Brandenburger Bahnverkehrspläne: Anschluss ans Baltikum
Die Region östlich von Berlin wartet dringend auf den Ausbau der Ostbahn-Strecke, die überwiegend eingleisig und nicht elektrifiziert ist.
Der Bahnhof Seelow-Gusow im ostbrandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland wirkt nicht gerade wie ein bedeutendes Drehkreuz des Eisenbahnverkehrs. Die einzige Bahnsteigkante ist unterteilt in die Bahnsteige 1a und 1b. Ein schmucker Klinkerbau mit historischem Schriftzug zeigt an, dass der Bahnhof nicht der jüngste ist. Die Fahrradständer sind überdacht, und es gibt einen Park-&-Ride-Platz. Drum herum ist viel freie Landschaft.
Nach Berlin verläuft ein Gleis anscheinend schnurgerade zum Horizont, nach Polen geht es etwas bergab. Einmal pro Stunde hält ein Zug der Regionalbahnlinie 26 in jeder Richtung – mit Dieseltriebwagen. Betrieben wird die Strecke nicht von der Deutschen Bahn, sondern von der Niederbarnimer Eisenbahn.
Wenn es nach der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg geht, soll hier in Zukunft mehr los sein. Die IHK fordert den Ausbau der bestehenden eingleisigen Strecke von Berlin bis zur polnischen Grenzstadt Kostrzyn an der Oder, an der auch der Bahnhof Seelow-Gusow liegt. Um das zu untermauern, hat sie Argumente zusammengetragen. So würde ein Ausbau nicht nur die Anbindung zahlreicher Orte zwischen Berlin und der Grenze zu Polen verbessern und der Region einen Wachstumsschub geben, sondern er könnte auch noch ein paar andere Probleme lösen.
Dazu hatte die IHK eine Untersuchung der Strecke in Auftrag gegeben, Zwischenergebnisse gibt es schon: Auf 32 Seiten wird bis auf einzelne Weichen und Bahnübergänge aufgelistet, wie die Strecke leistungsfähiger werden könnte. Drei Ausbauvarianten werden vorgeschlagen. Mit mehr als 300 Millionen Euro die teuerste wäre die komplett zweigleisige und elektrifizierte Variante. Sie wäre auch in der Lage, Züge von der stark belasteten Strecke zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) aufzunehmen.
Ein zweites Gleis nötig
IHK, Landkreis und Kommunen drängen zur Eile. Denn eigentlich sollen die Züge zumindest zwischen Berlin und Müncheberg im 30-Minuten-Takt fahren. Dazu ist allerdings ein zweites Gleis zwischen Berlin-Mahlsdorf und Hoppegarten nötig, damit entgegenkommende Züge passieren können. Selbst bei sofortigem Beginn der Planungen werde die Zeit bis dahin knapp, fürchtet die IHK. „Aber auch dann hat die gesamte Strecke noch keine Kapazität, um nennenswerten Güterverkehr aufzunehmen“, heißt es in einer Erklärung.
Die Ostbahn, wie die Strecke auch genannt wird, hat eine lange Geschichte. Ab 1867 verband sie Berlin mit Ostpreußen. Der Name Ostbahnhof erinnert in Berlin an ihren damaligen Ausgangspunkt. Bei Küstrin überquert die Strecke die Oder. Vor dem Ersten Weltkrieg fuhr der Luxuszug Nord-Express von Paris nach Stankt Petersburg. Damals gab es zwei Gleise, doch das zweite wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparation demontiert. Elektrifiziert ist nur der Abschnitt von Berlin nach Strausberg, allerdings nur mit einer Stromschiene für die S-Bahn.
Auch für Seelows Bürgermeister Jörg Schröder wäre der Ausbau wünschenswert. Er weiß, wovon er spricht. Nach Berlin nehme er immer die Bahn. „51 Minuten bis zum Ostkreuz. Mit dem Auto schafft man das nicht.“ Man sei sehr froh über die Ostbahn. Er erinnere sich noch an Diskussionen zur Jahrtausendwende darüber, ob der Betrieb nicht gänzlich eingestellt werden solle. Aber es gebe Probleme: Im Berufsverkehr seien die Züge brechend voll. Außerdem sei der Takt unzureichend.
