Buchbesprechung „Muslimaniac“: Fleck in der Familie
Wie Muslim*innen bis heute als „Problem“ erfunden werden: In „Muslimaniac“ seziert der Berliner Ozan Zakariya Keskinkılıç rassistische Stereotype.
Dann macht der Autor sich auf die Suche im Internet nach einem dunklen Fleck kurz über dem Po, von Kinderärz*innen als „Mongolischer Fleck“ oder „Hunnenfleck“ benannt, und wird fündig. Die Verwirrung über diese ersten Zeilen in „Muslimaniac“ könnten bei mir größer nicht sein. Denn auch meinem Kind wurde von einem Kinderarzt im Krankenhaus kurz nach der Geburt ein solcher „Mongolenfleck“ bescheinigt. Ich allerdings habe diese Kennzeichnung als fremd hingenommen, und der Fleck wurde bei uns eher belustigt ab und zu erwähnt. Bis jetzt.
Denn was der Autor an dieser Stelle erkennt, ist die rassistische Fortschreibung einer Entdeckung von Erwin Bälz, einem Anthropologen, der sich Anfang des letzten Jahrhunderts mit der Rassenforschung beschäftigte. Keskinkılıç kommt zu dem Schluss, dass die medizinische Fachdebatte über den „Mongolenfleck“ nicht neutral sei.
Das Buch des Berliner Politikwissenschaftlers und Lyrikers ist durchsetzt mit solch persönlichen Anekdoten, die sich abwechseln mit aktuellen politischen Bezügen zu den rechtsterroristischen Morden in Hanau und den NSU-Morden, aus denen, wie Keskinkılıç richtig anmerkt, im Hinblick auf eine Veränderung der Sprache wenig gelernt wurde. Nach der unsäglichen Bezeichnung „Döner-Morde“ für die Taten des Terrornetzwerks des NSU wurden die Morde in Hanau im Februar 2020, bei dem neun junge Menschen getötet wurden, als „Shisha-Morde“ bezeichnet.
„Kairo in Berlin“ mit „echten“ Ägyptern
Zu den aktuellen Anmerkungen, wie Muslim*innen immer wieder als das Fremde markiert werden, siehe die Kopftuchdebatte bei Lehrer*innen, kommen in diesem sehr kurzweilig geschriebenen Buch historische Bezüge, die auch den meisten Berliner*innen nicht geläufig sein dürften. Oder wussten Sie, dass es 1896 im Treptower Park im Rahmen einer Kolonialausstellung eine Sonderschau „Kairo in Berlin“ gab? Natürlich durften ägyptische Einwohner*innen nicht fehlen.
Ebenso erinnert Keskinkılıç an die Völkerschau 1927 im Berliner Zoo, simpel angekündigt als „Tripolis in Berlin“. Auch hier sollte das arabische Alltagsleben dargestellt werden mit einer Moschee als Kulisse und mit Menschen aus Nordafrika, die der damaligen Presse in die Notizblöcke diktierten, dass sie, wenn man sie nicht hinausließe, sie dort alles in Scherben schlagen würden.
Neben diesen für damalige Verhältnisse als „exotisch“ (auch so ein Wort) geltenden Orientschauen gibt es in diesem Buch auch eine Öffnung des Horizonts, etwa in dem Kapitel über die muslimisch-queere Szene. Es ist gespickt mit interessanten Rechercheansätzen des Autors, etwa diesem: „Hassan und ich begannen, schwule Pornoproduktionen aus den USA auf Stereotype zu durchforsten.“ Schön auch, dass Keskinkılıç seine eigene Spiritualität nicht außen vor lässt und der Leserin eloquent erzählt, warum für ihn die Sprache und die Lyrik erst durch die Religion erfahrbar wurden.
Denn er möchte, so sagt er, „Perspektiven drehen und Geschichte gegen den Strich lesen, das Nichterzählte zwischen den Zeilen herauskitzeln und verschüttete Spuren auflesen und alternative Linien ziehen, die gewohnte Ordnung irritieren, und stets zurückblicken“. Manchmal braucht es eben solch ein Buch, um zu erkennen, dass man sich jahrelang vermeintliche Steppenvolk-Urahnen in die Familiengeschichte hineininterpretiert hat. Das mit dem Irritieren hat also geklappt. Ein Dank an den Autor dafür und Adieu „Mongolenfleck“.
Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes. Körber-Stiftung, ISBN: 978-3-89684-289-3
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