Buch über britische Postpunks Swell Maps: Bricolage mit Staubsauger
Gitarrist Jowe Head hat ein liebevoll aufgemachtes Buch veröffentlicht, das mit Fotos, Texten und Musik an seine Postpunkband Swell Maps erinnert.
Es ist der zweite Weihnachtstag 1977. Boxing Day nennen die Briten ihn, weil die Chefs an diesem Tag ihren Angestellten traditionell eine Geschenkbox überreichen. In ihrem privaten Kosmos ist die britische Band Swell Maps Chef, und hier in Manchesters Barbarella Club wollen die Musiker aus der Kleinstadt Solihull den Punks etwas schenken.
Ihren ersten Auftritt nämlich. Aber: „Die Leute hielten uns für Hippies, brüllten Schimpfwörter wie ‚Pink Floyd‘ “, erinnert sich Schlagzeuger Epic Soundtracks. „Niemand kapierte, was wir machten, weil wir nicht wie Bondage-Punks aussahen.“
Oft klangen sie auch nicht so. Mit Staubsauger und Strohhalmen, Klaviereinsprengseln und Radiorauschen garnierten die Swell Maps den garstigen Gitarrensound ihrer Songs zu einer improvisierten Bricolage, die Radio-Legende John Peel mit drei BBC-Sessions adelte. Ihre Alben leisteten einen wichtigen Beitrag zum guten Ruf des unabhängigen Rough-Trade-Labels. Sonic Youth, Pavement und Sebadoh sind nur die bekanntesten aus der langen Liste an Bands, die sich seither an der Entschlüsselung dieser Rezeptur abarbeiten.
Collage in Buchform
Konsequenterweise ist auch das Buch, das Swell-Maps-Bassist Jowe Head gerade über die Band veröffentlicht hat, eine Collage. Head montiert Fotos und Grafiken, Interviewpassagen mit Zeitgenossen und seine eigenen Erinnerungen zur kurzen Geschichte einer der einflussreichsten britischen Post-Punk-Bands. Wobei die Musik der Swell Maps eigentlich wie Prä-Punk klingt.
Jowe Head: „Swell Maps 1972–1980“. Sounds on Paper, Hastings 2022,142 Seiten, plus Single, ca. 30 Euro
Anfang der 1970er legt sich der fanatische T.-Rex-Fan und Teenager Adrian Godfrey (alias Nikki Sudden) eine Akustikgitarre zu und beginnt mit seinem mehr an den teutonischen Rhythmen von Can und Faust interessierten Bruder Kevin (alias Epic Soundtracks) nach der Schule zu jammen. Nachdem besagter Jowe Head mit einem Bass dazustößt, entsteht eine Vielzahl experimenteller Demo-Kassetten. Bis heute speisen sich daraus posthume Veröffentlichungen.
Oft tauchen die Swell Maps nur als biografische Zwischenstation ihrer Mitglieder auf. Adrian Godfrey etwa erlangte unter seinem Pseudonym Nikki Sudden als erzromantischer Seidenschal-Troubadour in den 80er und 90er Jahren einige Bekanntheit, bevor er mit kaum 50 starb. Sein Bruder rangierte trotz seines prägnanten Wahlnamens Epic Soundtracks und wunderschöner klaviergetragener Soloalben eher unter Geheimtipp. Er wurde nicht einmal 40.
Schnörkellose Schreibe
Jowe Head, den nunmehr einzigen Überlebenden der drei zentralen Swell-Maps-Musiker, kennt man hierzulande besser als langjährigen Bassisten-Clown der kultisch verehrten Mod-Pop-Band Television Personalities. Heads Buch ist weniger ein literarischer als ein musikhistorischer Gewinn. In schnörkelloser Schreibe verbindet es eine Vielzahl unbekannter Fotos und Flyer mit chronologischen Details der acht Jahre bis zum Auseinanderbrechen der Band im Frühjahr 1980.
Was das Buch auszeichnet, neben einem ungewöhnlichen Format und einer beiliegenden Vinylsingle, ist die Mischung aus Oral History und erfrischender Offenheit. Head verteilt kleine Spitzen, ohne dabei garstig zu werden.
Er zeigt Nikki Sudden als leicht egozentrischen Songwriter, der sein nasales Nölen nur notgedrungen zur Stimme der Band macht und sich auf Soundexperimente mit Wasserkrügen und Luftballons einlässt. Er zeigt Epic Soundtracks als unsicheren Nerd, der sich von den Beach Boys bis zu Krautrock manisch in viele Musikrichtungen vertieft und so großen Anteil am eigenwilligen Sound der Swell Maps hat.
Vor allem aber zeigt er eine Band, die schon mit ihrer Debütsingle, dem Überschall-Reggae „Read About Seymour“, der gegen Ende in Chaos entgleist, aus der Eindimensionalität des Punk ausgebrochen ist und deren Platten bis heute inspirierend klingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!