Album und Tour von Wreckless Eric: Winter, Möwen, nasse Müllsäcke

Wreckless Eric ist das One-Hit-Wonder des Punk. Warum der kauzige Troubadour immer noch auf Tour geht und dabei unmittelbar hart, aber gerecht klingt.

Wreckless Eric cool mit Sonnenbrille vor einem Spielcasino

Wreckless Eric, hier vor einem Spielcasino an der englischen Ärmelkanalküste Foto: Bert Eke

Der sicherste Weg zum erfolgreichen Song? Ihn im Finale der US-Football Liga NFL spielen. Als Ewan McGregor vor 200 Millio­nen Super-Bowl-Zuschauenden 2022 Werbung für einen Reiseanbieter machte, lief dazu Wreckless Erics „Whole Wide World“ im Hintergrund. Und alle sangen mit. Seither feiert das Lied einen weiteren Frühling. Der Spotify-Zähler steht inzwischen knapp vor 14 Millionen. 13,5 Millionen mehr als jedes andere Stück des Künstlers.

Album: „Leisureland“ (Tapete/Indigo);

Tour: 23.11. Stuttgart, „Merlin“; 24.11. Frankfurt, „Dreikönigskeller“; 25.11. Mannheim, „Blau“; 27.11. Berlin, „Monarch“.

Eric Goulden, wie Wreckless Eric bürgerlich heißt, will sich darüber nicht beschweren. Dabei hätte der Brite Grund, ein bisschen verbittert zu sein. Darüber, dass seine inzwischen im fünften Jahrzehnt angelangte Musikerlaufbahn von den allermeisten auf seine Debütsingle von 1977 reduziert wird. „Whole Wide World“ schwamm damals auf der Punk-Welle mit.

Musikalisch ein schlichtes, sehr eingängiges Liebeslied. Der sprunghafte Energieanstieg nach einem ruhigen, Spannung aufbauenden Intro und der ungeschliffene Vortrag machten den Gassenhauer anschlussfähig für eine neue, junge Hörerschaft, die genug hatte vom virtuosen Mucker-Bombast der 1970er.

Unter der Dusche aufgenommen

Gouldens Gesang könnte auch unter der Dusche aufgenommen sein. Handclaps helfen, auch unter stärkerem Alkoholeinfluss halbwegs im Takt dazu zu tanzen. Ein unpräten­tiöser Ohrwurm, der es damals nicht in die Charts schaffte, aber seither immer wieder auftaucht: Von den Monkees bis Green Day covern über die Jahrzehnte alle möglichen Bands „Whole Wide World“. Regelmäßig taucht das Stück in Film- und Serien-Soundtracks auf. Mit den Tan­tiemen bestreitet Goulden den Lebensunterhalt.

Das Touren hat Wreckless Eric trotzdem nie gestoppt. Mit schlohweißem Resthaar und der Elvis-Costello-Brille im rundlichen Gesicht sieht er nicht ganz so „rücksichtslos“ aus, wie sein Punk-Alias glauben machen will.

Ende der 1970er bestand sein Frühstück aus einer Bloody Mary und einer Packung Erdnüsse. Heute ist er nüchterner, ruhiger, aber immer noch ein großer Alleinunterhalter. Er mag es, jeden Abend Leute zu treffen. Für einen Solisten ist der Aufwand überschaubar, körperlich und seelisch. Keine schwere Technik schleppen, keine Dramen im Tourbus. Das Auto fährt er selbst.

Null Glanz, nur Elend einer Küstenstadt

Seine jüngstes Album, Nummer 19, erschien beim Hamburger Label Tapete. „Leisureland“ ist eine doppelte Rückkehr, musikalisch und thematisch. Nach Jahren in Frankreich und den USA kehrte Goulden zurück auf die Insel und besingt das Phänomen der englischen Küstenstadt, Orte wie seine Heimatstadt Newhaven.

Im Sommer stecken sie voller Urlaubender, deren Reisekasse in Franchise-Pubs, Daddelautomaten und Fish&Chips-Imbisse wandert, während die Einheimischen in Wohnblocks hinterm Supermarkt bleiben. Im Winter bilden sie ein trostloses Trauerspiel des Niedergangs, in dem Möwen nasse Müllsäcke zerpflücken. „Leisureland“ ist ein Musik gewordener Martin-Parr-­Fotoband.

Aufgenommen hat Goulden die Songs in den Catskills, der ländlichen Gegend nördlich von New York, in der er zuletzt mit seiner Frau lebte. Es ist ein krude arrangiertes Album aus Gitarren, Soundeffekten und Keyboards. Die gaben Wreckless Eric früher eine semi-psychedelische Note. Hier aber wirken sie wie eingeklebt in eine mutwillig kantige Collage. Eine Rückkehr zum Punk, zumindest in der Attitüde.

Live, nur mit der Akustischen vorgetragen, ziehen diese Songs sich auf ihren Kern zusammen. Das macht sie härter, unmittelbarer. Alles klangliche Binde­gewebe wird amputiert. Möwenschreie in der Musik verklingen, Synthies bleiben stumm. Bis nur noch dieser knurrige Kauz erklingt, der im nasalen Tonfall Geschichten über eine verblassende Heimat singt. Nach allem, was man über Großbritannien und seine Post-Brexit-Probleme erfährt, ist hier ein hochaktueller Musiker auf Tour.

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