Budget für Deutschland: Nur noch wenige Gigatonnen CO2
Berater:innen der Bundesregierung haben neu berechnet, wie viel Kohlendioxidausstoß Deutschland noch zusteht. Viel ist es nicht.
Das ergibt sich aus einer neuen Berechnung der Regierungsberater:innen vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. Die Zahlen werden am Mittwoch veröffentlicht und lagen der taz vorab vor. Demnach bleiben Deutschland ab diesem Jahr noch 3,1 Gigatonnen an CO2.
Ein richtiger Cut, plötzlich vom aktuell hohen Niveau ganz hinunter auf null, ist natürlich unrealistisch. Plausibler ist ein lineares Absinken, wodurch die Zeit des CO2-Ausstoßes ein wenig gestreckt werden könnte. Der Ausstoß der 3,1 Gigatonnen könnte sich so immerhin über neun Jahre verteilen. Er müsste dafür aber jedes Jahr um 10,8 Prozent sinken.
Das ist mehr als im Coronalockdown-Jahr 2020, in dem der CO2-Ausstoß in Deutschland um beispiellose 9,5 Prozent zurückging. Allerdings: Bei der Budgetrechnung geht es nur um Kohlendioxid. Andere klimaschädliche Gase wie Methan sind noch nicht berücksichtigt. Weil sie alle unterschiedlich lange in der Atmosphäre bleiben, kann kein zuverlässiges Gesamtbudget errechnet werden. Kohlendioxid ist von allen das wichtigste Treibhausgas.
Wie viel Risiko ist akzeptabel?
Will man sicherer fahren als mit einer Münzwurf-Wahrscheinlichkeit, wird es noch knapper. Für eine Zweidrittel-Chance auf die 1,5 Grad kann Deutschland noch drei Jahre so emittieren wie 2021 und müsste dann komplett emissionsfrei sein – oder den CO2-Ausstoß ab sofort jedes Jahr um 16,9 Prozent senken.
„Das noch verbleibende CO2-Budget schmilzt rapide“, warnt der Klimaforscher Wolfgang Lucht, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und Mitglied des Sachverständigenrats. Das sei vor allem eine Folge der verschleppten Energiewende in Deutschland. „Die Bundesregierung sollte jetzt mit noch mehr Nachdruck Maßnahmen für den industriellen und privaten Bereich beschließen, die uns auf einen Pfad bringen, der nachweisbar im Einklang mit den Klimazielen von Paris steht.“
Ob das der Fall ist oder nicht, ist gar nicht so leicht zu sagen. Das Pariser Weltklimaabkommen soll die Erderhitzung möglichst bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten begrenzen, auf jeden Fall aber bei „deutlich unter 2 Grad“. Mit welcher Erfolgswahrscheinlichkeit man diese Ziele angehen will – oder andersherum: welches Scheiternsrisiko akzeptabel ist –, legt das Abkommen nicht fest.
Auch die Aufteilung der Klimaschutz-Pflichten unter den Staaten ist nicht konkret geregelt. Ob ein Land genug macht oder nicht, darüber kann man sich deshalb im Prinzip streiten.
Die Staaten des globalen Südens und auch viele Klimaaktivist:innen fordern zum Beispiel, dass zu Buche schlagen muss, wer in der Vergangenheit schon überproportional viele klimaschädliche Emissionen verursacht hat. Das Problem: Industrieländer wie Deutschland hätten dann durch ihre historische Klimaschuld schon längst kein Budget mehr übrig.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat deshalb eine pragmatischere Variante gewählt. Er hat die vom Weltklimarat IPCC für die ganze Welt berechneten CO2-Budgets gleichmäßig auf jedem Menschen auf der Welt aufgeteilt – und zwar ab 2016, dem Jahr nach Beschluss des Paris-Abkommens. Damit hängt das Budget eines Landes von der Bevölkerungsgröße ab.
Die Bundesregierungen haben bisher Klimaziele festgelegt, ohne vorher ein CO2-Budget aufzustellen. Während wohl niemand seine Ausgaben planen würde, ohne in Betracht zu ziehen, wie viel Geld überhaupt auf dem Konto landet, funktioniert Klimapolitik oft genau so – damit ist Deutschland auch nicht allein.
Laut dem Sachverständigenrat für Umweltfragen entsprechen die aktuellen klimapolitischen Planungen ungefähr einem Budget, mit dem die Erderhitzung mit Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit die 1,75 Grad nicht übersteigt – sofern die Ziele denn eingehalten werden. Genau das ist aber der Knackpunkt: Dafür müssten die Emissionen jetzt jedes Jahr um 5,4 Prozent sinken.
Zuletzt stiegen die Emissionen aber sogar wieder ein Stück an, weil die Wirtschaft nach den Coronalockdowns 2020 wieder hochfuhr. Bleiben die Emissionen auf dem hohen aktuellen Niveau, reicht auch das 1,75-Grad-Budget nur noch 9 Jahre und drei Monate.
„Deutschland muss von allen fossilen Energieträgern unabhängig werden“, mahnt deshalb Klimaforscher Lucht, „nicht nur von denen aus Russland.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin