Buch über den Pelicot-Prozess: Diskutieren ohne Männer
Bei der Buchpremiere von „Mit Männern leben“ über den Pelicot-Prozess wurde deutlich: Sexuelle Gewalt empört vor allem Frauen.
An einem Punkt des Gesprächs im Cinema Paris vergangene Woche wird die französische Philosophin Manon Garcia sehr deutlich: „Genug mit den Frauen“, sagt sie. „Das Problem sind die Männer und nicht wir.“
Mit diesem „wir“ sprach sie fast alle im Saal an: Die weiblich lesbaren Zuschauer im ausverkauften großen Kinosaal des Cinema Paris waren deutlich in der Überzahl. Auch das Podium war ausschließlich weiblich lesbar besetzt: Neben Garcia saß die Rechtsanwältin Christina Clemm, moderiert wurde das Gespräch von der Journalistin Stephanie Rohde.
Es hätte ein harmonischer, solidarischer Abend sein können – wäre da nicht das Thema gewesen: sexualisierte Gewalt. Eine existenzielle Bedrohung, die jede Frau treffen kann. Doch weibliche Solidarität allein reicht nicht, um sie zu bekämpfen. Auch Männer müssen sich engagieren – denen scheint das jedoch herzlich egal zu sein. Dieser Abend machte das erneut schmerzhaft deutlich.
Anlass des Gesprächs war die Premiere von Manon Garcias Buch „Mit Männern leben – Überlegungen zum Pelicot-Prozess“. Garcia reiste nach Avignon, um einen der aufsehenerregendsten Prozesse zu sexueller Gewalt der vergangenen Jahre zu verfolgen. Ihre Beobachtungen und Gedanken hielt sie in diesem Buch fest.
Der Fall ist monströs: Gisèle Pelicot wurde jahrelang von ihrem Mann betäubt, von ihm und fast 70 weiteren Männern vergewaltigt und dabei gefilmt. Selten zog ein Fall von sexueller Gewalt so viel Aufmerksamkeit auf sich. Gisèle Pelicot wurde als Heldin gefeiert, fast alle Täter verurteilt. Doch so erschütternd der Fall ist, Garcia betont in ihrem Buch das eigentlich Beunruhigende: die Normalität, die hinter dem Fall steckt.
Die fast 70 Männer, die dem Ruf von Pelicots Ehemann folgten, repräsentieren einen Querschnitt durch die französische Gesellschaft: Polizisten, Nachbarn, „ganz normale Männer“. Viele von ihnen sahen die Tat nicht als Verbrechen an. Freunde und Familienmitglieder betonten vor Gericht, was für „nette Kerle“ sie seien. Niemand aus ihrem Umfeld, dem sie davon erzählten, erstattete Anzeige.
Im Gerichtssaal wurden Videos der Vergewaltigungen gezeigt, berichtet Garcia. Immer wenn ein Mann darauf keine Erektion bekam, fragte ein Verteidiger, warum nicht. Doch niemand stellte die umgekehrte Frage: Wie konnten die Männer beim Anblick einer offensichtlich betäubten, schnarchenden Frau, der Speichel aus dem Mundwinkel tropft, überhaupt Erregung empfinden?
Einzelfälle zu skandalisieren reicht nicht aus
Garcias Buch verdeutlicht: Die gesellschaftliche Akzeptanz von sexualisierter Gewalt ist ein strukturelles Problem. Strafrecht allein kann es nicht lösen.
Einzelfälle zu skandalisieren reicht nicht aus, sagt auch Christina Clemm, die als Anwältin seit Jahren Opfer sexualisierter Gewalt vertritt. Sexuelle Gewalt ist kein Randphänomen, sondern Alltag – und sie wird so lange andauern, wie Männer ihr Verhalten nicht hinterfragen. Frauen könnten noch so viele Schutzräume schaffen, „ohne ein Umdenken der Männer sei Gewalt nicht zu beenden“.
Doch genau hier liegt das Problem. Clemm erzählt, dass sie kürzlich zu einer Lesung eingeladen war. Und dann, ganz typisch: Der Bürgermeister begrüßte das Publikum, entschuldigte sich und sagte beim Gehen: „Aber ich lasse Ihnen meine Frau da.“
Dass bei solchen Veranstaltungen fast nur Frauen im Publikum sitzen, sei symptomatisch, fügt Clemm hinzu. „Männer denken einfach, dass sexualisierte Gewalt sie nichts angeht.“ Ihre Worte klingen frustriert, als sie das sagt.
So lag über dem Abend ein Paradox: Es war ermutigend, zwei kluge, engagierte Frauen sprechen zu hören. Doch zugleich wurde ihre Ohnmacht spürbar: Solange Männer sich nicht selbst befragen, wird auch der klügste feministische Appell verhallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert