Brandmauer im EU-Parlament: Zu liberal gegenüber den Rechten
Europas Liberale streiten wegen fehlender Brandmauern der niederländischen Regierung. Die FDP versucht, die Aufregung herunterzukochen.
„Wir haben die Brandmauer gegen Rechtsextremismus immer respektiert, und ich werde nach der Wahl Sorge dafür tragen, dass dieser Wert weiterhin respektiert wird“, erklärte die EU-Abgeordnete von Emmanuel Macrons Renaissance-Partei Mitte Mai.
Doch ihre Kolleginnen und Kollegen in Brüssel und Berlin sehen im liberalen Kuschelkurs mit den niederländischen Rechten kein prinzipielles Problem. „Die niederländischen und die deutschen Liberalen sind eng miteinander verbunden und freuen sich auf die zukünftige gemeinsame Zusammenarbeit im EU-Parlament“, erklärte FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gegenüber der taz. „Ich werde die nationale Lage in den Niederlanden nicht von außen kommentieren, zumal wir diesen Prozess nicht begleitet haben.“
Strack-Zimmermann ist Spitzenkandidatin der ALDE-Partei (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa), die gemeinsam mit der European Democratic Party (EDP) und der Renaissance von Macron die Renew-Fraktion im europäischen Parlament bildet.
Viel Verständnis
Die ALDE zeigt sich verständnisvoll, was den Rechtskurs der niederländischen VVD angeht: „Eine ALDE-Mitgliedspartei sollte nicht von Vorneherein nach den Ansichten eines politischen Partners beurteilt werden, sondern nach ihren Handlungen“, sagte der Kampagnenberater der Partei, Luis Cano, der taz.
Man sei sich darüber im Klaren, dass „bei der Umsetzung liberaler Politik“ mitunter mit anderen Parteien gearbeitet werde, „die sich leicht oder sogar dramatisch von den politischen Ansichten“ der ALDE unterschieden, so Cano.
Bereits im Mai vergangenen Jahres hatte ein ALDE-Kongress in Stockholm die Parteiführung zu einer glaubhaften Abgrenzung von Europas Rechten gedrängt. Anlass dafür war, dass Tschechiens ehemaliger Regierungschef Andrej Babiš, der mit seiner Partei ANO auch innerhalb der ALDE organisiert ist, als Panel-Redner beim rechtsextremen CPAC-Kongress in Budapest teilnahm.
Die ALDE schreibt in ihrer Resolution, dass solcherlei Auftritte zu einem „Glaubwürdigkeitsverlust für Liberale, insbesondere vor den anstehenden europäischen Parlamentswahlen“ führen könnten. In dem Statement heißt es weiter, dass „die Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten im Widerspruch zu den liberalen und pro-europäischen Werten“ stehe.
Neues Gewicht
Der Koalitionsvertrag der rechts-liberalen VVD mit der Partei von Wilders in den Niederlanden verleiht der Resolution von ALDE nun neues Gewicht. Denn in Den Haag einigten sich die Koalitionäre Mitte Mai darauf, „die strengsten Asylregelungen und das umfassendste Paket zur Steuerung von Migration“ der Landesgeschichte auf den Weg zu bringen. Dazu gehört die Beweislastumkehr für Asylsuchende, weniger Geld für ihre Rechtshilfe, kürzeren Asylverfahrensdauern und mehr Überwachung von Geflüchteten.
Die Chefin der liberalen Renew-Fraktion Hayer sagte, sie missbillige die niederländische Koalitionsvereinbarung. „Ich denke, dass die VVD sich von unseren Werten losgesagt hat“, so die französische Politikerin. In Deutschland wird diese Analyse von Strack-Zimmermann zumindest nicht öffentlich geteilt. Die ALDE-Spitzenkandidatin versuchte gegenüber der taz, die niederländischen Kolleg*innen zu vereinnahmen: „Für uns als FDP, aber auch für die VVD ist klar: Wir werden auf europäischer Ebene nicht mit den rechten Parteien zusammenarbeiten.“
Man werde intern mit der VVD sprechen, so Strack-Zimmerman. Im April hatte sie noch in einem Interview mit der Amsterdamer Zeitung NRC gesagt, sie sei „überrascht, dass die VVD eine Zusammenarbeit mit Geert Wilders in Betracht zieht“. Wie sie auf die Abstimmung bei Renew zum Ausschluss der niederländischen Partei blickt, wollte die Politikerin nun nicht beantworten.
Auch in anderen EU-Ländern arbeiten liberale Parteien längst gemeinsam mit Rechtsextremisten – und sorgen damit für Streit bei Renew. In Stockholm etwa regiert die Minderheitsregierung aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen nur mit Hilfe der rechtsextremen Schwedendemokraten.
Stimmung nicht rosig
Pikant: Die oppositionelle schwedische Centerpartie sitzt im EU-Parlament mit den regierenden Liberalerna in der gemeinsamen Fraktion Renew Europe. Wegen der Offenheit nach rechts forderte die Renew-Abgeordnete Emma Wiesner (Centerpartie) deshalb den Rauswurf der Liberalerna aus der gemeinsamen Fraktion. „Wenn wir als Liberale nicht für liberale Werte einstehen, wer soll es dann tun“, sagte sie.
Doch nicht nur diese internen Auseinandersetzungen dürften dafür sorgen, dass die Stimmung bei den europäischen Liberalen dieser Tage nicht gerade rosig ist: Umfragen sehen sie bei den Wahlen zum EU-Parlament herbe Verluste einfahren. Demnach könnte es sein, dass Renew Europe am Sonntag nur mit 75 (Politico) bis 82 (Euronews) Mandaten in die Kammer einzieht, die dann insgesamt 720 Sitze umfassen könnte. Aktuell hält die Fraktion 100 Mandate im EU-Parlament, das derzeit 705 Sitze hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“