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Brexit-Streit mit GroßbritannienEU leitet rechtliche Schritte ein

Das britische Unterhaus hat das Binnenmarktgesetz mit umstrittenen Klauseln beschlossen. Für die EU-Kommission ist das eine Verletzung des Austrittsvertrags.

Kündigt rechtliche Schritte gegen Grossbritannien an: Ursula von der Leyen am 1. Oktober in Brüssel Foto: Johanna Geron/ap

Brüssel dpa | Im Brexit-Streit leitet die Europäische Union rechtliche Schritte gegen Großbritannien wegen Verletzung des EU-Austrittsvertrags ein. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag, 1. Oktober, in Brüssel an.

Hintergrund ist das britische Binnenmarktgesetz, das am Dienstag vom Unterhaus beschlossen wurde und das Teile des bereits gültigen Austrittsvertrags aushebeln soll. Die EU-Kommission hatte der britischen Regierung ein Ultimatum bis zum 30. September gesetzt, die umstrittenen Klauseln des Gesetzes zurückzunehmen.

Da dies nicht geschah, verschickte die Brüsseler Behörde nun eine offizielle Anzeige nach London, dass sie eine Verletzung des Vertrags sieht. Von der Leyen gab der britischen Regierung einen Monat zur Stellungnahme. Es ist der erste Schritt eines Verfahrens, das letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof enden könnte.

Das Binnenmarktgesetz – das noch vom britischen Oberhaus behandelt werden muss – wäre ein Verstoß gegen das im Vertrag festgelegte Prinzip des „guten Glaubens“ und konkret gegen das Protokoll für Nordirland, sagte von der Leyen. Trotz des nun gestarteten Verfahrens werde die EU weiter auf volle Einhaltung des Austrittsvertrags pochen und sich selbst auch daran halten. „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen“, sagte von der Leyen.

Aus britischer Sicht sind die Pläne ein „Sicherheitsnetz“

Die EU hatte die Pläne von Premierminister Boris Johnsons als Vertrauensbruch und Verstoß gegen internationales Recht verurteilt. Die britische Regierung bezeichnet sie hingegen als „Sicherheitsnetz“ für den Fall, dass vor Jahresende kein Handelsvertrag mehr mit der EU gelingt. Sie will damit vertraglich vereinbarte Sonderklauseln für Nordirland aushebeln.

Die britische Provinz soll nach dem Vertrag enger an den EU-Binnenmarkt und die Zollunion gebunden bleiben, was Kontrollen im Güterverkehr mit dem übrigen Vereinigten Königreich nötig macht. London warnt, damit könnte Nordirland abgekoppelt werden. Im Brexit-Vertrag hatte Johnson dies jedoch akzeptiert.

Trotz des Streits über das Binnenmarktgesetz laufen diese Woche wieder Verhandlungen über den anvisierten Handelspakt beider Seiten für die Zeit nach der Brexit-Übergangsphase.

Großbritannien verlässt Ende des Jahres auch den EU-Binnenmarkt und die Zollunion. Ohne Anschlussvertrag droht ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und anderen Handelshürden.

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2 Kommentare

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  • Es ist im Detail etwas komplizierter:



    UK möchte wohl anders als dies auf den ersten Blick aussieht, nicht per se den (nicht mehr so genannten) neuen Backstop aushebeln, sondern befürchtet, das die EU selbst against good faith (Wiener Vertragsrechtskonvention) handeln könnte indem sie Handelsgüter mutwillig als "at risk of being smuggeled" einstuft und nicht nur dann wenn sie es tatsächlich sind.



    [In diesem Fall müssen Waren bei der Einfuhr nach NI von GB aus nach EU-Tarif verzollt und verkauft werden. NIrische Einwohner können sich den Differenzbetrag dann später erstatten lassen]

    Momentan könnte HMGouvernment jedoch selbst in diesem Fall keine Gegenmaßnahmen ergreifen, weil das britische Recht dem entgegen steht.



    Das soll mit der entsprechenden Gesetzespassage nun angepasst werden.



    (Was Ansehens-technisch natürlich ein absoluter Super-GAU ist, sowas schon im Voraus zu machen)

    Zweitens, nicht der EuGH entscheidet über Streitigkeiten nach dem Withdrawal Agreement, sondern ein im Vertrag definiertes Schiedsgerichtsverfahren. (Staat-Staat, nicht ISDS)

    • @Ruhrpott-ler:

      Danke für die Ergänzungen.

      Ihnen möchte ich noch das folgende hinzufügen: Haben wir ein Glück, dass wir diese übergreifenden Schiedsgerichte und Gremien eingerichtet haben!

      Vor 100 Jahren, wäre in nächster Zeit die Produktion von Kriegswaffen und -gerät hochgefahren worden. Begleitet von der entsprechenden journalistischen Melodie.

      Bei aller Kritik sind wir in Europa mit unseren Problemlösungsstrategien vielleicht doch schon einige Schritte weiter gekommen.