Britischer Spielfilm „Suffragette“: Mit Steinen für die Gleichberechtigung
Eine Wäscherin wird zur Frauenrechtlerin und bezahlt dafür bitter. „Suffragette“ sucht mit dem Stoff das große Publikum.
England 1912, Innenansichten einer Wäscherei: Die strähnigen Haare der jungen Frauen, die schwitzend im Dampf der Maschinen stehen, fallen in müde Gesichter. Dramatische Musik begleitet die Kameraarbeit von Edu Grau, die uns in eine Welt der mehrfachen Ausbeutung von Frauen einführt. Das Treiben der Arbeiterinnen, deren Silhouetten sich in den Pfützen der Ostlondoner Fabrikhalle spiegeln, wird vom erhobenen Büro des Leiters durch eine gläserne Scheibe beobachtet. Zugang zur Schaltzentrale finden die Frauen nur, wenn es Beschwerden gibt oder der Chef eine der vielen minderjährigen Arbeiterinnen sexuell missbraucht.
Erzählt werden diese Zustände durch die Augen einer fiktiven Figur: Die bisher auf die Rolle der Kindfrau abonnierte Carey Mulligan spielt die Wäscherin Maud Watts in einer feministischen Emanzipationsgeschichte – der Geschichte der Suffragetten –, in die der Film gleich zu Beginn ausschnitthaft einführt.
Die Suffragetten kämpften seit Mitte des 19. Jahrhunderts für Gleichberechtigung, sie forderten die Einführung des Wahlrechts für Frauen. Nach Jahrzehnten des Ungehört- und Ungesehenseins, nach abfälligen Karikaturen in der Presse und leeren Versprechungen der Politik, hatten sie sich vor allem in England radikalisiert und sehr erfindungsreich unterschiedliche Strategien fürs Sichtbarwerden entwickelt.
Ein engagiertes britisches Team, bestehend aus der Regisseurin Sarah Gavron, Drehbuchautorin Abi Morgan, einer Kostümbildnerin, einer Setdesignerin und vielen Schauspielerinnen hat sich zur rechten Zeit des Themas angenommen. Hollywoods fehlendes Interesse an der Perspektive von Frauen wurde in jüngster Zeit häufig angeklagt. Hauptdarstellerin Mulligan ließ sich nach den Dreharbeiten das Motto „Love will overcome us“, gewidmet der militanten Suffragette Emily Wilding Davison, auf den inneren Unterarm tätowieren.
In Davisons Geschichte kulminiert der Film: Sie, die während ihrer Hungerstreiks im Holloway-Gefängnis manchmal zweimal täglich zwangsernährt wurde, sprang beim Derby von Epsom vor das Pferd des Königs und starb an ihren Verletzungen. Unter ihrer Jacke fand man ein Transparent mit der Aufschrift „Votes for Women“. Der Film zitiert die historischen Pathé-Wochenschauen, aber er entschärft die eindrücklichen Bilder von der Menge der Trauernden, der Erschütterung in den Gesichtern der Kampfgenossinnen von Emily Davison mit fleißigem Spielfilmpathos.
Zurück zum Anfang: Als Maud Watts eines Morgens Kleidung ausliefern soll, gerät sie mitten im regen Geschäftstreiben Londons in eine der terroristisch anmutenden Protestaktionen der Suffragetten: Scheinbar zufällig in der Menge versammelte Frauen holen Steine aus Taschen und Kinderwagen, zerschmeißen Fensterscheiben und rufen laut die konkrete Forderung der ersten organisierten Frauenbewegung nach Frauenwahlrecht aus.
Watts schließt sich den konspirativ agierenden, weil von ständiger Polizeiüberwachung und -bestrafung bedrohten Aktivistinnen an und radikalisiert sich sukzessive. Leider auch ein wenig zu sehr im Privaten, denn Sarah Gavrons Film sucht das große Publikum. So wird Watts nicht nur Opfer der Makrostrukturen, sondern verliert im Mikrokosmos ihrer Kleinfamilie (brillant als demanzipierter Gatte: Ben Wishaw) erst ihr Kind (das Sorgerecht lag damals beim Mann) und schließlich ihre Bleibe.
Das feindliche Umfeld der Suffragetten, die Häme und Misogynie, die gesellschaftliche Diffamierung, der diese viktorianischen Kämpferinnen ausgesetzt waren, schildert der Film stellvertretend durch die Reaktionen von Mauds Arbeits- und Wohnumfeld, auch wenn dafür immer wieder die Wäscheleinen-Installation der Ausstattungsabteilung herhalten muss. Dabei liefen die britischen Suffragetten doch in weißen Kleidern mit Lilien durch die Straßen, und die Upperclass-Ladys unter ihnen bekamen auch mal die Haftkaution bezahlt. Auf den Straßen waren sie während der Demonstrationen nicht nur der Polizeigewalt, sondern auch mobartigen Übergriffen der Passanten ausgesetzt.
