Böden Immer mehr Höfe stellen auf solidarische Landwirtschaft um. Das faire und bedarfsorientierte Wirtschaftsmodell fasziniert Landwirte und Verbraucherinnen: Der solidarische Salat
von Gesa Maschkowski
Wer im Hofladen des Kattendorfer Hofes in der Nähe von Hamburg einkaufen geht, kann dort mitunter seltsame Beobachtungen machen: Manche Kunden laden sich Gemüse, Kartoffeln, Salate, Wurst, Käse und Milch in die Taschen und gehen wieder, ohne zu bezahlen. Die dürfen das!
Denn der Kattendorfer Hof gehört zu den größten Höfen in Deutschland, die auf Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) umgestellt haben. 450 Ernteanteile werden hier jede Woche gepackt und in verschiedenen Depots und Abholstellen verteilt. Nur das Kartoffelkombinat in München ist noch größer. Es hat mittlerweile gut 750 Mitglieder, mitunter auch liebevoll Solawinen oder Solawisten genannt. Sie müssen für die Lebensmittel nichts bezahlen, denn mit den monatlichen Mitgliedsbeiträgen sind alle Tätigkeiten rund um ihre Herstellung bereits finanziert.
Einmal im Jahr wird Kassensturz gemacht und die neue Jahresplanung gemeinsam festgelegt. Manche SoLaWis erheben feste Mitgliedsbeiträge, andere wirtschaften nach dem Solidarprinzip „jede/r zahlt so viel er kann und es ihr oder ihm wert ist“. Der Vorteil für die Landwirte: Sie haben Finanzierungs- und Planungssicherheit und wissen, für wen sie ihren Hof betreiben. Der Vorteil für die Verbraucherinnen: die direkte Verbindung zwischen Mensch, Hof und Produkt.
„Hier weiß ich, wer sein Herz reingibt, das weiß ich im Laden nicht“, sagt Wolfgang Stränz, Mitgründer der ältesten SoLaWi von Deutschland, dem Buschberg Hof, der nun schon 27 Jahre nach diesem Prinzip arbeitet. Viele Jahre gab es nur diesen einzigen Solidarhof, heute sind es über 80 Betriebe und rund 100 neue Initiativen in Gründung. Sie organisieren sich im Netzwerk solidarische Landwirtschaft. International existieren noch weit mehr – etwa in den USA, Japan, Frankreich, Belgien und den Niederlanden.
„SoLaWi ist für mich die Möglichkeit, wieder ganz neu in die Landwirtschaft einzusteigen. Und zwar mit Menschen, die wertschätzen, was wir tun“, meint Biobauer Bernd Schmitz. Gemeinsam mit der Demeter-Gärtnerin Lisa Schäfer und dem Gemüsebauern Werner Grüsgen produziert er seit 2014 Gemüse, Kartoffeln und Getreide für die SoLaWi Bonn, eine Wirtschaftsgemeinschaft mit gut 130 Ernteanteilen pro Woche. An Brot, Eier und Milch ist auch schon gedacht.
„In der Biobranche haben wir mittlerweile die gleichen Probleme wie in der konventionellen“, meint der 49-Jährige, der sich auch in der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ engagiert. Es herrsche ein harter Preis- und Konkurrenzdruck, angeheizt von steigenden Pachtpreisen und günstiger Bioware aus dem Ausland. „Da fehlt die soziale Komponente, auf die Menschen wird immer weniger Rücksicht genommen“, so Schmitz. SoLaWi ist für ihn eine neue Qualitätsstufe: Biolandwirtschaft plus Wertschätzung.
Gemeinschaftliches Wirtschaften ist so alt wie die Menschheit, doch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es in Form von Genossenschaften wiederbelebt. In Großbritannien, Frankreich und Deutschland entstanden unabhängig voneinander die ersten Kooperativen, angeregt von Robert Owen, Louis Blanc, Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch. Heute sind im Internationalen Kooperativenverband ICA Genossenschaften mit mehr als 800 Millionen Mitgliedern zusammengeschlossen, die zusammen über 250 Millionen Beschäftigte zählen – mehr als dreimal so viel wie Transnationale Konzerne. In Deutschland gibt es rund 8.800 Genossenschaften mit gut 21 Millionen Mitgliedern, Tendenz steigend.
Der Begriff „Solidarische Ökonomie“ ist jünger und stammt aus Lateinamerika. In den 1970ern untersuchte der Chilene Luis Razeto Migliaro kleine Selbsthilfebetriebe von Marginalisierten und formulierte deren Prinzipien: Kooperation statt Konkurrenz, Gemeinwohl statt Egoismus, Selbstverwaltung statt Chefherrschaft, Nutzen statt Profit. Da es keine allgemeingültige Definition von Solidarökonomie gibt, ist das Menschenbild entscheidend, das die Betreffenden leitet. Es sollte alle Menschen einschließen und den Zugang zu allem fördern, was sie körperlich und geistig für ein gutes Leben benötigen. Das Spektrum der Solidarbetriebe ist deshalb weltweit sehr breit. Kleine Kollektive genauso wie große Genossenschaften, Ökodörfer, Gemeinschaftsgärten, Regiogeldvereine und vieles mehr.
www.solidarische-oekonomie.de
Was man liebt, zerstört man nicht. Wovon man lebt, erst recht nicht. Das Thema Bodenerhalt und Bodenfruchtbarkeit ist zentral in der SoLaWi-Bewegung. „Eine Hand, gefüllt mit bestem Ackerboden, beinhaltet so viel Tiere und Mikroorganismen, wie es Menschen auf der ganzen Welt gibt“, schreibt Landwirt Karsten Hildebrandt im Jubiläumsband des Buschberghofes. Die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit treibt auch Frank Wesemann um, der in der Nähe von Berlin die SoLaWi Waldgarten aufgebaut hat. Er wünscht sich eine Pro-Humus-Bewegung. Humus, sagt er, habe ein enormes Potenzial, durch CO2-Speicherung die Klimaerwärmung zu bremsen.
Solidarische Landwirtschaft ist viel mehr als nur ein landwirtschaftliches Modell, findet Sarah Scholz, Mitgründerin der SoLaWi Bonn. „Wir üben, eine andere Art Gesellschaft zu machen“, sagt sie. „Wir setzen uns zusammen und überlegen, was wir brauchen und wie wir die Bedürfnisse von Natur und Menschen miteinbeziehen können. Erst dann fangen wir an zu produzieren.“
Diese Vorgehensweise ist für die Aktivistin, die sich auch in der Commons-Bewegung engagiert, ein Gegenentwurf zum herkömmlichen System: „Hier im landwirtschaftlichen Bereich haben wir die Möglichkeit auszuprobieren, welche Verhaltensweisen, Strukturen und Organisationsformen es braucht, um Gesellschaft neu zu gestalten“.
Die Autorin ist Mitgründerin der Initiative Bonn im Wandel
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