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Bremen und Hannover gründen TanzensembleRecherche am eigenen Körper

Bremen und Hannover gründen mit „Tanzraum Nord“ ein gemeinsames Tanzensemble. Aufführungen soll es auch in anderen Städten geben.

So arbeitete Helge Letonja in der Vergangenheit: Szene aus dem Stück „zäh“ aus dem Jahr 2005 Foto: dpa

Bremen taz | Mehr Bewegung braucht das Land, sagen Ärzte, auf mehr professionelle Tanzdarbietungen setzt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und fördert seit 2017 mit dem „Tanzpakt Stadt-Land-Bund“ die Arbeit freier professioneller Compagnien. Bedingung: Kommunen, Länder, Stiftungen müssen die Fördersumme des Bundes mindestens verdoppeln. Dazu entschlossen sich Bremen und Hannover, sodass jetzt das „Tanzraum Nord“-Ensemble „of curios nature“ gegründet werden konnte und für drei Jahre finanziert ist.

Zu den 493.000 Euro aus Berlin addieren das Theater Bremen und das hansestädtische Kulturressort jeweils 150.000 Euro, in Hannover beteiligen sich Kulturbüro und Kultusministerium in ähnlichem Umfang, hinzu kommen in beiden Städten Stiftungsgelder. Zehn Tän­ze­r*in­nen aus neun Ländern sind inzwischen fest angestellt worden. „1.100 Bewerbungen hat es für die Stellen gegeben“, sagt Helge Letonja, der in Bremen seit 1996 unter dem Namen „Steptext“ Tanzprojekte realisiert und nun Tanzraum Nord leitet – gleichberechtigt mit Choreograf ­Felix Landerer, dessen Compagnie seit 2010 eigene Stücke unter anderem in der Hannoveraner Eisfabrik zur Aufführung bringt.

Beide wollen ihre eigenen Projekte parallel weiterführen. Mit Tanzraum Nord sind zwei Uraufführungen mit dem gesamten, sechs mit dem halben Ensemble geplant. Alle Produktionen sollen sowohl in Bremen als auch Hannover gezeigt werden. Einige gastieren auch in den tanzspartenlosen Stadttheatern von Celle und Göttingen. Zudem haben das LOT in Braunschweig, das Korzo-Theater in Den Haag und das Tanzraum Scenario Publico in Cantinia (Italien) Gastspiele gebucht.

Da Oldenburgs Ballettdirektor Antoine Jully selbst ein Stück verantwortet, ist Tanzraum Nord auch am dortigen Staatstheater präsent. Weiter als Choreografen engagiert sind Tomas Bünger (Bremen), Alexandra Waierstall (Düsseldorf) und der Brasilianer Samir Calixto, der letztes Jahr Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ in Osnabrück zu brennender Liebeslust trieb.

Besonders freut sich Tanzraum-Leiter Helge Letonja darauf, ein Repertoire aufzubauen

Die Anzahl der Spielorte ist ausbaufähig. Gerade das Ballett des Stadttheaters Bremerhaven könnte eine Inspiration aus der freien Szene gut gebrauchen. „Aber dort stehe ich mit dem Wunsch nach Kooperation immer vor verschlossenen Türen“, so Letonja. Gespräche aber gebe es in Winsen, Nienburg und Groningen. Zu den Gastspielen wird ein umfangreiches Tanzvermittlungsangebot entwickelt: Probenbesuche, Workshops, Meisterklassen, offene Trainings, Stückeinführungen und Publikumsgespräche sind angekündigt.

Besonders freut sich Letonja, dank der langfristigen Förderung endlich einmal kontinuierlich mit einem festen Ensemble arbeiten, ein Repertoire aufbauen und am Leben erhalten zu können. Sonstige Projektförderungen laufen immer nur über einen kurzen Zeitraum, darüber hinaus eintrudelnde Gastspielanfragen müssen stets abgesagt werden, da die Bewegungskünstler sich nach der letzten fix vereinbarten Aufführung meist sofort in alle Winde zerstreuen, um in anderen Städten neue Projekt-Engagements anzunehmen.

Die Tanzhäusler proben in den nächsten Jahren vor allem in Bremens Schwankhalle und dem Kulturzentrum Faust in Hannover. Sie wollen erst mal nicht mit der Setzung einer eigenen Tanzsprache um Aufmerksamkeit buhlen, sondern Basisarbeit für ihre Kunst betreiben. Das heiße: Schluss mit den gerade aktuellen performativen, sich ständig reflektierenden, dekonstruierenden Darbietungen, so Letonja. „Wir scheuen den Tanz nicht.“

Aber „Tanzraum“ heiße auch, ein bisschen wegzugehen von Letonjas in kühler Strenge elegant inszeniertem Motionskanon, der eine große Anziehungskraft auf nostalgische Fans der Bremer Tanz-Ära Urs Dietrichs und Susanne Linkes hat, da das Ensemble am Theater Bremen gerade ganz andere Wege geht und formal eher offen ist für die Ästhetisierung junger ekstatischer Selbstentäußerungen.

Tanzraum Nord soll aber auch Abstand nehmen von den suggestiven Tanztheatererzählungen, mit denen Landerer in Hannover die erlesen eigensinnige Arbeit des Staatsballetts konterkariert. Für das neue Ensemble sei somatische Forschung angesagt, wie Letonja betont, anfangs säßen alle vor einem Skelett und überlegten, wie die Knochen und Muskeln zusammenspielen könnten.

Es folge Bewegungsrecherche am eigenen Körper. „Die Tänzer suchen neue Wege zu tief in ihnen verankerten Ausdrucksmöglichkeiten“, so Letonja. Daraus könne sich eine eigene Form, ein neuer Stil entwickeln. Erste Tanzraum-Premiere ist am 27. Februar Letonjas Choreografie „On the shoulders of giants“ am Theater Bremen.

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