reduziert werden.
So offenbart sich das Ende der Welt in Wirklichkeit als ihr geheimes Zentrum. Und der Ort, an dem die Bewohner, "hierarchisch geordnet", schicklich an ihren Plätzen stehen, erweist sich zugleich als Ort, an dem die Literatur noch Bedeutung hat.
Auch wenn das alles reichlich pathetisch klingt: Die These, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Martin Mosebach den Büchnerpreis keineswegs nur wegen seiner vielen Bücher, sondern vor allem wegen einer solch unbedingten Literaturgläubigkeit zuerkennt, ist keineswegs zu weit hergeholt. Nicht, dass irgendjemand in der Akademie das durchscheinende antiliberale Fasziniertsein im Ernst verteidigen würde. Aber es gibt offenbar ein Bedürfnis nach Autoren, die die Topoi einer klar geordneten literarischen Welt immer wieder noch einmal erzählen. Und genau solche Topoi einer literarischen Ordnung erzählt Martin Mosebach.
Mit gemischten Ergebnissen. Eins aber ist wahr: Lange war eine Büchnerpreis-Verleihung nicht mehr so symbolisch aufgeladen. Das zeigt sich nicht nur daran, dass viele Artikel über diesen Autor zuletzt eine Spur zu blumig orchestriert wirkten. Von einem "Unzeitgemäßen" war die Rede, von "Kulturkritik aus der Fülle heraus" und davon, dass sein Werk der verarmten Gegenwart den Spiegel vorhalte. Das alles sind Pathosformeln, die wie aus einem leer laufenden Geniekult noch ins Heute herüberzuwehen scheinen. Die symbolische Aufladung ließ sich aber auch an der Nervosität ablesen, die den Literaturbetrieb zuletzt ergriffen hat.
Im Grunde ist ja nichts Wildes passiert. Viele Jahre lang ist Martin Mosebach, längst aus Bogotá zurückgekehrt, von einer hübschen, kleinen Pressure-Group vor allem Frankfurter Literaturkritiker (Mosebach lebt selbst in Frankfurt) von Literaturpreis zu Literaturpreis getragen worden; dass er zugleich immer noch zugleich als Außenseiter galt, ist ein Rätsel für sich. Dann gab es in diesem Sommer viele positive Besprechungen, aber auch zwei Verrisse seines neuen Romans (einen davon in der taz) und zur Buchmesse noch einmal einen Verriss in der Zeit. Und die Literaturkritikerin Sigrid Löffler hat in einer großen Polemik das Kulturkonservative an Mosebach sehr ernst genommen und angemerkt, über diesen Preisträger "hätte sich der Namensgeber Georg Büchner, der feurige Aufklärer, Demokrat und Republikaner, vermutlich doch gewundert".
Normale Vorgänge, zumal bei so einem exzentrischen Werk wie dem von Martin Mosebach. Und doch: Die Gegenreaktionen fielen seltsam unverhältnismäßig aus. Die FAZ, die Welt und das Deutschlandradio schossen zurück wie im Kulturkampf. Ulrich Greiner hätte in der Zeit Sigrid Löffler offenbar am liebsten wegen Anti-Mosebach-Ressentiments aus der Kritikerkaste exkommuniziert. Und der Spiegel stellte dem Autor verständnisvoll die Frage: "Nun sind Sie auf einen Schlag in der Raubtierhöhle des deutschen Feuilleton- und Literaturbetriebs gelandet. Wie fühlen Sie sich?" Antwort Mosebach: "Es ist kräfteraubend."
Warum die Aufregung? Aus zwei Gründen. Zum einen soll der Romanautor Mosebach vor einer angeblichen Gesinnungskritik geschützt werden, die vor allem am Essayisten Mosebach ansetzt - bloß jetzt keine Reprise der Bocksgesang-Debatte! Dass zugleich aber viele Mosebach-Freunde Argumente verwenden, die den Essays dieses Autors entnommen sind, und Sigrid Löffler einfach Recht hat, wenn sie sagt, dass Begriffe wie "antimodern", "reaktionär" oder "kulturkonservativ" in ihnen ins Positive gedreht werden, steht auf einem anderen Blatt. Zum anderen will man sich von solchen Kritikern die Party einer unbedingten Literaturfeier beim Büchnerpreis offenbar auf gar keinen Fall vermiesen lassen.
Etwas von der Atmosphäre von Mosebachs Arkadien, dieser weltabgewandten Bibliothek hinter den sieben Bergen von Bogotá, soll offenbar auch die bundesrepublikanische Gegenwart erleuchten. Letztlich: Genau das ist ja auch die Funktion des Büchnerpreises in der deutschen Literaturlandschaft. Er ist dazu da, Lebenswerke zu hierarchisieren, die einen Autoren ins Zentrum zu rücken, die anderen am Rand zu halten, bis sie (wie bei Mosebach die Familie) alle wohl geordnet und schicklich ein jeder an seinem Platz stehen zur Begrüßung der neuen Jünger in der dämmrigen Halle der Literatur.
Die Frage ist nur, wie selbstaufgeklärt man das Geschäft betreibt. Es muss ja nicht gleich mit einem Augenzwinkern sein. Aber die auratischen Geister, die Martin Mosebach in seiner Reisebeschreibung ans Ende der Welt beschwört, sind heute wirklich fehl am Platz. Und überhaupt, man schaue sich diese Beschreibung auch noch einmal genau an: Deutlich sind in ihr literarische Muster erkennbar; die Beschwörung der Literatur als das geheime Zentrum der Welt ist selbst Literatur - eine Erzählung, nichts weiter!
Vielleicht kann man als Gegengift die Lektüre eines ganz anderen Werkes zu empfehlen: der "Unendlichen Geschichte". Ein dicklicher Junge wird darin bekanntlich von seinen Altersgenossen gehänselt, findet Trost in einem Buch und verliert sich schließlich darin (so wie Mosebach bei seinem Meister). Auch Michael Endes Roman ist nicht frei von literaturreligiösen Motiven. Aber er hat einen Vorteil: Man kommt, wenn man ihn liest, gar nicht darauf, sich auf seine literarische Sozialisation wer weiß was einzubilden. Bei Mosebach-Verehrern kann man sich da leider nicht so sicher sein.
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