Brennelementefabrik in Lingen: Unnötiger Atomdeal mit Rosatom
Die Betreiberin der Lingener Atomanlage will mit dem russischen Atomkonzern kooperieren. Dessen Interesse sei rein politisch, warnen Kritiker.
Auch wenn Deutschland den Atomausstieg beschlossen hat und das letzte Atomkraftwerk in Lingen am 31. Dezember dieses Jahres abgeschaltet werden soll – zwei wichtige Atomfabriken laufen weiter: die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen. Lingen beliefert derzeit die umstrittenen Reaktoren im belgischen Tihange und Doel, im französischen Cattenom, im niederländischen Borssele, in Leibstadt in der Schweiz und dem finnischen Olkiluoto.
Die Umweltschützer warnen vor einem aktuellen Deal: Die französische Firma Framatome, Betreiberin der Brennelementefabrik in Lingen, will mit einem russischen Partner kooperieren. Dieser Partner, die Firma TVEL, ist eine hundertprozentige Tochter der russischen Atombehörde Rosatom, die wiederum nicht nur alle in Russland laufenden Akw betreibt. Sie arbeitet wohl auch mit an der Entwicklung neuer Atomwaffen. Das legt jedenfalls der Tod von fünf Rosatom-Mitarbeitern in einem militärischen Sperrgebiet beim Testen einer neuen Atomwaffe im August 2019 nahe.
Noch ist das Geschäft nicht vollzogen. Doch zumindest das Bundeskartellamt hat dem Antrag von Framatome zur Gründung eines Joint Ventures mit TVEL in Lingen schon zugestimmt. Nun liegt der Ball beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Und dort ist man sehr wortkarg: „Die Mitteilung des Bundeskartellamtes ist uns bekannt“, beschied das Ministerium auf Anfrage der taz: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir darüber hinaus keine Auskünfte zu etwaigen Investitionsprüfverfahren erteilen können, weil dies Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen betrifft.“
Ausstieg aus dem Ausstieg?
Für Alexander Vent, Bewohner von Lingen und Sprecher des Bündnisses AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland, wäre eine Genehmigung des umstrittenen Joint Venture ein Wiedereinstieg in die Atomenergie. Die Transporte mit radioaktivem Material gefährdeten auch die Bevölkerung von Lingen. Der großen Koalition sei dieses Thema zu heiß gewesen, nun müsse ausgerechnet ein von einem grünen Minister geleitetes Ministerium über den Fortbestand der Atomenergie in Deutschland entscheiden.
Wladimir Slivjak, Sprecher der russischen Umweltgruppe Ecodefense und Träger des Alternativen Nobelpreises von 2021, kritisiert den geplanten französisch-russischen Deal. Er verstehe die deutsche Rolle nicht. „Für Russland geht es mit dem geplanten Einstieg in die Brennelementefabrik in Lingen weniger um Profite, als vielmehr um einen geopolitischen Zugewinn“, sagte Slivjak der taz am Telefon. Russland produziere eigene Brennelemente und brauche die Fabrik in Lingen nicht. „Faktisch würde Deutschland mit einer Genehmigung dieses Joint Ventures Putin einen weiteren Zugang zum europäischen Energiemarkt gewähren.“ Putin wolle ein Europa, dessen Energieversorgung von Russland abhänge und das deshalb keine Sanktionen verhängen könne.
Der französischen Seite wiederum gehe es vor allem um Profite, analysiert Matthias Eickhoff von der Anti-Atom Gruppe SOFA Münster. Der französische Binnenmarktkommissar Thierry Breton habe die nächsten 30 Jahre einen Investitionsbedarf von 500 Milliarden Euro für die Atomwirtschaft ausgemacht. Diese Kosten könne man nicht allein den französischen SteuerzahlerInnen aufbürden. „Und da kommt das Angebot von Rosatom zur Zusammenarbeit wie gerufen.“
Die in Berlin anstehende Entscheidung sei mehr als nur einfach eine Zustimmung zu einem Eigentümerwechsel: „Wenn Deutschland eines Tages doch aus der Brennelementeproduktion aussteigen will, wird es sich mit saftigen Schadenersatzforderungen von Rosatom und Framatome konfrontiert sehen, ganz zu schweigen von den politischen Hürden.“ Damit in Lingen keine neue Atomspirale in Ǵang komme, müsse das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz den Antrag ablehnen, so Eickhoff.
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