piwik no script img

Buch über westliche AußenpolitikNach der Hybris

Der Politikwissenschaftler und Terrorexperte Peter Neumann inspiziert umsichtig die außenpolitischen Desaster des Westens von 1990 bis heute.

Die Taliban sind in Afghanistan zurück und haben ihren Kampf gegen die Frauen wieder aufgenommen Foto: Ebrahim Noroozi/dpa

Die Befreiung der Frauen in Afghanistan gilt manchen als einer der wenigen Erfolge des katastrophal verlaufenen Krieges der Nato. Wenn wir der kurzen Schilderung des Politikwissenschaftler Peter Neumann folgen, ist auch das eine bonbonfarbene Selbsttäuschung.

Die westlichen Regierungen begriffen nie, dass die repressivem Strukturen keineswegs Erfindungen der Taliban waren, sondern tief in den Traditionen des Landes wurzelten. Die Versuche westlicher NGOs, Frauen in der Provinz zu empowern, blieben bestenfalls folgenlos, manchmal provozierten sie sogar eine Verschärfung der Unterdrückung.

Die grüne Europaabgeordnete Hannah Neumann sieht im Rückblick einen fundamentalen Fehler: „Das Narrativ war: Wir gehen da hin und befreien die Frauen. Die Idee ist nicht falsch, basierte aber auf einem staatlich zentrierten Demokratieverständnis.“

Diese Episode zeigt einen typischen Defekt der Außenpolitik des Westens, der sich wie ein roter Faden durch die letzten 30 Jahren zieht. „Der neuen Weltunordnung“ zufolge neigt der Westen dazu, in einer selbstbezüglichen Überhöhung im Fremden sich selbst zu sehen – und daher wenig zu begreifen. Er verbündet sich mit dem, was ihm ähnlich scheint, und neigt dazu, alles, was anders ist, als moralisch minderwertig und politisch unbrauchbar zu bekämpfen.

Geschichte von Irrtümern

Es gibt eine Art liberalen Fundamentalismus, der von der Überlegenheit des (weißen) Westens ausgeht, nicht normativ, aber faktisch. Die Hochzeit dieser Deformation war die Zeit nach 9/11, als im „Krieg gegen den Terror“ eine „hysterische Bedrohungswahrnehmung“ (Neumann) dominierte.

Neumann, Professor in London, ist ein gefragter Terrorismusexperte. „Die neue Weltunordnung“ lässt die Politik des Westens seit 1990 Revue passieren – und zeigt eine Geschichte von Irrtümern und Selbstüberhöhungen, Fehlern und Lernblockaden. In dieser auf 300 Seiten konzentrierten kompakten Zusammenschau ist von der viel beschworenen systemischen Überlegenheit der Demokratien über autoritäre Regime – nämlich ihrer Fähigkeit zu Selbstreflexion und Korrektur – wenig zu finden.

Der Westen scheint unter Wiederholungszwang zu leiden und hielt „regime change“ sehr lange für ein brauchbares Mittel. Die Kompilation von Zitaten aus US-Thinkstanks erinnert daran, dass die Hybris, dass die ganze Welt wie der Westen werden oder dessen Regeln folgen soll, noch nicht so lange vorbei ist.

Neumann lenkt dabei den Blick über das Erwartbare – Afghanistan, Irak, Libyen – hinaus. Ein Kernirrtum identifiziert er schon in den frühen Neunzigern, als ein Teil der US-Elite an den von Francis Fukuyama diagnostizierten historisch endgültigen Sieg des Liberalismus glaubte. Damals verordneten US-Berater der postsowjetischen Wirtschaft neoliberale Rezepte, die zu einer katastrophalen Verarmung und zur Etablierung des Oligarchensystems führten. Das Ergebnis von beidem war Putin.

Kein Antiimperialismus à la Chomsky

Kein Missverständnis: Neumann ist ein überzeugter Liberaler, Vertreter westlicher Werte, zudem CDU-Mitglied. Er verwirft entschlossen den linken Antiimperalismus à la Chomsky als kaum brauchbares Deutungsmuster, blickt aber auch kritisch auf die auf pure Interessen fokussierte realpolitische Schule und auch die moralische, wertegeleitete Außenpolitik, die derzeit hoch im Kurs steht.

