Bremer Fotografin über Kambodscha: „Alles, was ich erwartet habe, war falsch“
Doris Böttcher kam als Bibliothekarin über einen Senioren-Experten-Service nach Phnom Penh und kehrt als Fotografin nach Bremen zurück. Jetzt bereitet sie eine Ausstellung über Kambodscha vor.
taz: Frau Böttcher, Sie wollen Phnom Penh demnächst wieder verlassen?
Doris Böttcher: Ich gehe davon aus, dass ich mich nach neun Jahren jetzt so allmählich aus dem Land schleiche – ganz unabhängig von der politischen Situation.
Was hatte Sie überhaupt dorthin verschlagen?
Ich bin immer viel gereist, gerade im asiatischen Raum. Und als ich in den Ruhestand kam, hatte ich das Bedürfnis, in einem der Länder, die ich bereist hatte, mal länger zu bleiben.
Sie waren in Bremen als Bibliothekarin tätig gewesen …
Ja, in der Stadtbücherei. Und der Senioren-Experten-Service hat mich in die Nationalbibliothek hier in Phnom Penh vermittelt, in eine ehrenamtliche Stelle.
arbeitete bis 2004 als Bibliothekarin in der Stadtbücherei Bremen. Danach lebte und arbeitete sie als Fotografin und Galeristin in Phnom Penh, Kambodscha, ihre Kamera ist eine Rolleiflex. Mit ihren Schwarz/Weiß-Aufnahmen hatte sie mehrere Ausstellungen in Kambodscha, ihre Fotos wurden im Heritage Watch-Calendar, im Touchstone-Magazine und Cambodia Daily gedruckt.
Mittlerweile arbeiten Sie als freie Fotografin und betreiben eine Galerie, sind also richtig heimisch geworden …
Ich sehe mich schon noch als eine Fremde in einer anderen Kultur. Man wird zwar höflich in aufgenommen, etwa wenn man zusammen arbeitet …
… aber?
Es bleiben Vorbehalte. Als ich kürzlich noch einmal in der Nationalbibliothek war, habe ich mit einem Khmer gesprochen, mit dem ich da gearbeitet hatte: „Na, wie geht’s denn so?“, und er: „Jetzt bin ich mein eigener Boss“ – auch um zu betonen, er braucht niemanden vom Ausland, der ihm sagt, wo’s langgeht.
Es klingt trotzdem ganz schön schroff …
Ich habe mich noch nie so deutsch gefühlt wie da. Meine ganze Herangehensweise, alles was ich erwartet habe, war vollkommen falsch.
Falsch?
Ja, vollkommen falsch. Mir war nicht bewusst gewesen, dass die Schulbildung hier sehr gering ist, und die Büroarbeit einen anderen Stellenwert hat, einfach, weil der Gedanke viel wichtiger ist, wie bekomme ich heute Abend etwas zu essen auf den Tisch? Die Mehrheit der Bevölkerung muss hier noch immer zusehen, dass sie überhaupt überleben kann.
Diesem fremden Alltag haben Sie sich fotografisch genähert?
Ich habe mich immer geweigert, die Armut zu fotografieren: Die Menschen hier sind sehr stolz. Sie zeigen ihre Armut nicht, auch wenn sie groß ist. Aber Alltag, das stimmt: Die Ausstellung, die ich für die Bremer Stadtbibliothek vorbereitet habe, wird deshalb „Impressionen mit dem Blick einer Europäerin“ heißen. Denn es ist ja ein europäischer Blick, etwas zeigen zu wollen, was hier normal ist.
Also keine Bilder von den aktuellen Unruhen?
Die fotografiere ich auch – aber die würden in diese Ausstellung nicht passen: Für die politischen Bilder suche ich noch nach einer Möglichkeit, sie zu zeigen. Die Ausstellung in der Bücherei soll Teile des Landes zeigen, die ich während meiner Zeit hier kennengelernt habe.
Sprich: Es sind Landschaftsaufnahmen?
Man kann Landschaft und Menschen nicht voneinander trennen: Drei Viertel der Menschen leben in Kambodscha auf dem Land. Und die Landbevölkerung ist geprägt durch die zwei Jahreszeiten, die Regenzeit und die Trockenzeit. Davon hängt ja alles ab – und vor allem, wie der Reis gelingt, also ob man zu essen hat, und natürlich die Fischerei …
Die ist auch von den Jahreszeiten geprägt?
Natürlich: Wenn es zu viel regnet ist der Wasserstand zu hoch und die Strömung der Flüsse zu stark, um rauszufahren. Und wenn die austrocknen, lässt sich auch nichts mehr drin fangen.
Und wie bricht in diese rurale Gesellschaft dann plötzlich das Politische ein?
Das hängt zusammen mit der Landverteilung: Letztlich teilen die Clans vom Ministerpräsidenten Hun Sen und seiner Volkspartei das Land unter sich auf.
So ganz willkürlich?
Ohne jede Rechtsprechung: Die Kataster werden überarbeitet und dabei wird es einfach abgezweigt, sodass oft die Menschen in den Dörfern nicht mehr genügend Fläche haben, um ihren Reis anzubauen.
