Buch über Rolle des Auswärtigen Amtes: Schleier der Ignoranz
Eine vom Auswärtigen Amt geförderte Untersuchung der eigenen Rolle in Deutschlands Kolonialvergangenheit kommt zu unangenehmen Erkenntnissen.
Vergangenheitsbewältigung ist heikel. Je finsterer die Geschichte, desto strahlender die Gegenwart. Selbstkritik kann schnell in Selbstgefälligkeit umschlagen. In diese Falle hätte das Auswärtige Amt leicht tappen können, als es noch unter der Großen Koalition begann, die Aufarbeitung der eigenen Rolle im deutschen Kolonialismus in Angriff zu nehmen.
Als in den Räumen des Auswärtigen Amtes in Berlin am 5. Juni der daraus entstandene Sammelband „Das Auswärtige Amt und die Kolonien: Geschichte, Erinnerung, Erbe“ präsentiert wurde, lag diese Falle beängstigend nahe.
Carlos Haas, Brigitte Reinwald (et al.) (Hg.): „Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe“. C.H. Beck, München 2024, 592 S., 36 Euro
„Ignoranz und Fehleinschätzung mischten sich mit Machtansprüchen und Herrschaftsdenken“, fasste Außenministerin Annalena Baerbock die deutsche Kolonialvergangenheit zusammen: sie war „menschenverachtend und rassistisch“, das Auswärtige Amt trage dafür eine „klare Verantwortung“. Andererseits wolle man „auch nach vorne schauen“ und „ein offener Umgang mit unserer Geschichte ist Teil unserer Sicherheitspolitik“. Da schnappt die Falle zu.
Superiorität und Inferiorität
Der Sammelband selbst vermeidet diese Falle glücklicherweise. Auf 600 Seiten kommen 17 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – nicht nur aus Deutschland, auch aus den ehemaligen Kolonien Kamerun, Tansania und Togo sowie Australien, Österreich und den USA – zu Erkenntnissen, die Mitherausgeberin Brigitte Reinwald in Berlin resümiert: das Auswärtige Amt war „mitverantwortlich für Verbrechen“; es dachte und handelte in Kategorien von „Superiorität und Inferiorität“, also rassistisch; es hat sich seiner Verantwortung „bis in jüngste Zeit nicht gestellt“, und die deutsche Außenpolitik war von „Indifferenz und Ignoranz, Passivität und Relativierung“ geprägt.
Das ist ein ziemlich schonungsloses Fazit, und man hätte sich gewünscht, dass die Beiträge des Sammelbandes es stringent herausarbeiten. Die 16 Essays zwischen Einleitung und Schlusskapitel glänzen jeweils, aber ergeben kein homogenes Ganzes. Manches wird wiederholt angerissen, aber nirgends abschließend behandelt, darunter Basisthemen wie die der europäischen Aufteilung Afrikas zugrundeliegende Berliner Kongo-Konferenz von 1884/85.
Der beste Gesamtabriss der Entstehung des deutschen Kolonialreiches findet sich versteckt im Kapitel zu Kolonialdenkmälern. Die einzelnen Kapitel zu einzelnen Kolonien – Kamerun fehlt, seltsamerweise – behandeln ganz unterschiedliche Einzelfragen. Man sollte die Kolonialgeschichte bereits kennen, bevor man dieses Buch liest; aber dann erfährt man brisante historische Details.
Politisch brisant wird es im zweiten Teil über das „postkoloniale“ Deutschland. Einerseits hielt sich die Bundesrepublik Deutschland für kolonial unbelastet. Andererseits skizzierte das Auswärtige Amt 1953 im Zusammenhang mit der europäischen Einigung in einem Gutachten namens „Der Afrikaner und die neue Zeit“ eine Zukunft fortdauernder europäischer Dominanz, in der Afrika „allein die körperlich tätige Arbeitskraft“ stellt und Europa die „dem Europäer eigentümliche Initiative“.
Aktuelle Afrikapolitik
Die aktuelle Afrikapolitik Deutschlands und der EU durch diese Brille zu lesen wäre für manche Akteure sehr unangenehm. Darauf verzichtet der Sammelband, ebenso auf eine Analyse des Umgangs Deutschlands mit seinen Exkolonien, von der Unterstützung für Diktatoren bis zum Streit über Entschädigung für Völkermord mit Namibia.
Weitgehend ausgespart wird auch das Thema der menschlichen Überreste aus ehemaligen Kolonien in Deutschland. Ganz nebenbei erwähnt Baerbock das bei der Buchvorstellung: Leichenteile von 16.000 toten Afrikanern liegen in deutschen Museumskellern, nur die Hälfte ist einem Land zugeordnet. Da blitzt der brutale Horror und die unfassbare Perversion des deutschen Afrika-Kolonialismus auf. Kein Buch kann das in Worte fassen.
Reinwald stellt fest, „dass koloniale Denk- und Handlungsmuster aus der Phase des Raubkolonialismus […] in Deutschland hartnäckig fortleben“. Der Sammelband wirft die zum Umgang mit diesen Kontroversen nötigen Fragen auf – und macht neugierig auf mehr. Fast jedes Kapitel liest sich wie der Kern eines noch ungeschriebenen Buches. Man darf gespannt sein.
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