Buch über Krisen und Katastrophen: Wenn man selbst die Antwort nicht kennt
Sara Bildau hat „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“ herausgebracht. Darin erklärt sie, wie man Kindern das Zeitalter der Krisen vermitteln kann.

In seinem Besteller „Die Macht der Geographie“ aus dem Jahr 2015 schreibt der britische Journalist Tim Marshall, die Europäer lebten im Paradies, sollten aber nicht glauben, dass die Regeln des Paradieses auch draußen in der Welt der Macht Gültigkeit hätten.
Und nun, zehn Jahre später, stehen wir da, als „Gefangene der Geographie“ wie das Buch treffend im Original heißt: Im Osten die vollendet mafiös-faschistische atomare Schurkenmacht Russland, immer noch verdammt nah, so viele Staaten Ostmitteleuropas auch zwischen uns und Moskau liegen mögen, die sich seiner Herrschaft entzogen haben.
Im Westen, jenseits des Atlantiks – nicht nur geographisch ziemlich weit weg – das tendenziell mafiös-faschistische Regime in Washington. Und im Süden, wenn wir die Erkenntnisse der Wissenschaft und unsere eigenen Warnungen vor der Klimakatastrophe ernst nehmen, eine schon mittelfristig nur noch bedingt lebenswerte Großregion.
Und zwischen all dem steckt das einstige Paradies, unser Europa, das die ganze Welt kriegerisch kolonialisiert hat und dessen Industrien sie maßgeblich aufgeheizt haben.
Sara Bildau: Mama, kommt der Krieg auch zu uns? Wie wir Kindern Nachrichten erklären, die wir oft selbst nicht begreifen.
Mit einem Vorwort von Peter Maffay, GU Verlag, 2025, 224 Seiten, €22,99
Seriöses Handwerk
Das ist die Lage, in die derzeit Kinder hineinwachsen, ob sie nun, in der Diktion des Buches von Sara Bildau „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“, „unsere Große“ oder „unsere Kleine“ sind:
„„Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“, will meine Große plötzlich von mir mit erwartungsvollem Blick wissen. In Erwartung, dass ich sie wie so oft schnell beruhigen kann. Doch dieses Mal hat sie mich eiskalt erwischt. (…) Krieg auch in Deutschland? Allein der Gedanke daran war bis vor einiger Zeit völlig abwegig. Doch seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist diese Frage jeden Tag dringender und aufdringlicher geworden – ich stelle sie mir selbst oft. Die Antwort darauf kenne ich allerdings nicht.“
Aus dem Bedürfnis heraus, ihre Hilflosigkeit als Mutter nicht Überhand gewinnen zu lassen, begibt sich Sara Bildau mit seriösem journalistischem Handwerk auf die Suche. Sie gliedert das Thema nach Altersgruppen, interviewt einen Medienexperten, eine Lehrerin, eine Bildungsreferentin für Kitas und viele andere Menschen mit hilfreichen Analysen und Tipps.
Das Ergebnis ist dann ein wenig so selbsterklärend wie die überhand nehmenden Ernährungsempfehlung: also nur Dinge zu essen, die auch wie Essen aussehen, bewusst konsumieren, sich Zeit nehmen und so weiter.
Edle Aufgabe
Aber auch in diesem Katalog des scheinbar Selbstverständlichen gibt es Sätze, die viel stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gehämmert gehören, etwa wenn die Lehrerin Antje Menn betont: „Neben den Erziehungsberechtigten haben wir einen im Grundgesetz verankerten Erziehungsauftrag. Den müssen wir wahrnehmen, denn die Schule ist die einzige Sozialisationsinstanz, die alle Kinder durchlaufen. Wir haben die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler auf den lösungsorientierten Umgang mit Unsicherheiten vorzubereiten, um sie so stark und lebenstüchtig zu machen.“
Wer schulpflichtige Kinder hat, weiß, dass die Schulen für diese ja in der Tat und altmodisch gesagt edle Aufgabe nicht im mindesten ausgestattet sind. Harald Welzer hat kürzlich nochmal darauf hingewiesen, dass Kinder und Jugendliche als Wählergruppe irrelevant sind, nur 14 Prozent der Wahlberechtigten sind unter dreißig Jahre alt.
Aber auch hier wird nichts bleiben wie es ist. Denn an die Verstoßung aus dem Paradies und die neuen harten Verhältnisse der Macht werden sich die heute Jungen besser und schneller anpassen als die immer hilfloseren Alten.
In zehn Jahren wird die Welt nichts mehr mit dem relativ gelassen zu betrachtenden Pöstchen zu tun haben, das die europäischen Nachkriegsgenerationen erlebt haben. Nicht umsonst gibt es Marshalls Buch über „Die Macht der Geographie“ inzwischen auch schon in einer Ausgabe für Kinder ab 9 Jahren.
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