Brasiliens durchwachsene Olympia-Bilanz: Einiges Licht, noch mehr Schatten
Sportlich war Olympia für das Gastgeberland ein Erfolg. Große Kritik gab es jedoch an der Organisation und am Verhalten des Publikums.
Rio de Janeiro taz | Das Planziel erreichten die Gastgeber nicht. Das Olympische Komitee Brasiliens wollte unter die zehn Besten im Medaillenspiegel, doch es reichte nur für Platz 13. Dennoch waren es die bislang erfolgreichsten Olympischen Spiele des größten Landes Lateinamerikas: Erstmals gab es 19 Medaillen insgesamt, und mit sieben Goldmedaillen zwei mehr als beim bisher erfolgreichsten Auftreten in Athen 2004.
Die Bilanz von Olympia 2016 in Rio de Janeiro fällt durchwachsen aus. Bürgermeister Eduardo Paes gab den Spielen die Bestnote, räumte aber auch Probleme bei Organisation und Infrastruktur ein. „Die Stadt ist nicht ein perfekter Ort geworden, hat sich aber verbessert“, sagte Paes am Samstag. Weiße Elefanten, also in Zukunft ungenutzte Bauwerke wie nach der WM 2014, werde es nicht geben. Zum erwarteten Finanzkollaps, der mittlerweile die Ausrichtung der Paralympics in Frage stellt, äußerte sich Paes nicht.
Die Organisatoren mussten viel Kritik einstecken. Die Wege waren zu weit, die Warteschlangen zu lang, das Essensangebot zu begrenzt, einfach keine olympische Feierstimmung in der Stadt. Stimmt – daran ändert auch der Einwand nichts, dass einiges davon den Vorgaben des IOC geschuldet ist. Andere Kritiken sind übertrieben oder ungenau, zum Beispiel der Hinweis auf die unsichere Sicherheitslage.
Im Gros waren Athletinnen und Athleten sowie ihre Fans ausreichend behütet, und der aufsehenerregendste Überfall war nichts als eine Lügenstory von betrunkenen US-Schwimmern. Die kritischen oder ängstlichen Gäste übersehen, dass die Unsicherheit, die hohen Mordraten und die tägliche tödliche Polizeigewalt nicht rund ums Olympiadorf, sondern in den ärmeren Vierteln wütet.
Die Cariocas sind gar nicht so nett
Der wohl größte Minuspunkt dieser Spiele betrifft das Publikum. Einerseits, weil die Ränge bei vielen Wettbewerben gähnend leer waren, was vor allem ein Fehler der Organisation ist. Andererseits haben sich die Brasilianer mit dem ständigen Auspfeifen der Konkurrenten heimischer Sportler viele Sympathien verscherzt. Auch vielen Brasilianern ist dieses Auftreten der angeblich fröhlichen gelb-grünen Fans zutiefst peinlich.
Trotz diverser Rechtfertigungsversuche ist es ein Makel, dass sich die abendlichen Gespräche während Olympia weniger um die Tränen wegen Sieg oder Niederlage, sondern mehr um das Ausbuhen anderen Menschen drehten. Das Bild der immer netten Cariocas hat einen Kratzer bekommen.
Einige in Brasilien erklären die Pfiffe der Fans gegen nicht-brasilianische Sportler mit einem Minderwertigkeitskomplex, den die Literatur complexo de vira-lata – Promenadenmischungskomplex – nennt
Einige in Brasilien erklären die Pfiffe mit einem Minderwertigkeitskomplex, den die Literatur complexo de vira-lata – Promenadenmischungskomplex – nennt. Vor allem die weiße Mittelschicht leidet unter diesem Problem, da sie oft die ethnische Vielfalt dafür verantwortlich macht, dass ihr Land nicht zu den Großen in der Welt zählt.
Goldmedaillen für Afrobrasilianer
Aufgrund dieser rassistischen Einstellung konnten sich einige nicht so richtig über die sportlichen Erfolge freuen: Die erste Goldmedaille ging an eine schwarze Judoka, die in einer Favela aufwuchs, die dritte an einen schwarzen Boxer aus dem Bundesstaat Bahia – also aus dem armen Nordosten, der bis heute für alles Rückständige im Land verantwortlich gemacht wird.
Auch der Kanute, der erstmals drei Medaillen auf einmal – zwei Silber und eine Bronze – gewann, ist ebenfalls ein Afrobrasilianer aus ärmsten Hause in Bahia. Die Judoka Rafaela war bei früheren Niederlagen immer wieder rassistisch diffamiert worden. „Die Äffin, die in einen Käfig gesperrt werden sollte, ist jetzt Olympiasiegerin“, kommentierte sie ihren Erfolg.
Die Politik ist froh, dass der Trubel endlich vorbei ist. Übergangspräsident Michel Temer ist zwar bei der Eröffnung ausgepfiffen und auf Pappschildern bei vielen Veranstaltungen kritisiert worden, doch größeren Schaden hat seine mit äußerst fragwürdigen Methoden ermächtigte Regierung nicht genommen.
Nach Olympia kann endlich der letzte Akt der Politintrige starten: In den ersten Septembertagen will die Senatsmehrheit Präsidentin Dilma Rousseff endgültig des Amtes entheben. Die Konservativen werden nach 13 Jahren linker Sozialdemokratie wieder das Sagen haben.
Leser*innenkommentare
RPH
CHEVAL ALAZAN, du hast einen sehr guten Kommentar geschrieben. Der sagt wohl (fast) alles. Um vieles besser als der Artikel. Schade taz, eine zeitlang dachte ich, der Sportteil würde besser. Nun werden wieder Sätze hingeklatscht, ich glaube es kaum. Das böse Publikum...heftig daneben.
35440 (Profil gelöscht)
Gast
Die Stadt Rio ist finanziell endgültig ruiniert, es sind und waren Sichtwände nötig, damit die Besucher nicht direkt bemerken, wie elend diese Stadt ist. Trotz Militär wurden dennoch Sportler und Journalisten angegriffen und ausgeraubt. Das Komitee hat Doping zugelassen und jedes Bild verboten, welches zeigt wie vermüllt die Copacabana ist. Nicht zu vergessen die zehntausenden Abmahnungen des IOC gegenüber Unternehmen die aus Versehen irgendwie auf Rio oder Olympia verwiesen haben. Praktisch ist es völlig egal wer da antritt oder wo das stattfindet. Das IOC sorgt mit Militär und der Erlaubnis von Drogen dafür, dass es für die Kamera gute Bilder werden. Und verdient Milliarden an diesem Pomp, während der Austragungsort ein paar Milliarden Dollar Schulden mehr anhäuft.
Fassen wir zusammen:
Mit Olympia 2016 hat die Mehrheit der Zuschauer/Menschen in der westlichen Welt endgültig die Nase voll von Korruption und Größenwahn. Ausgetragen werden kann diese Brot-und-Siele-Propaganda nur noch in Diktaturen, alle anderen Staatsbevölkerungen weigern sich.
Und trotzdem - den größten(!) Minuspunkt dieser(!) Spiele(!) sieht die TAZ bei dem Publikum.
Danke für diese charakterliche Offenbarung, liebe TAZ.