Was passiert mit den Feldern?
Darauf entstehen Großplantagen, beispielsweise für Bananen, oder in den Bergen und in den Waldgebieten wird alles abgeholzt, sodass ganze Landstriche schon völlig kahl sind und sich das lokale Klima ändert. Das hat zu einer großen Unzufriedenheit geführt auf dem Land. Und in der Stadt ist es die Jugend: Wer nicht aus der herrschenden Großfamilie kommt, der kann noch so viel studieren und einen noch so guten Abschluss gemacht haben – der bekommt einfach keine Arbeit. Und bei den Wahlen …
… vergangenen Juli …
… da gab es so viele Ungereimtheiten wie nie zuvor.
Was für Ungereimtheiten?
Zum Beispiel: Da war ein Dorf von 200 Leuten, in dem 400 Stimmen abgegeben worden sein sollen. Oder: Es haben Leute festgestellt, dass sie an zwei Orten als Wähler registriert sind. Oder: Andere kamen ins Wahllokal – und erfuhren, sie hätten bereits gewählt.
Und die Regierungspartei triumphierte?
Eben nicht. Trotz der Wahlfälschungen hat die Opposition fast die Hälfte der Sitze gewonnen, das war auch für uns Ausländer eine große Überraschung. Deshalb war die Forderung der großen Demonstrationen der Oppositionsanhänger zuerst eine Überprüfung der Wahl …
Das war im Dezember aber auch etwas spät, oder?
Es wird doch schon viel länger demonstriert! Das Ausland registriert das ja erst, seit sich die Textilarbeiterinnen dem Protest angeschlossen haben. Die erste von den Großdemos war aber schon Anfang September. Als die angekündigt war, war Phnom Penh ein Heerlager: Stacheldraht überall, Soldaten in der gesamten Stadt, alle Straßen abgesperrt und Panzer geparkt in Tempelanlagen.
War das bei mehreren Demonstrationen so?
Das ging bis November dreimal so. Aus ganz Kambodscha kamen Tausende Menschen aus allen Provinzen. Das war so eine richtige Aufbruchsstimmung. Und dann kam dieser andere Zweig dazu, die Textilarbeiterinnen, die gewerkschaftlich gut organisiert sind, aber, weil die Fabriken eher am Stadtrand liegen, etwas isoliert.
Wie kamen die zusammen?
Das war, als im November Soldaten eine unbeteiligte Frau – bei einem Streik – auf offener Straße erschossen hatten. Das ging wie ein Aufschrei durch die Bevölkerung – und da hat sich dann die Oppositionspartei mit den Textilarbeiterinnen zusammengeschlossen. Danach kam dann Ende Dezember die letzte große Demonstration, mit 50.000 Menschen. Mitten in der Stadt, im Friedenspark haben die Leute übernachtet. Ich habe da mit einer Bäuerin gesprochen, sie war am Vortag angekommen. Sie sagte: „Heute gehe ich demonstrieren, und morgen fahre ich wieder nach Hause zurück und ernte meinen Reis zu Ende.“
Ändert sich durch den Protest das Verhalten der Menschen?
Wenn man vorher über Politik gesprochen hatte, war Schweigen die Antwort. Man hatte Angst. Jetzt fingen auf einmal die Nachbarn an, über die Demonstrationen zu sprechen, und sie zu unterstützen, auch wenn sie nicht hingehen konnten. Und überall wurden die Bilder über Facebook geteilt, die Bilder vom Aufstand.
Für Sie muss sich dadurch der Blick aufs Land geändert haben?
Ich fand gut, dass die Menschen hier für ihre Interessen auf die Straßen gegangen sind. Wenn ich dann Fotos gemacht habe, waren das vor allem Detailaufnahmen von Menschen. Denn da ist so ein Strahlen in ihren Gesicht gewesen. Und als das dann von heute auf morgen vorbei war, bin ich wieder hin und habe die Militärpolizei fotografiert.
Die wirkt erdrückend!
Was mich sehr bewegt, ist diese Unmenschlichkeit dieser Regierung. Sie interessiert sich nicht dafür, ob die Leute auf dem Land genügend zu essen haben, um zu überleben. Und die Brutalität, mit der sie diesen Protest hier niedergeschlagen hat: Leute, denen im Davonlaufen in die Beine geschossen wurde, Familien, die wochenlang nicht erfahren, wo ihre Angehörigen gefangengehalten werden. Inzwischen kursieren Bilder davon, wie Tote und Verletzte einfach weggeschleppt wurden. Es gab viele Szenen, bei denen viele Kambodschaner an die Pol-Pot-Zeit erinnert wurden.
Und jetzt?
Das ist die große Frage: Nach den tödlichen Schüssen aus Militärgewehren wurde ein allgemeines Versammlungsverbot ausgesprochen. Aber es hat sich gezeigt, dass die Menschen sich nicht mehr einschüchtern lassen. Am Dienstag, ...
… also am 14. Januar …
… da wurden die beiden Oppositionsführer zum Gericht bestellt – und da kamen tausende Demonstranten zum Gerichtsgebäude. So haben sie de facto das Versammlungsverbot wieder aufgehoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste