Bremer FilmerInnen räumen ab: Gedichte gegen den Krieg verfilmt
Vier von fünf Preisen gehen beim Filmwettbewerb „Schwarze Ängste“ an die Hochschule für Künste in Bremen.
BREMEN taz | Nur gut, dass die Arbeiten anonym eingereicht wurden. Sonst hätte es sicher Gerede darüber geben, dass die ersten vier Preisträger des Wettbewerbs aus einem Kurs für digitale Medien der Hochschule für Künste in Bremen kommen. Jedes Jahr veranstaltet die Leipziger „Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik“ einen Wettbewerb, bei dem die Visualisierung von Gedichten prämiert wird. Aus einem Topf mit Gedichten suchen sich die Filmemacher eines aus, adaptieren es dann ohne stilistische Vorgaben.
Im vergangenen Jahr lief die Veranstaltung noch unter dem Allerweltsthema „Worte sind Boote“. Dieses Mal hieß das Thema „Schwarze Ängste – Poetry Clips gegen den Krieg“ und es hat infolge der Konflikte in der Ukraine und dem Nahen Osten einen sehr aktuellen Bezug bekommen. Der Wettbewerb wurde dann auch mit 32 Einreichungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien gut angenommen.
Und nun kommen die ersten vier Preisträger aus dem gleichen kleinen Studienkurs in Bremen. Der Dozent Joachim Hofmann arbeitet mit seinen Bachelor-Studierenden am liebsten an genau definierten Projekten – und dafür bot sich dieser Wettbewerb an. Zum einen waren die Arbeitsziele genau definiert, zum anderen wird durch die vorgegebenen Gedichte eines der Hauptprobleme von jungen Filmstudierenden geschickt umschifft. Gerade bei Animationsfilmen konzentrieren diese sich oft so sehr auf die Form und die technische Umsetzung, dass die Inhalte vernachlässigt werden.
Debütfilme sehen dann zwar gut aus, erzählen aber nur selten eine gute Geschichte. Bei dem Wettbewerb bekommen die Filmemacher Thema, Text und – wenn man bei Lyrik davon sprechen kann – eine Dramaturgie geliefert und können sich auf die Umsetzung konzentrieren.
Hofmann hat schon einmal ein erfolgreiches Semester-Projekt mit verfilmter Lyrik geleitet. 2010 produzierten seine Studierenden 27 Kurzfilme, die auf Gedichten des Radio-Bremen-Hauspoeten Michael Augustin basierten. Diese wurden vom Verlag Temmen als DVD mit dem Titel „Augustins Miniaturen“ in den Handel gebracht.
Die vier prämierten Bremer Filme sind sowohl stilistisch wie auch atmosphärisch sehr unterschiedlich. So ließen sich die Gewinnerinnen des ersten Preises, Inge Rüten-Budden und Nadine Warrelmann, nicht nur von dem Gedicht „Feindbild“ von Wolf Peter Schnetz, sondern auch vom Motto des Wettbewerbs inspirieren. Sie visualisierten „schwarze Ängste“, indem sie Schemen in dunklen Räumen auftauchen und verschwinden ließen.
Nichts ist hier eindeutig zu erkennen, Stahlkugeln rollen wie Geschosse über schwarzen Tüllstoff. Das Gedicht wird geflüstert und so sind nur Fragmente zu verstehen, wie etwa die Schlusszeilen: „Geschaffen aus dem täglichen Abfall der Woche, entstand am siebten Tag das Feindbild – mein Abgott.“ Sowohl auf der Ton- wie auch der Bildebene wird radikal abstrahiert und so ist dies eine atmosphärisch reiche Arbeit geworden, die die Ängste und mit ihnen die Ursachen von Feindbildern heraufbeschwört. „Ein Meisterbeispiel an Bildrhythmus, Stimmung und Tempo!“, so die Jury in Leipzig.
Beim zweiten Preis wird ein Gedicht von Michael Augustin adaptiert. Diese eignen sich besonders gut für filmische Adaptionen, weil sie meist erzählerisch aufgebaut sind, politische und satirische Inhalte haben und manchmal sogar mit einer Pointe enden. Sein Text „Luftaufklärung“ dreht sich um den Einsatz von Drohnen in Kriegsgebieten.
Zeilen wie „Hoch über uns am Himmel zieht er schnurrend seine Bahn, den Steuerknüppel in der Hand“ hat Filmstudent Philipp Theis mit einer bewusst grob gehaltenen 3-D-Animation illustriert, die an die Ästhetik von Computer-Actionspielen erinnert. Eine Figur läuft durch eine Kriegslandschaft mit Panzern und wird vom Schatten eines Fluggeräts verfolgt, eingeholt und eingehüllt. Die Jury lobt die „Previsualisierungsästhetik hollywoodscher Actionfilme“.
In „Innehalten“ bringen Julian Spillner und Johanna Wittig den Krieg in das vermeintlich friedliche Norddeutschland. Eine junge Frau steht zunächst unbeweglich auf einer sommerlich idyllischen Wiese am Fluss und dann auf einer Brücke über die Weser in Bremen. Zu diesen Bildern wird das Gedicht von Karin Eberling vorgelesen: „Wurzeln schlagen, keinen Schritt weiter, oder die Tretmine, ex.“ Den beiden Filmemachern gelingt es besonders gut, durch sensible Kameraarbeit, Musikauswahl und Sounddesign die Verletzlichkeit ihrer Protagonistin spürbar zu machen. Die Jury sah den Film als ein „behutsam fotografiertes Gedankenspiel“.
Laura Wehhofer hat für ihre Interpretation des Gedichts „Gomorrha“ von Hans Dietrich Bruhn den vierten Preis im Wettbewerb bekommen. Der Titel bezieht sich auf den Decknamen eines verheerenden Bombenangriffs auf Hamburg im Jahr 1943. Der Text ist mit den Zeilen „Meine Schulfreundin war sie und hatte ein schönes, weißes Kleid. Das war der brennende Phosphor. In der Nacht ihres sterbenden Augenhintergrunds“ ein Klagelied, dem die junge Filmemacherin auf der Tonebene mit dem Geheul von Luftschutzsirenen und einer balladenhaften Gitarrenmusik gerecht wird. Dazu lässt sie die Kamera über Aquarelle schweifen, die von historischen Aufnahmen aus jener Zeit stammen und auf denen spielende Kinder, Flugzeuge, brennende Häuserzeilen und Ruinen zu sehen sind. Die Jury lobt die „nicht plakative Weise der Umsetzung“.
In ein paar Wochen wird eine DVD mit den Preisträgerfilmen veröffentlicht. Wirklich zeitgemäß wäre es aber, wenn die „Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e. V.“ die Filme aller Preisträger auf ihrer Homepage veröffentlichen würde.
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