■ Bonn apart: Wie der Wal kämpft
In der Denkfabrik Kanzleramt schlagen sie sich begeistert auf die Schenkel. Das Manöver „Keep Kohl“ hat eingeschlagen. „Rumms!“ lautete gestern die Schlagzeile der Bild-Zeitung. „Kanzler spricht Machtwort. Ich kandidiere vier Jahre.“ Hört sich das nicht an, wie: Ich mach's noch einmal vier Jahre?
Angefangen hatte die Inszenierung der CDU mit einem Trick des geheimen Kanzlerberaters Reiner Pfeiffer. Der ehemalige Barschel-Intimus jubelte Gerhard Schröder gefälschte kubanische Zigarren unter – für 1.400 Mark.
Doch der Schuß ging nach hinten los: Schröder kam dabei rüber als Mensch wie du und ich, fand die Demoskopie-Strategin der CDU, Elisabeth Noelle- Neumann, heraus. In der Wählergunst stieg er sogar noch um ein Prozent.
Die CDU mußte reagieren. Fraktionschef Wolfgang Schäuble und Noelle-Neumann trafen sich heimlich im Demoskopie-Labor der Union. An dressierten Affen, Ratten und Mäusen testeten sie, wie sich die Ankündigung von Kohls Rücktritt auf die Wählergunst auswirken würde. Ergebnis der Szenarien: Wenn Kohl nach zwei Jahren zurücktritt, steigt die CDU in den Umfragen um 2,4 Prozent. Tritt er nach dem Ablauf der EU-Präsidentschaft im Juli 1999 zurück, legt die CDU um 3,3 Prozent zu. Reicht er sofort nach der Wahl seine Demission ein, steigt der CDU-Wert gar um 4,8 Prozent. Jeder Monat Kohl weniger verbessert also die Chancen der CDU um 0,1 Prozent. Schäuble kam eine brillante Idee: Kohl soll seinen Rücktritt rückwirkend um vier Jahre verkünden. Das würde der Partei 9,6 Prozent mehr Stimmen bringen.
Er eilte zum Kanzler. Helmut Kohl schaute seinen Getreuen wehmütig an. „Soll ich es also wirklich nicht mehr vier Jahre machen?“ sinnierte er. Schäuble nickte. Nach einer Weile sagte Kohl: „Hast du etwa Alzheimer, Wolfgang?“ Der Kampfesmut von Helmut Kohl war nun erwacht. „Vielleicht sollte ich mich liften lassen“, lispelte er.
Aber auch die SPD blieb nicht untätig. Einer ihrer Wahlkampfagenten behauptete, Schröder die gefälschten Havannas angedreht zu haben – um ihm nun voller Reue den Kaufpreis zurückzuerstatten. Schröder bot fifty-fifty an. Noelle-Neumann schlug Alarm: Drei Prozentpunkte mehr für Schröder!
Da kam Schäuble die rettende Idee. Er würde öffentlich Kohls Rücktritt andeuten, sich dadurch als Schurke präsentieren, Mitleid für den Kanzler erregen und Kohl die Gelegenheit geben, sich als starker Mann zu präsentieren. So kam es. Und allem Anschein nach geht der Plan auf. Der Dank gilt Wolfgang Schäuble. Er hat sich geopfert! Markus Franz
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