Buch über organisierte Kriminalität: Ein unüberschaubares Geflecht

Ob sie Nieren, Menschen oder Kokain schmuggeln, transnationale Kriminelle haben viel gemeinsam. Ein neuer Sammelband beleuchtet ihre Strukturen.

Vermutlich ist die organisierte Kriminalität schuld: Ein Mann vermisst in Mexiko seine Enkelin. Bild: ap

Am Anfang stand der Drogenhandel. War von der Transnationalen Organisierten Kriminalität die Rede, ging es früher praktisch immer um das Geschäft mit Rauschgift. Die Täter suchte man in einem kriminellen Raum außerhalb der Gesellschaft. Doch in den 1990er Jahren kam der „Turn“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Regine Schönenberg.

Von da an habe sich die Forschung damit beschäftigt, wie diese Strukturen entstehen und wie sie in der Gesellschaft verwurzelt sind. Das Ergebnis: „Unter der Oberfläche des scheinbar geregelten heimischen europäischen Marktes und globalen Warenaustauschs existiert ein unüberschaubares Geflecht informeller, illegaler und krimineller Austauschbeziehungen.“

Mit diesen komplexen Netzwerken beschäftigt sich das Buch „Transnational Organized Crime“, das am Dienstag im Berliner Sitz der Heinrich-Böll-Stiftung vorgestellt wurde. 25 internationale Autorinnen und Autoren – Wissenschaftler, Kriminalisten, Journalisten – bearbeiten in dem Sammelband verschiedene Aspekte des organisierten Verbrechens und gehen dabei auf zwölf Länder ein. Drogengeschäfte in Afghanistan, Erpressungen in Mexiko und Internetkriminalität in Russland spielen ebenso eine Rolle wie die Voraussetzungen, die diese Vergehen ermöglichen: korrupte Beamte, Geldwäsche in legalen Unternehmen, schwache staatliche Institutionen.

Eine wichtige Grundlage sei die Globalisierung des Marktes, beschreibt Mitherausgeberin Schönenberg, da dadurch mehr und mehr Waren transportiert würden. „Es wird immer schwieriger, in diesem Zusammenhang Licht und Schatten zu unterscheiden, die feine Linie zwischen legalen und illegalen wirtschaftlichem Austausch verwässert zusehends“, erklärt die Wissenschaftlerin. Sie verweist darauf, dass auch viele legale Güter geschmuggelt würden, um den Zoll zu umgehen.

Ob sie Nieren, Menschen oder Kokain über die Grenzen bringen, ist für die Kriminellen egal. Wer das große Geld machen will, muss die Handelsrouten kontrollieren, muss also über ein gut ausgebautes Netzwerk verfügen, dem korrupte Zollbeamte und Polizisten angehören wie bewaffnete Banden, die den Weg notfalls mit Gewalt absichern. „Die Leute, die wir verfolgen, weil sie Migranten einschleusen, sind dieselben, die Waffen und Drogen schmuggeln“, bestätigt die serbische Kriminalkommissarin Ivana McIlwaine.

Mit Blick auf illegalisierte Einwanderer sieht die Polizistin weltweit Parallelen. Pakistanische, afghanische und syrische Flüchtlinge würden in der Türkei oder Griechenland ebenso von den Schleusern zur Zwangsarbeit oder Prostitution gezwungen wie mittelamerikanische Migrantinnen und Migranten auf ihrem Weg in die USA.

Für den Organhandel entführt

McIlwaine ist nicht nur Polizistin, sondern auch Medizinerin. Sie hat vor allem den illegalen Handel mit Stammzellen, Blut und Organen im Blick. In ihrem Land, so erklärt sie, würden vor allem Roma Opfer dieser Verbrechen, weil viele von ihnen keine Papiere hätten. „In Serbien leben 127.000 Roma, 10 bis 15 Prozent existieren für die Behörden einfach gar nicht.“ Diese Menschen würden für den Organhandel entführt und verkauft.

Meist sind es politische und ökonomische Entwicklungen, die darüber entscheiden, ob eine Ware und eine Region für diese Form der Kriminalität interessant werden. So erklärt der Politikwissenschaftler Florian Kühn, dass seit der Intervention in Afghanistan wesentlich mehr Opium gepflanzt werde als zuvor, weil sicherer angebaut werden könne. Dank neuer Wasserprojekte sei es zudem inzwischen möglich, im Land selbst aus Opium Heroin zu raffinieren, wofür sauberes Wasser nötig sei. Schönenberg verweist darauf, dass erst durch die Entscheidung, ein Produkt zu verbieten, der Wert entstehe, der das Schmuggeln einer Ware attraktiv mache.

Womit sich unweigerlich die Frage stellt: Wäre eine Entkriminalisierung von Marihuana, Heroin oder Kokain ein Schlag gegen das transnationale Verbrechen? Die Autorin ist skeptisch: Solange die Migrationspolitik immer restriktiver werde, sei damit zu rechnen, dass dann auf den Routen anstatt Drogen noch mehr Menschen geschleust und ausgebeutet würden.

Heinrich-Böll-Stiftung und Regine Schönenberg (Hrsg.): „Transnational Organized Crime. Analysis of a Global Challenge to Democracy“. In engl. Sprache. Transcript Verlag, Bielefeld 2013, 308 Seiten, 24,80 Euro

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