Bombenfunde legen Oranienburg lahm: Explosive Stimmung
Weil in Oranienburg hunderte von Blindgängern unter der Erde vergraben liegen, sperrt der Landkreis Oberhavel Teile der Stadt für den Busverkehr.
Oranienburg streitet über Bomben. Mehr als 320 Blindgänger vermuten Experten unter der 42.000-Einwohner-Stadt nördlich von Berlin. Jetzt reagiert der Kreis: Ab Sonntag müssen Busse Teile der Innenstadt umfahren. "Leib und Leben der Oranienburger" seien zu schützen, so Landrat Karl-Heinz Schröter (SPD).
Bei Oranienburgs Stadtspitze stößt das Busverbot auf wenig Gegenliebe. Grundsätzlich begrüße sie Anstrengungen, Gefahren der Bürger zu minimieren, so Vizebürgermeisterin Kerstin Faßmann. Sinnvoller als Busse zu verbannen - während Laster und Müllwagen weiter fahren - sei aber, die Bombensuche zu intensivieren. Der Seniorenbeirat schimpft über weite Wege für wenig mobile Bürger: Ob man demnächst nur noch mit Filzlatschen in die Stadt dürfe? Auf Beschluss der Kreisverwaltung Oberhavel werden ab Sonntag vier von acht Buslinien umgeleitet. Sie sollen Bereiche umfahren, die nach einem im Mai veröffentlichten Gutachten des Cottbuser Kampfmittelexperten Wolfgang Spyra als besonders blindgängergefährdet gelten.
Man sei sich der Schwere der Maßnahme bewusst, so Kreissprecherin Irina Schmidt. "Wir haben aber auch Verantwortung für die Bürger." Und die bis zu 20 Tonnen schweren Busse könnten Detonationen auslösen.
Oranienburg wurde im Zweiten Weltkrieg als Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie von den Alliierten besonders ins Visier genommen: Über 10.000 Bomben warfen sie hier ab. Gut 4.000 waren mit einem chemischen Langzeitzünder versehen, etwa 10 Prozent hätten nicht gezündet, so das Spyra-Gutachten. Langsam zersetze sich der Zünder - damit seien "Selbstdetonationen in naher Zukunft als wahrscheinlich anzunehmen".
Fünfmal sind seit 1945 in Oranienburg Bomben von selbst explodiert, meist ohne größere Schäden. Knapp 160 Bomben wurden seit der Wende geborgen, ein bundesweit einsamer Rekord. Nur 16 Prozent der Stadtfläche gelten als munitionsfrei. Als Anfang Juni in Göttingen eine Weltkriegsbombe drei Munitionsräumer tötete, entfachte dies auch die Debatte in Oranienburg. Landrat Schröter wertete den Fall als "Weckruf" an die Landesregierung, mehr für die Munitionsräumung zu tun. Schließlich habe Oranienburg den Krieg nicht allein begonnen. Aus dem Innenministerium heißt es, bei der Kampfmittelräumung genieße Oranienburg seit Jahren Priorität. Seit 1996 hat das Land laut Ministeriumssprecher Ingo Decker 149 Millionen Euro für Altmunitionssuche ausgegeben, ein gutes Drittel davon in der Havelstadt. Dieses Jahr stünden 9 Millionen Euro bereit.
Als "Tropfen auf den heißen Stein", bezeichnet Kreissprecherin Schmidt die Landesmittel. Allein der Landkreis steuere 11 Millionen Euro bis 2012 bei. Laut Gutachter Spyra wären 420 Millionen Euro nötig, um alle Blindgänger zu bergen. Ganz aus dem Schneider sieht sich der Bund: Zuständig sei man für die Beseitigung "reichseigener", nicht aber alliierter Kampfmittel.
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