Britisches Frühstück in London: Der Sound des fettigen Löffels
„Set Breakfast Egg and Bacon!“, tönt es: Das altgediente Regency Cafe in London ist auch ein Klangereignis. Unsere Autorin hat genau hingehört.
Vieles ergibt einen Rhythmus, wenn es über einen gewissen Zeitraum fortgeführt wird. Hier, im Regency Cafe im Londoner Bezirk Westminster, sind es die Tassen und Teller, die angestoßen werden, das Klirren und Scheppern, das dadurch erzeugt wird. Dazu hört man Gemurmel von Menschen aus verschiedensten Ländern dieser Welt. Wobei ein Großteil der Besucher:innen doch offenbar heimisch ist: die Arbeitskleidung – Bauarbeiter oder Business – weist darauf hin.
Kurze Appelle durchbrechen plötzlich den Soundteppich:
„Set Beans! Set Beans and Hashbrowns!“
Eine dunkle Stimme ruft Kombinationen der Grundeinheiten britischen Frühstücks durch den Raum. Sie gehört Claudia Perotti, der Betreiberin des Regency Cafe. Perotti ist nicht sehr groß, trägt kurzes Haar und Brille. Sie nimmt am Tresen Bestellungen auf, vor allem aber ruft sie sie mit bemerkenswerter Präsenz aus. Im United Kingdom nennt man diese Art von Lokal „Greasy Spoon“, fettiger Löffel – ein Ort, an dem kräftiges Essen, meist British Breakfast, ohne jegliche Verkünstelung serviert wird.
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Während auf der einen Seite Bestellungen aufgenommen werden, gehen zur anderen Seite schon wieder welche heraus. Das alles simultan und über Kreuz. Und doch gibt es diesen Augenblick, in dem die Aufmerksamkeit Claudia Perottis ganz auf einem liegt. Kurz bleibt Zeit, um jene Fragen zu stellen, die Tourist:innen und seltene Gäste eben so stellen. Dann redet die berühmteste Ruferin des Regency Cafe plötzlich in einer ausgewechselten Stimmlage ganz vertraulich, beseitigt Unsicherheiten, und trägt im selben Moment Sorge, dass du den Betrieb nicht zu sehr aufhältst.
Nach Aufgabe der Bestellung folgt eine kurze Wartezeit. Man hört wieder hin:
„Set Breakfast Baked Beans! Eggs, Bacon and Sausage! Sausage and Hash Browns!“
Monty Python haben der Kombinatorik des britischen Frühstücks einst mit dem berühmten „Spam“-Sketch ein Denkmal gesetzt; auch hier wird ähnlich laut gerufen und deftig gegessen, doch haben Lokal und Mitarbeiter:innen in der Regency Street ansonsten keinerlei Ähnlichkeit mit dem grobschlächtigen Personal der Komikergruppe seinerzeit.
„Set Breakfast Egg and Bacon! Cornbeef Egg and Chips! Set Breakfast!“
Bei der richtigen Kombination aufspringen, abholen und wieder hinsetzen. Ist man gerade an der Reihe, werden auch schon die nächsten Bestellungen aufgerufen.
Eröffnet hat das Regency Cafe im Jahr 1946. Viel hat sich seitdem nicht verändert, auch wenn man inzwischen sogar eine Webseite unterhält. Drinnen findet man dieselben Fliesen, die vermutlich schon vor knapp acht Jahrzehnten die kompletten Wände kachelten. Ebenso dieselben Mini-Tischchen mit blassgrünem Flechtmuster auf der weißen Resopalplatte, im Boden fest installiert und mit ebenso fest verankerten Stuhlreihen. Auf den Tischchen eine genau festgelegte Auswahl Fläschchen und Streuer: Zucker, Salz, Pfeffer, Ketchup, Senf, Essig.
Restlos aus der Zeit gefallen, zumal in dieser Stadt, erscheinen auch die Preise für ein ordentliches Essen, das heute wie damals im Akkord über die Theke geht. Schlicht bis opulent, je nach Appetit und wohl auch Maß der körperlichen Arbeit. Das Menü angeschlagen mit Acrylbuchstaben an der Stecktafel: Ei und Speck: 3,45 Pfund, Ei, Speck und Würstchen, die typisch britischen „Bangers“, für 4,50 Pfund. Baked Beans auf zwei Toasts – 3,60 Pfund. Dazu gebratene Tomaten, Pilze, Corned Beef, Hash Browns. Oder Bubble and Squeak, traditionell ein Resteessen mit allem, was die Küche hergibt. Ein komplettes Frühstück, dazu eine Tasse englischen Tee mit viel Milch, kostet knapp 7 Pfund, ein Mittagsgericht oft noch weniger.
Die schiere Menge der Speisen, die täglich über die Theke gehen, ist sicher hilfreich für die Preisstabilität. Nicht nur Claudia Perotti, auch die Köch:innen und Küchenhilfen arbeiten im eingespielten Schnelldurchlauf. An den Zutaten wird offenbar aber auch in Inflations- und Postcovidzeiten nicht gespart.
„Set Breakfast Sausage Hash Browns! (leiser, jetzt beinahe zart:) Yes, madam?“
Man könnte sich eine fortlaufende Tonspur vorstellen, eine mehrere Jahrzehnte umspannende Oral History, in der zum beruhigend geschäftigen Sound von Tellern und Tassen an den kleinen Tischchen auf wechselnde Regierungen geflucht, Tagespolitik und Alltag besprochen wird.
Allerdings hätte dieser Soundtrack regelmäßige Unterbrechungen; das Prinzip des 24-Stunden-Lokals gibt es in Großbritannien kaum. Pünktlich am frühen Nachmittag werden die Türen des Regency Cafe wieder geschlossen. Anders als ein paar Stunden wäre dieser Job schon stimmlich wohl kaum zu machen.
„Set Breakfast Sausage Hash Browns! Bubble Two Times.“
Das Regency treibt seinen Rhythmus vor sich her. Einmal drin, muss man kurz darauf schon wieder aussteigen: Andere wollen auch noch was essen. Hinaus geht es, kluge Wegführung, über einen seitlichen Ausgang. Wieder draußen auf der Straße ist es dann plötzlich sehr, sehr leise.
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