„Breaking Bad“-Fortsetzung „El Camino“: Wie im Wilden Westen

Nach der extrem erfolgreichen Serie „Breaking Bad“ kommt nun der Spielfim in die Kinos. Wirklich notwendig war der nicht.

ein Mann in Lederjacke schaut in die Kamera

Nachdem alle Charaktere gestorben sind, dreht sich der Film nur noch um ihn: Jesse Pinkmen Foto: Ben Rothstein/Netflix

Ob das jetzt wirklich nötig war? „Breaking Bad“, die in den Kanon der besten Serien aller Zeiten eingegangene Geschichte von der langsamen Wandlung des biederen Chemielehrers Walter White zum skrupellosen Drogenboss, war doch eigentlich auserzählt. Hatte doch nach fünf Staffeln und 62 Folgen ein eigentlich gutes Ende gefunden. Gut im Sinne von: gut erzählt.

Und mit „Better Call Saul“ gab es schließlich längst ein Spin-off (die Geschichte von der langsamen Wandlung des kleinen Pflichtverteidigers Jimmy McGill zum windigen Rechtsverdreher Saul Goodman), das in seiner jüngsten, vierten Staffel – mit diesem Erzählstrang um den braven deutschen Ingenieur Werner Ziegler, mit dem es ein (gut erzähltes) böses Ende nehmen musste – qualitativ längst zu „Breaking Bad“ aufgeschlossen hatte. Und weil „Better Call Saul“ ein Prequel ist, also eine Vorgeschichte erzählt, geriet das gute Ende von „Breaking Bad“ zu keinem Zeitpunkt in Gefahr.

Bis jetzt. Bis Netflix also am vergangenen Freitag (nicht etwa schon um 0:00 Uhr, sondern erst um 9:00 Uhr MEZ) „El Camino“ veröffentlicht hat: „Ein[en] ‚Breaking Bad‘-Film“. Scheint eine neue Mode zu sein in einem Jahr, das bereits vormalige Serien abschließende „Deadwood“-, „Downton Abbey“- und „Transparent“-Filme gesehen hat – von denen allein der „Deadwood“-Film zwingend notwendig war.

Der „Breaking Bad“-(Netflix-)Film war es, wie gesagt, nicht. Und er vergeht sich sogleich an dem offenen Ende der (AMC-)Serie. Macht kurzen Prozess mit der Deutungsmöglichkeit, Walter White könnte die Schusswunde in seinem Bauch, mit der ihn das bleihaltige Finale am Boden liegend zurückgelassen hatte, überlebt haben. Hat er nicht, das steht jetzt ein für alle Mal fest.

Dualität des brillanten Spießbürgers

Seit jener letzten Folge sind sechs Jahre vergangen – in der Binnenwelt der Handlung ist es keine Minute. Der Film setzt damit ein, dass Jesse Pinkman, die zweite Haupfigur der Serie, Walters früherer Schüler und späterer partner in crime, vom Ort seines Martyriums davonbraust – in dem Chevrolet El Camino seines Peinigers Todd. Den er vor sechs Jahren, also gerade eben, mit seinen Handfesseln erdrosselt hat, nachdem Walter die anderen White-Trash-Nazi-Drogen-Rednecks, die Jesse in einem Käfig gefangen gehalten hatten, mit einem M60-Maschinengewehr erledigt hatte.

"El Camino" - Ein 'Breaking Bad'-Film" ist auf Netflix abrufbar

Jesse sieht aus wie der Graf von Monte Christo nach 14 Jahren Château d’If – und mindestens so schlimm war es wohl auch. Davon künden nicht nur die Narben auf seinem Rücken und in seinem Gesicht, sondern auch die Rückblenden, aus denen der Film zu einem Gutteil besteht. Dieser dramaturgische Griff allein ermöglicht es Vince Gilligan (Buch und Regie), auch solche Figuren wieder auftreten zu lassen, die längst verstorben sind: den Kindermörder mit dem Babyface Todd Alquist (Jesse Plemons); den Fixer Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks); last not least: Walter White (Bryan Cranston).

Der Film indes kennt nur noch eine Hauptfigur, und die heißt Jesse (Aaron Paul). Es ist die Geschichte seiner Flucht. Die Polizei fahndet nach ihm als person of interest. Das ist überhaupt die größte Abweichung von der Serie, mit der man jetzt klarkommen muss: Die Serie basierte auf der Dualität des brillanten, aber unterschätzten, über 62 Folgen alle seine Skrupel ablegenden Spießbürgers Walter White – und des von Gott oder Mutter Natur gerade mit dem Mindestmaß an Intelligenz ausgestatteten Kleinkriminellen Jesse, dem sein Gewissen zunehmend zu schaffen machte, als Walters Sidekick.

Letzte Rolle

Nun ist Walter also tot – ob man das wissen wollte oder nicht –, und der auf sich allein gestellte Jesse ist plötzlich in der Lage, einen Plan zu fassen und überlegt, kaltblütig gar in die Tat umzusetzen, Shootout inklusive („Like the Wild West?“ „Yeah.“). Wer hätte das von ihm gedacht? Die Gefangenschaft hat einen anderen Menschen aus ihm gemacht.

Zu denen, die wieder auftreten, gehört auch der Staubsaugerverkäufer Ed, der im Nebenberuf neue Identitäten verschafft. In Folge 61 hatte Jesse dessen Dienste noch ausgeschlagen, jetzt hat er es sich anders überlegt. Zu dem verlangten Preis von 250.000 Dollar fehlen Jesse ganze 1.800 Dollar. Aber Ed ist kein Mann, an dessen Mitleid man appellieren sollte: „From where I sit, you made your own luck. As did your former partner. As did your lawyer.“

Robert Forster („Jackie Brown“), der den Ed spielt, ist am vergangenen Freitag – dem Tag der „El Camino“-Veröffentlichung – gestorben. Es war seine letzte Rolle.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.