Problem Auf den Pendlerstrecken von Berlin nach Brandenburg wird es enger. Selbst das Brandenburger Infrastrukturministerium sieht Kapazitätsgrenzen nahen. Für fast alle Verbindungen gibt es laut einer Untersuchung kaum noch Möglichkeiten für engere Takte oder Züge mit mehr Sitzplätzen. Mehr Angebote auf der Schiene seien nur noch durch Erweiterungen bei der Infrastruktur, also den Ausbau von Strecken und Bahnhöfen, möglich.
Möglichkeiten Und da gibt es einiges zu tun. So wurde zwar erst 2011 die Strecke zwischen Cottbus und Lübben saniert, an ein zweites Gleis hat man dabei aber nicht gedacht. Im Nordosten tut sich aber etwas: Auf der stillgelegten Stammstrecke der Heidekrautbahn sollen ab 2023 wieder Züge bis Wilhelmsruh fahren. Ab 2028/2030 sollen die Züge bis zum ICE-Bahnhof Gesundbrunnen rollen. (taz)
Leider komme der Ausbau der Bahnstrecke aber weder im Landesnahverkehrsplan noch im Bundesverkehrswegeplan vor. Das sei ein Fehler. Anders als in früheren Prognosen schrumpfe die Bevölkerungszahl in der Region nicht, sondern wachse sogar leicht. Der Zuzug komme meist aus Berlin. „Bei uns sind die Grundstücke noch erschwinglich“, sagt Schröder. Seelows Einwohnerzahl liegt stabil bei knapp 5.500. Mit einer besseren Zuganbindung könnten es mehr werden.
Bei den Planungen hinten heruntergefallen
Tatsächlich kann man den Eindruck haben, die Ostbahn sei bei den Planungen für den Schienenverkehr in den vergangenen Jahren hinten heruntergefallen. Aus den Unterlagen für den im vergangenen Jahr beschlossenen Landesnahverkehrsplan kann man erkennen, dass auf keiner der von Berlin ausgehenden Regionalbahnstrecken so viele Bahnhöfe nicht barrierefrei sind. Auch sind die Bahnsteigkanten vielerorts so niedrig, dass die Reisenden praktisch in die Waggons klettern müssen.
Beim zuständigen Ministerium für Infrastruktur verweist man zunächst auf die Vergangenheit. 11 Millionen Euro seien investiert worden. Davon wurde unter anderem ein zweites Gleis zwischen Strausberg und Rehfelde gelegt und am Bahnhof Strausberg der S-Bahn vom Regionalbahnverkehr getrennt. Die wichtigste Neuerung dürfte sein, dass die Züge seit Dezember in Berlin nicht mehr in Lichtenberg starten, sondern am Ostkreuz, das zum Umsteigen attraktiver ist. Dort wurde eigens ein Bahnsteig für die Ostbahn gebaut.
Außerdem sieht man die Verantwortung für die Probleme an anderer Stelle. „Die Niederbarnimer Eisenbahn ist gefordert, die abgestimmte Erhöhung von 280 auf 420 Sitzplätze so schnell wie möglich umzusetzen“, so Ministerin Kathrin Schneider (SPD). „Für eine leistungsfähige, moderne Ostbahn brauchen wir eine komplette Zweigleisigkeit und die Elektrifizierung.“ Das werde Brandenburg gegenüber dem Bund einfordern.
Langfristig könnte noch etwas anderes den Ostbahnbefürwortern in die Hände spielen. In Polen wird nämlich die sogenannte Baltic Rail geprüft. Die Baltischen Staaten sind bisher nicht an das Schienennetz in den anderen EU-Ländern angeschlossen. Die neue Verbindung soll diese Lücke schließen und dabei die russische Exklave Kaliningrad umgehen.
Angesichts der Spannungen zwischen Polen, den baltischen Staaten auf der einen und Russland auf der anderen Seite ist das auch ein strategisches Projekt. Es könnte also Geld geben. Die Ostbahn wäre dann der erste Kandidat, um Baltic Rail an Berlin anzuschließen.
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