Budgetkrise in der EU: Am besten „aussitzen“
Nach dem Veto Ungarns und Polens gegen den EU-Haushalt muss der deutsche Ratsvorsitz einen Weg aus der Blockade finden. Nur wie?
Ungarn und Polen haben ihr Veto eingelegt, um einen neuartigen Rechtsstaatsmechanismus zu verhindern, nach dem EU-Gelder bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien künftig gekürzt werden könnten. „Jetzt ist nicht die Zeit für Vetos“, reagierte Europa-Staatsminister Michael Roth am Dienstag in Brüssel – doch die Blockade hält an, die EU schlittert in die Krise.
Wie geht es jetzt weiter?
Das muss der deutsche EU-Vorsitz und damit letztlich Kanzlerin Angela Merkel entscheiden. Merkel trifft sich am Donnerstag mit ihren Amtskollegen zu einem virtuellen EU-Gipfel. Eigentlich soll es um die Coronapandemie gehen – doch nun rückt die Budgetkrise in den Vordergrund. Die Kanzlerin dürfte Ungarns Premier Viktor Orbán und den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki an ihre Verantwortung erinnern. Vor allem Italien und Spanien warten ungeduldig auf Finanzhilfen. Eine Lösung wird am Donnerstag aber noch nicht erwartet.
Welche Rolle hat Merkel bisher gespielt?
Die Kanzlerin hat sich zurückgehalten und das Streitthema Rechtsstaat weitgehend gemieden. Beim EU-Gipfel im Juli, der das strittige Finanzpaket ausgehandelt hat, spielte der Rechtsstaat nur eine Nebenrolle, Merkel hielt sich im Hintergrund und nannte keine Details. Die Vorlage des Rechtsstaatsmechanismus und die Verhandlungen mit dem Europaparlament überließ sie ihrem EU-Botschafter Michael Clauß, was zu Unmut bei vielen Abgeordneten führte. Auch nach dem Veto von Ungarn und Polen am Montag hielt sich die CDU-Politikerin bedeckt – und schickte ihren Europa-Staatsminister vor, der der SPD angehört.
Welche Optionen werden in Brüssel diskutiert?
Als Favorit gilt die Option „aussitzen“. Je mehr Zeit verstreicht, so die Hoffnung, desto größer werde der Druck auf Orbán und Morawiecki, einzulenken. Schließlich steht mit der Blockade ja auch das EU-Geld für Ungarn und Polen auf dem Spiel. Zudem dürften die Südländer bald unruhig werden. Mitten in der schlimmsten Wirtschaftskrise der EU-Geschichte könne es sich niemand leisten, Finanzhilfen zu verzögern, so das Kalkül. Ungarn versucht jedoch, den Spieß umzudrehen. „Wir erwarten neue Vorschläge, die mit den EU-Verträgen kohärent sind“, sagte der Sprecher der polnischen Regierung, Piotr Muller. Dazu müsste der deutsche EU-Vorsitz den Rechtsstaatsmechanismus aber noch einmal aufmachen.
Kann man den Rechtsstaatsmechanismus noch ändern?
Eigentlich nicht, denn er wurde von den EU-Staaten bereits mit qualifizierter Mehrheit (ohne Ungarn und Polen) beschlossen. Auf der Suche nach einem Kompromiss könnte der deutsche EU-Vorsitz allerdings auf seinen ursprünglichen Vorschlag zurückkommen. Er ist im Vergleich zum schließlich verabschiedeten Kompromiss mit dem Europaparlament wesentlich schwächer. So können Rechtsstaatsverstöße nur dann geahndet werden, wenn sie unmittelbar das EU-Budget bedrohen – was selbst in Ungarn kaum der Fall sein dürfte. Zudem sind längere Fristen vorgesehen.
Welche Rolle spielt die Parteipolitik?
Offiziell keine. Doch hinter den Kulissen rumort es gewaltig – vor allem in der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören. EVP-Chef Donald Tusk fordert den Rauswurf der ungarischen Regierungspartei Fidesz. „Wer auch immer gegen das Prinzip des Rechtsstaats ist, ist gegen Europa“, schrieb der liberale Pole auf Twitter. Er erwarte von allen EVP-Parteien eine klare Position. Doch CDU und CSU sträuben sich. „Ich glaube nicht, dass die blockierte Situation sich dadurch auflösen lässt, dass man die Fidesz aus der EVP ausschließt“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Das würde den Konflikt nur noch mehr anheizen.
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