Buch „Weil ein #Aufschrei nicht reicht“: Feminismus? Fuck, yeah!
Anne Wizorek initiierte die #Aufschrei-Kampagne. Jetzt liefert sie eine selbstbewusste Anleitung für ihren Twitter-Feminismus.
Jede Generation erfindet sich ihren eigenen Feminismus. In letzter Zeit aber beschleunigt sich das Ganze unglaublich: Gerade watschte Thea Dorns neue „F-Klasse“ im Jahr 2006 noch die vermeintlichen „Siebziger-Jahre-Feministinnen“ ab, da bogen schon 2008 die Alphamädchen mit ihrem Gruppenblog „Mädchenmannschaft“ um die Ecke, besangen die Schönheit des Feminismus und köderten ihre Altersgenossinnen mit dem Versprechen „Feministinnen haben besseren Sex“.
Das war die Kohorte der Bloggerinnen. Und schon ist die nächste Riege am Start: Twitter-Feminismus. Anne Wizorek hat nun das dazugehörige Buch vorgelegt: „Weil ein #Aufschrei nicht reicht – für einen Feminismus von heute".
Anne Wizorek ist die Medienberaterin, die eines Nachts über den Tweet einer Kollegin stolpert, die erzählt, wie der Arzt ihren Hintern tätschelt, als sie wegen eines Selbstmordversuchs im Krankenhaus liegt. Anne Wizorek schlägt vor, unter #Aufschrei Tweets zum Thema zu sammeln. Das Ganze explodiert in kürzester Zeit zu einer allgemeinen Sexismusdebatte mit Brüderle-Effekt.
Was ist neu am Twitter-Feminismus à la Wizorek? Vor allem natürlich: Twitter. Das bedeutet: direkten, schnellen Austausch in der Community: Minute für Minute werden sexistische Aussprüche und Bilder gepostet und kommentiert, feministische Aktionen verbreitet, Texte verlinkt. Wer dem richtigen Dutzend FeministInnen folgt, verpasst keine News mehr.
Anne Wizorek: „Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute“. Fischer Paperback, 2014, 336 Seiten, 14,99 Euro.
Wizoreks Buch ist eine Kurzanleitung in Sachen Feminismus für Netzaffine. Es ist direkter und härter als die verspielten Alphamädchen. Die Frage, ob Feministinnen Lippenstift tragen oder Pornos gucken dürfen, stellt sich nicht mehr. Und nenne ich mich nun Feministin oder nicht? Wird langsam mal Zeit, so Wizorek: „Feminismus? Fuck, yeah!“ Das ist der Ton.
Abgrenzungsrituale gegenüber den feministischen Müttern sind nicht mehr notwendig, ihre Themen werden einfach zeitgemäß wieder aufbereitet. Und ja, diese Themen sind wieder da: Sexismus, Abwertung von Frauen, Objektifizierung, Körperpolitik: Warum noch mal sollen Frauen sich immer hässlich und verbesserungswürdig fühlen? Wizorek hantiert mit einschlägigen Studien: „Im Schnitt checkt eine Frau alle 30 Sekunden, wie sie aussieht, ob sie richtig sitzt, wie sie auf andere wirken könnte.“
Während Westkinder erben, gehen im Osten viele leer aus. Wo 25 Jahre nach dem Mauerfall eine neue Grenze verläuft, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 4./5. Oktober 2014. Außerdem: Bevor Schauspieler Udo Kier 70 wird, verrät er, wie er am liebsten sterben will. Und: Kinder an die Leine? „Verstoß gegen die Menschenwürde“ oder „wunderbar und dringend nötig“? Der Streit der Woche. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Fickbar bleiben
Die Sprache ist deutlich bis derb: Junge Frauen tun alles, um sexy zu wirken: Immer schön fickbar bleiben in den Augen der Männer, nennt Wizorek das. Aus den Charakterisierungen Angela Merkels in den Medien als „Mutti“ kann man dann herauslesen, was für die Macht geopfert werden muss: „Muttis mit Macht sind gleich doppelt unfickbar.“
Der Social-Media-Feminismus ist mehr als Meckern, postuliert Wizorek: „Mit Tools wie Blogs und Social Media lässt sich heute eine Gegenöffentlichkeit und Aufmerksamkeit für Themen schaffen, die der Mainstream übersieht oder falsch darstellt. Unsere Smartphones und Laptops sind sozusagen die Demoschilder von heute.“
Wizorek wirbt nicht mehr, wie einst die Alphamädchen, die Männern klarmachen wollten, dass Feminismus für sie auch „schön“ ist. Wizorek dagegen fordert, dass die Jungs mal ihre eigenen Privilegien erkennen sollten. Sie profitieren, obwohl sie selbst meinen, sie würden Frauen niemals abwerten. „Was es heißt, ein guter Verbündeter zu sein“, nennt sie ein Kapitel und dekretiert: „Hör zu. Und zwar richtig.“ – „Setz Dich mit Deiner eigenen Schuld auseinander.“ – „Ändere Dein Verhalten.“
Uff. Schuld? Persönliche Schuld? Kleiner Rückfall in die Achtziger, Frau Wizorek? Hatten wir es nicht gerade von männlichen Privilegien durch ganz unbewusste Strukturen? Das ist schon noch ein Unterschied zu persönlicher Schuld. Sympathischerweise nimmt Wizorek ausdrücklich für sich das Recht in Anspruch, auch mal danebenzuliegen.
Ihr „Lehrplan für die Zukunft“ jedenfalls klingt dann wieder verdaulicher: Er bestehe aus einer „Willst du auch?-Kultur und darin, Empathie von allen einzufordern“. Wizorek tut das – sehr ausdrücklich. Und hat damit der privaten Unzufriedenheit der vielen Einzelnen im Netz einen politischen Rahmen gegeben.
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