Diese Darstellung montierte geschickt Elemente aller drei Interpretationsschulen. Das Ergebnis ist eine umsichtige, abwägende, präzise Schilderung der Desaster des Westens.

Peter Neumann: „Die neue Weltunordnung“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023, 336 Seiten, 24 Euro

Was fast ausnahmslos fehlt, ist die andere Perspektive – der Blick aus China, Irak, Russland et al auf die westliche Politik. Das ist, angesichts dieser dichten, knappen Zusammenfassung kein Vorwurf, sondern eine Tatsache.

Was folgt aus all dem? Die Hoffnung, dass der Markt in China und Russland automatisch Demokratien erschaffen würde, war naiv. Im Westen frisst sich der autoritäre Rechtspopulismus wie Rost in bislang für widerstandsfähig gehaltene Demokratien. Neumann empfiehlt in einem allzu kurzen Schlussplädoyer als Ausweg eine nachhaltige, selbstreflexive Moderne – ohne Moral-Hybris, aber auch ohne den Universialismus zu begraben. Das klingt sympathisch, bleibt aber vage.

Das ändert jedoch nichts daran, dass „Die neue Weltunordnung“ ein nötiger Schritt zu einer selbstkritischen Bestandsaufnahme ist. Gerade jene, die bei jeder neuen Krise auf der Welt nach „regime change“ rufen, sollten es lesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Naja, ich finde, Demokratie hat schon ein paar mehr Vorteile als die Fähigkeit zu Selbstreflexion und Korrektur.

    Entweder wir glauben an ein paar unveräußerliche Menschenrechte und versuchen, diese zu exportieren, oder wir akzeptieren, dass andere Staaten/Kulturen das mit den Menschenrechten anders sehen.

  • Natürlich ist es eine Machtfrage, ob man universelle Menschenrechte postulieren kann, aber sollen wir jetzt, weil es immer schwieriger wird, jeden Autokraten, Faschisten und Theokraten in seinen Anschauungen gleichweitig halten ? Alles gleich zu werten aus Angst vor geschwurbeltem Neokolonialismus ist nur billige Beliebigkeit.



    Hätten die Nazis nicht den Krieg verloren und könnten also noch ihre Anschauung ausleben, sollte dann jemand dies auch als gleichwertig angesehenb werden, wenn man den nichts verurteilen darf. Dann müßte man die Unterdrückung der Uirguren auch einfach hinnehmen, schließlich sehen die Chinesen dies als richtig an und wer sind wir, daß wir unsere Sicht über die chinesische stellen dürften. Wie gesagt, die Macht wird die Durchsetzung entscheiden. In der iranischen Theokratie haben die alten Priestergestalten eben die Macht und haben ihre Sicht durchgesetzt,

  • Anders als Neumanns Buch vermittelt, gerieten westliche Hauptstädte nie in Verlegenheit, Wirklichkeiten in Regionen, in denen sie nach Nine Eleven01 militärisch intervenieren, entgegen Sprachregelung "Nation Building", Analysen zu unterziehen, Lehren zu entwickeln, als seien regionale Zustände, Traditionen nur bellende Hunde, während globale Karawane intervenierender Mächte weiterzieht, einmal hier, einmal dort lagert, Leben, Umwelt verwüstet, korrumpierende Netzwerke dort und daheim an Parlamenten vorbei begünstigt hinterlässt, innenpolitischer Situation politischer Einflussnahme, Haushaltslage Zwängen bei Einnahme-, Ausgabenpolitik geschuldet. Das erinnert an Stephan Heyms Buch "Bitterer Lorbeer" 1947 über korrupte Netzwerke während Invasion Siziliens 1943 innerhalb US Army im Bunde mit örtlicher Mafia gegen Deutsche Wehrmacht, während faschistischer Rat in Rom Benito Mussolini abgesetzt, Berliner gegen Allianz mit Westalliierten tauschte. Heute kommt nach Kaltem Krieg 1990 hinzu, dass es an globalem Feind NS Regime 1933-1945, UdSSR 1922-1991 fehlt, Feindschaft, regional fragmentiert gilt, die allerdings durch russischen Angriffskrieg auf die Ukraine 24.2.2022 gerade außenpolitisch Urständ in neuem Kontext multipolarer Welt zu feiern droht. Da prallen 2 Welten aufeinander, Welt chinesischen Kriegstheoretikers Sunzi vor 3tausend Jahren, der durch militärisch erlangte Überlegenheit, unzerstört intakte Systeme Feindes übernehmen will, China gewogen kollaborierende Elite Teilen in Ämter hebt, und Carl von Clausewitz (1780-1831) These "Vom Kriege", der die Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln sei, in seiner umgedeuteten Version, militärische Mittel nicht mit Bedacht sondern Open End massiv unter großem Einsatz von Ressourcen bei Schonung eigenen Militärpersonals zur Zerstörung gegnerischer Infrastruktur einzusetzen, entgegen Westfälischen Friedens 1648, UN Charta Menschen-, Völkerrechts unter Inkaufnahme Zivilbevölkerung unter Angriffsterror zu halten

