Börse und Wirtschaft: DAX-Rekorde und gleichzeitig Wirtschaftskrise – wie das?
Die Arbeitslosigkeit steigt, der Konsum lahmt. Aber an der Börse knallen die Korken, weil der DAX über 22.000-Punkte klettert. Wie kann das sein?
D er Deutsche Aktienindex markiert immer neue Höchststände – jüngst ist er sogar über die 22.000-Punkte-Marke geklettert. Und gleichzeitig kriselt die deutsche Wirtschaft. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist noch immer auf dem Niveau von 2019, aber der DAX hat in der Zeit 60 Prozent zugelegt. Immer wieder werde ich gefragt: Wie kann das sein, wo doch die Schlagzeilen voll von Krisenmeldungen sind?
Der 28-Jährige ist Autor und Ökonom. Hier überlegt er einmal monatlich, wie sich wirtschaftliche Utopien umsetzen ließen.
Die Insolvenzen steigen, die Arbeitslosigkeit steigt, offene Stellen gibt es immer weniger, der Konsum lahmt, Energie ist immer noch teurer als vor dem Ukrainekrieg, die Industrie produziert weniger, die Baubranche baut weniger. Und an der Börse? Da scheint eine andere Wirklichkeit zu existieren. Da knallen die Korken und es wird auf neue Rekorde angestoßen.
Der entscheidende Punkt: Der DAX ist nicht die deutsche Wirtschaft. Der DAX ist zwar der wichtigste Aktienindex Deutschlands, umfasst aber nur 40 Unternehmen. Und diese Unternehmen sind keine typisch deutschen Mittelständler, sondern globale Konzerne wie Siemens, SAP oder die Allianz. Ihr Geschäft hängt längst nicht nur von Deutschland ab. Im Gegenteil: Viele dieser Firmen erwirtschaften einen Großteil ihres Umsatzes außerhalb von Deutschland, sogar außerhalb von Europa – in den USA, China oder anderen Märkten, in denen die Konjunktur besser läuft.
Während die deutsche Wirtschaft unter hohen Energiepreisen, politischer Unsicherheit und schwächelnder Binnennachfrage leidet, profitieren DAX-Unternehmen vom Wachstum anderswo auf der Welt. Siemens Energy profitierte von der steigenden Nachfrage nach Gütern für die Energiewende, SAP vom wachsenden Interesse an künstlicher Intelligenz, Zalando vom Modehandel in anderen Ländern. Besonders auffällig: Der Kurs von Rheinmetall hat sich seit Beginn des Ukrainekriegs versiebenfacht, weil die Nachfrage nach Rüstungsgütern hochgeschnellt ist. Nicht zuletzt wegen des Sondervermögens der Bundeswehr, von dem rund ein Drittel in den Auftragsbüchern bei Rheinmetall landet.
Dazu kommt: Investoren bewerten Aktienkurse nicht nur anhand der aktuellen Lage, sondern mit Blick auf die Zukunft. Selbst wenn die deutsche Wirtschaft heute schwächelt, erwarten viele, dass sie sich erholen wird – und kaufen entsprechend jetzt Aktien.
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Ganz anders sieht es im Mittelstand aus. Mittelständische Unternehmen, die eher auf die Binnenwirtschaft konzentriert sind, kämpfen stärker mit den aktuellen wirtschaftlichen Problemen. Und das spiegelt sich auch an der Börse wider: Während der DAX im letzten Jahr deutlich zugelegt hat, hinkt beispielsweise der SDAX, der Index für kleinere börsennotierte Unternehmen, deutlich hinterher und liegt nur 13 Prozent über dem Niveau von 2019.
Die Unternehmen im SDAX, der oft als Gradmesser für die wirtschaftliche Lage des deutschen Mittelstands gilt, haben sehr wohl mit den Problemen aus den deutschen Schlagzeilen zu kämpfen.
Dazu kommt die Geldpolitik. Weil die Europäische Zentralbank, wie die anderen großen Zentralbanken auch, die Zinsen nach und nach absenkt, neulich etwa den Leitzins auf 2,75 Prozent, werden Aktien im Vergleich zu Sparkonten wieder attraktiver – und ziehen dadurch wieder mehr Geld an. Für internationale Großanleger sind dann die deutschen DAX-Konzerne Teil der Anlagestrategie. Auch wenn der Bäcker nebenan seine Brötchen nicht verkauft bekommt.
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