So etwas kann man wissen, muss man aber nicht. Das hat wie bei allen historischen Stoffen zur Folge, dass sich die einen, die es besser wissen – zu Recht –, über Ungenauigkeiten und Vereinfachungen empören, während die anderen womöglich das erste Mal überhaupt von den Suffragetten hören, vielleicht auch nur, weil Meryl Streep für ihren (merkwürdig übertriebenen) Kurzauftritt als Suffragettenanführerin Emmeline Pankhurst ihr Gesicht aufs Plakat setzen ließ. Filmkritik ist nun mal keine Geschichtsforschung, eher eine Überprüfung von ästhetischen Übersetzungen ihrer Ideen.
Überraschend immerhin, wie „Suffragette“ es schafft, uns mithilfe von Ausstattung, Kostüm und Kamera ein Bild zu vermitteln, von dem man glauben könnte, es sei realistisch: braun-grau verwaschene Stadtlandschaften, ein von kapitalistischer und sexistischer Ausbeutung bestimmtes Arbeiterinnenleben, das kleine Glück, das keines ist, dann die Anschläge auf das Patriarchat. Die Botschaft ist simpel: Ungeschminkte Feministinnen, die Briefkästen in die Luft jagen, um auf Ungleichheit hinzuweisen, sind cool. Find ich bei den Bildern irgendwie auch.
Die noch junge Filmindustrie der 1910er Jahre produzierte mit ungezählten Anti-Suffragetten-Filmen und Slapstick-Komödien von wilden Geschlechterkämpfen einen großen, körperlich vermittelten Spaß. Allein die Filme mit den Exzessen von Dienstmädchen, die schon mal eine Herrschaftsküche zertrümmerten oder unter Wasser setzten! „Suffragette“ langweilt dagegen. Die „echten“ Suffragetten betrieben so viel einfallsreichere Aktionen, und Stummfilmstar Asta Nielsen spielt ihre Zwangsernährungsszene 1918 in „Die Suffragette“ besser, hochmütiger und weniger viktimisierend als ihre Neuauflage.
Die im Spielfilm gezeigten Fahndungsfotos der Suffragetten waren auch sehr nötig, weil diese immer wieder flashmobartig zuschlugen und man viel zu schützen hatte: die Würde des Parlaments, die Unversehrtheit der Golfplätze und der klassischen Gemälde, die weibliche Psyche – wegen ihrer vermeintlichen Instabilität. Dass die Frauenrechtlerinnen bereits eigene Überlegungen zu Bildpolitiken anstellten, aktivistische Merchandising-Artikel vertrieben, Plakate druckten und in den USA Filme für die Bewegung produzierten – all das kann so ein Spielfilm nicht erzählen. Und auch nicht, dass viele Aktionsformen von der nordenglischen Arbeiter_innenbewegung inspiriert waren, und dass einige amerikanische Suffragetten Abolitionistinnen waren, also für die Abschaffung der Sklaverei gekämpft hatten, und dass in England eine indische Suffragette wirkte, die zudem heimlich antikoloniale Politik betrieb. Oder?
„Suffragette“, Regie: Sarah Gavron. Mit: Carey Mulligan, Helen Bonham Carter, Meryl Streep u. a.. Großbritannien 2014, 106 Minuten.
Gelangweilt hab ich mich nicht, vor allem, weil ich vieles nicht besser wusste. Ein kleines, glattes Memo an die Frauenrechtsgeschichte – why not? „Suffragette“ ist gut gemeintes, gut gespieltes, wenn auch lückenhaftes Lehrbuch-Arthaus. Peinliches wird dafür von den PR-Abteilungen zum Film geboten: Die weißen Hauptdarstellerinnen posieren mit „Ich bin lieber Rebellin als Sklavin“-Promo-T-Shirts. Beim Gewinnspiel zum Film werden Modegutscheine für „selbstbewusste, sportlich-feminine Frauen“ oder ein „Starke Frauen“-Fotoshooting ausgelobt. Happy Emanzipation, everyone! Als letzter Preis winkt ein Buch über die Suffragetten, herausgegeben von Antonia Meiners. Das zu lesen wäre vielleicht keine schlechte Idee.
Die kursiven Textteile stammen von Madeleine Bernstorff, die anderen von Toby Ashraf.
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