Brasiliens Industrie gegen Rousseff: Wahlkampf an der Börse
Die Wirtschaft im ehemaligen Boomland schwächelt. Unternehmen und Opposition prophezeien eine Krise, sollte die Präsidentin wiedergewählt werden.
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RIO DE JANEIRO taz | Die Großbank Santander warnte Ende Juli ihre Kunden vor der Wiederwahl der Präsidentin: Dilma Rousseff schade der Wirtschaft, mit „steigenden Umfragewerten der Amtsinhaberin wird die Börse fallen und die Währung schwächer“. Santander entschuldigte sich umgehend und entließ zumindest einen der unvorsichtigen Mitarbeiter.
Doch der Fauxpas zeigt, worauf sich Rousseffs Mitte-links-Regierung der Arbeiterpartei PT vor der Wahl am 5. Oktober einstellen muss. Dass gerade die Banken riesige Gewinne unter Rousseff erwirtschaften konnten, ändert nichts daran, dass sie nach 12 Jahren Arbeiterpartei wieder die konservative Opposition ans Ruder bringen wollen.
Die Zeitungen, die fast jeden Tag mit ökonomischen Hiobsbotschaften aufmachen und sogar aus der sinkenden Arbeitslosigkeit noch eine schlechte Nachricht basteln, legten gleich nach: Dass Rousseff juristische Schritte gegen Santander erwäge, sei ein weiterer Beweis dafür, dass die Politik in das freie Wirtschaften eingreife, so ein Kommentar im O Globo.
Das Gespenst eines Wirtschaftskollapses begleitet nicht zum ersten Mal eine Präsidentschaftswahl in Brasilien. Bevor der Exgewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva 2002 erstmals ins höchste Staatsamt gewählt wurde, sagte der Investor George Soros ein „Chaos“ voraus, sollte die zu dieser Zeit noch linke PT gewinnen.
Auf und Ab der Börse
Damals „errechnete“ die Bank Goldman Sachs mit einer eigenen Formel, wie stark die Währung bei einem Sieg Lulas fallen werde. Heute wird das Auf und Ab der Börse mit den Wahlumfragen erklärt: Sinken Rousseffs Stimmungswerte, steigen die Aktienkurse, weil die Investoren auf ein besseres Investitionsklima hoffen.
Rousseff wirft der Opposition unfairen Wahlkampf vor, weil sie die Wirtschaftslage falsch darstelle. Das sei schlecht für das Land, denn Panikmache wirke abschreckend auf Unternehmer wie Investoren. Doch auch britische Wirtschaftsmagazine und die Deutsche Bank sehen Brasilien auf dem absteigenden Ast und machen dafür Rousseffs Politik verantwortlich, insbesondere den regulierend eingreifenden Staat.
Trotz der schlechten Nachrichten zur Wirtschaftslage liegt Rousseff in Wahlumfragen mit knapp 40 Prozent klar in Führung. Aécio Neves von der konservativen PSDB liegt bei gut 20 Prozent. Nach dem Tod des drittplatzierten Eduardo Campos, der vergangene Woche bei einem Flugzugabsturz ums Leben kam, tritt für ihn nun die populäre ehemalige Umweltministerin Marina Silva an. Ihr werden weit mehr als die 10 Prozent von Campos zugetraut.
Mit aktuellen Zahlen kann sich die Regierung nur schlecht verteidigen: Die Inflation liegt mit etwa 6 Prozent nur knapp unterhalb der selbst gesetzten Obergrenze. 2014 könnte das Wachstum nur bei 0,9 Prozent liegen, die Zahlungsbilanz zeigt ein Defizit von fast 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Industrieproduktion ging zurück, im WM-Monat Juni fiel sie auch wegen der vielen Fußballfeiern um 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Fahrzeugherstellung im viertgrößten Automarkt der Welt brach im ersten Halbjahr um 17 Prozent ein. Ist es vorbei mit dem Wirtschaftswunder Brasiliens, das die weltweite Finanzkrise bei Weitem besser überstand als so mancher Industriestaat?
Hohes Zinsniveau
Rousseff hat Fehler gemacht. Erst senkte sie Zinsen und den überbewerteten Wechselkurs des Real, um beides kurz darauf wieder rückgängig zu machen. Das hohe Zinsniveau und die teure Währung mindern die Wettbewerbsfähigkeit. Statt langfristig auf Industrialisierung zu setzen, wird die Wirtschaft vom Export von Rohstoffen und Agrarprodukten getragen, die traditionell kurzsichtige Politik Brasiliens.
Zudem ist die nachfrageorientierte Politik an ihre Grenzen gestoßen: Der Boom bei Haushaltsgeräten und Autos, ausgelöst durch erfolgreiche Sozialpolitik und jahrelang steigenden Reallöhnen, ist erschöpft. Trotz Verkehrschaos in den Städten subventioniert die Regierung den Verkauf von Neuwagen.
Doch die Kritiker übersehen, dass nur ein Teil der Probleme hausgemacht ist. Auch andere Schwellenländer wie Indien, Indonesien oder Südafrika verzeichnen Wachstumseinbrüche. Grund dafür sind der schleppende Aufschwung in den Industriestaaten und die sinkende Nachfrage nach Rohstoffen vor allem in China. Und der beginnende Kapitalabfluss liegt weniger an angeblicher Misswirtschaft als an der Erwartung, dass die US-Notenbank bald ihre lockere Geldpolitik beenden wird.
Angesichts niedriger Arbeitslosigkeit, der Erschließung neuer Erdölvorkommen und großen Investitionen in Infrastruktur steht es um Brasiliens Wirtschaft vergleichsweise gut. Vor allem ein Unterschied zu 2002 müsste heute die Panikmache von rechts verbieten: Damals lagen die Währungsreserven Brasiliens bei rund 35 Milliarden US-Dollar. Heute liegen sie über 360 Milliarden. (mit dpa)
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