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Buch über „Die Erfindung des Nordens“Himmelsrichtung der Herzen

In Bernd Brunners „Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung“ geht es um Römer und Nazis, vermutete Monster und sehr reale Sehnsüchte.

Kurs Nordpol: Das Luftschiff „Norge“, hier im Mai 1926 über Spitzbergen, war ein italienisches Foto: National Library of Norway

Hamburg taz | Den Kern des Problems umreißt der Autor ziemlich früh: „Ist die entscheidende und interessantere Frage womöglich gar nicht, wo genau der ‚wirkliche‘ Norden oder die Arktis beginnt, sondern die, was wir für ‚Norden‘ halten?“

Was man banal finden könnte: In einer Kulturgeschichte, und so eine hat Bernd Brunner geschrieben, geht es um die Dinge ja höchstens so sehr wie um die Vorstellungen, die sich mit diesen Dingen verbinden; die Bedeutungen, mit denen diese Dinge aufgeladen werden.

„Die Geschichte des Nordens lässt sich mit verschiedenen Akzenten erzählen“, schreibt Brunner selbst. Ihm gehe es „um den Wandel der Zuschreibungen“ und „Sehnsüchte“, die sich an diese Himmelsrichtung knüpfte, und das seit der Antike. Beschäftigt sich so ein Routinier der geschmeidigen – in Buchhandelskategorien „populären“ – Wissensvermittlung mit der „Erfindung des Nordens“, geht das nicht ganz ohne Ausflüge etwa in die Kartografie. Die Physik aber spielt keine Rolle, statt um Magnetfelder also geht es doch eher um Meeresmonster: Die wurden ja lange angenommen, ganz da oben.

Nicht immer oben auf der Karte

Apropos oben: Da steht heute der Norden, auf Karten und darüber hinaus etwa auch in manchen Sprachbildern. Dass das auch mal anders gewesen ist, dass sich der Norden auf mittelalterlichen Weltdarstellungen muslimischen Hintergrunds unten fand, und die christliche Tradition es zeitweise diktierte, den Osten nach oben zu stellen: Das ist so eine von Brunners „Episoden und Schlaglichtern auf den Norden“.

Manche davon kurios, andere weniger: Dass der Komponist Richard Wagner etwas mit dem nordischen Sagenapparat am angeblich die Migräne fernhaltenden Hut hatte: Sicher. Dass den Nationalsozialisten, so wie schon ihren ach so aufgeklärten (und keineswegs nur deutschen) Vorläufern in Sachen Judenhass, ein nur mäßig auf Tatsachen fußendes Nordmenschen-Ideal vorschwebte: Stimmt, da war was.

Das Buch

Bernd Brunner: Die Erfindung des Nordens. Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung. Galiani Berlin 2019, 320 S., 24 Euro; E-Book 19,99 Euro

Lesungen: Sa, 28. 9., Wyk auf Föhr; Di, 1. 10., Husum; Mi, 2. 10., Hamburg; Mi. 9. 1., Berlin; Do, 10. 10., Flensburg

(Wenn wir aber heutigen Skandinavien-Fans darlegen würden, dass ihre Affinität zum nicht so Heißen, nicht so stark Gewürzten, zu protestantischer Besonnenheit und moderatem Liberalismus zurückzuverfolgen ist bis hin zu höchst nationalistischen, gegen Napoleon gerichteten Regungen – wie sehr würde das die Stimmung versauen, am Abendbrottisch in der norwegischen Skihütte?)

In 29 Kapiteln also reist Brunner durch Wissens- und Wissenschaftsgeschichte, nach Sibirien und Spitzbergen genauso wie auf den Spuren imaginärer Inseln oder der Öffnungen zum Erdinneren hin, die noch in der Neuzeit an den Polen vermutet wurden; um den Wettlauf in die Arktis geht es und den schwankenden Wert von Walfischknochen, um die längst nicht nur englische Schottlandbegeisterung und, überhaupt, eine Sehnsucht nach Unverbaut-Ursprünglichem.

Dafür schien der dünner besiedelte, kargere Norden einigermaßen stabil zu stehen, so schwankend er etwa in seinen konkreten Abmessungen begriffen worden ist. Freilich: Dann und wann glaubte man gerade in diese relative Leere den Ursprung aller Zivilisation verlegen zu können … oder, nein, doch eher die Wurzeln aller Kultur – so es denn half, sich etwa der vermeintlich veralteten „jüdischen Fabeln“ zu entledigen, also: der Bibel.

Im Kuriositätenkabinett

Dem eigentlichen Text voran- und nachgestellt sind zwei Abbildungen desselben: Einmal als zeitgenössischer Stich, einmal als nachgebaute Kunstinstallation sehen wir das Kuriositätenkabinett des Ole Worm, eines dänischen Arztes und gar Reichs-Archivars aus dem 17. Jahrhundert: Darin versammelte er Natur und Kultur, Knochen und ausgestopfte Tiere etwa, aber auch Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenstände – mit nur einer, kaum kuratorisch zu nennenden Klammer: Kam alles aus dem Norden (oder dem, was einer wie Worm damals dafür gehalten haben wird).

Als unterhaltsame, auch lehrreiche, aber nicht durchweg systematische Anordnung lässt sich auch das damit gerahmte Buch beschreiben. Dieser Tage stellt Brunner es da vor, wo es hingehört, geradezu.

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