  • ich kann nur mit Wut auf diese Beschwichtigungsmasche von Reinecke und Peter Neumann reagieren.



    Die natürlich immer Krawall von Anarchisten in die SChranken weisen wollen. Das Hakkani-Terrornetzwerk aber nicht nach dem Motto "Da kann ma nichts machen" blablabla.



    Barbarei stoppen, pure Vernunft muss immer siegen!

  • Es gibt kein Lösungsansatz



    Russland: humanitäre und wirtschaftliche Hilfestellung (in den Krisenjahren),



    Einbindungsversuch in eine Wertegemeinschaft,..fehlgeschlagen!

    Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen etc.: Schlimmste Zustände, Hilfe ohne Erfolg



    Einmischung erfolglos, bis Lage verschlimmert.



    Südafrika, Brasilien, Mittelamerika, Asien : Verschlimmerung, von Menschenrechten



    sozialer Gerechtigkeit... weiter entfernt



    denn je.



    Ungarn, Türkei,Thailand etc. : bedenkliche Tendenzen..Abbau von demokratischen Rechten.

    Positive Beispiele....ich sehe weltweit KEINE, kein einziges.. oder sieht hier



    irgendjemand eine positive Entwicklung?

    Von Grauen bis schleichendem Unbehagen ist alles dabei...von positiven Vibes keine Spur.

  • Da ist schon Vieles richtig dran.

    Aber.

    „Das Narrativ war: Wir gehen da hin und befreien die Frauen. Die Idee ist nicht falsch, basierte aber auf einem staatlich zentrierten Demokratieverständnis“

    Die ganze Behauptung ist ja vollkommen falsch. Die NATO ist nach Afghanistan gegangen um den globalen Terror von Al Kaida zu beenden, welcher unter dem Schutz der Taliban standen. Und das hätte nach dem 11. September so ziemlich jeder Staat oder jedes Militärbündnis gemacht, dass dazu in der Lage gewesen wäre.

    Dass dann im Anschluss die "Demokratisierung Afghanistans" an wiederholten Fehleinschätzungen und Inkonsequenz gescheitert ist, stimmt natürlich.

    • @Deep South:

      Von AM Fischer wurde die Unterstützung des Militäreinmarsches in Afghanistan aber ständig mit der Frauenbefreiung begründet. Man wollte Demokratie und Gleichberechtigung "bringen". Natürlich standen aber vor allem Rache für 9/11 und die Ausschaltung der Taliban dahinter.

      • @resto:

        Die Unterstützung erfolgte aus dem Bündnisfall der NATO heraus und nicht nach Moralvorstellungen von Joschka Fischer. Brutalste Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung von Frauen gabs in Afgahnsitan schon etlliche Jahre vor dem Angriff. Ohne den elften September wären weder US Truppen noch Bundeswehr dort reingegangen. Wer behauptet, der Grund für den Afghanistan Einsatz wäre die "Befreiung der Frauen" gewesen liegt einfach gewaltig falsch.

        www.blaetter.de/au...-des-nato-vertrags