: Blitzkrieg in der BBC
„Die Russen waren so feige, da haben wir natürlich auf sie geschossen“ – Eine vierteilige BBC-Serie beschäftigt sich mit der Rolle Stalins im Zweiten Weltkrieg. Und banalisiert dabei die Ereignisse
von MICHAEL MAREK
22. Juni 1941. Die deutsche Wehrmacht überfällt die Sowjetunion. Damit beginnt ein beispielloser Vernichtungsfeldzug gegen russische Partisanen, Kriegsgefangene und Zivilisten. Ein Krieg, der über 30 Millionen Menschen das Leben kostete. Seinen Verlauf nachzuerzählen unternimmt ab heute Laurence Rees, Leiter der BBC-Fernsehredaktion für Zeitgeschichte.
In einer Koproduktion mit dem Norddeutschen Rundfunk ist dabei die vierteilige Dokumentation „Hitlers Krieg im Osten“ entstanden. Rees folgt in seinem ambitionierten Werk der historischen Chronologie: beginnend mit der Vorgeschichte des Überfalls, dem Hitler- Stalin-Pakt, den ersten deutschen Blitzkriegs-Erfolgen, dem Ende der 6. Armee vor Stalingrad bis hin zur sowjetischen Siegesparade auf dem Roten Platz in Moskau Mitte 1945.
Bewegende Schicksale
Dabei sind es die bewegenden Erinnerungen der Augenzeugen, die den Kriegsterror „verlebendigen“, anschaulich machen sollen: Da ist die Weißrussin, die ihren Bruder durch deutsche Soldaten und ihre Schwester durch russische Partisanen verlor. Oder der Wehrmachtssoldat, der die endlosen Schlangen sowjetischer Kriegsgefangener beschreibt und sich durch ihren Anblick in der rassistischen NS-Propaganda bestätigt sah. Wolfgang Horn von der 10. Panzerdivision: „Die Russen kamen aus dem Wald, und sie waren so feige, daß sie sich hinter das Fahrzeug verdrückten. Sie suchten Deckung, ganz zusammengekrümmt auf dem Boden gekauert, fast bewegungslos. ,Hände hoch!‘, rief ich. Keiner gehorchte. Sie stellten sich tot. Und da haben wir natürlich auf sie geschossen. Unter dem Aufprall der Kugeln zitterten sie etwas.“
Pflichterfüllung, Verantwortlichkeiten leugnen, sich selbst als Opfer des nationalsozialistischen Machtapparates fühlen – von einem inneren Schuldbewusstsein fehlt bei vielen dieser alten Männer noch immer jede Spur.
Doch dies thematisiert die Dokumentation nicht, interessiert sich nicht für die Bedingungen, wie die Trophäenbilder jener Soldaten entstehen konnten, die neben den Massengräbern der Exekutierten lachend in die Kamera schauen. Laurence Rees und sein Team betreiben vielmehr die fernsehspezifische „Banalisierung“ geschichtlicher Ereignisse.
„Hitlers Krieg im Osten“ bemächtigt sich auf vereinfachende und weniger verstörende Weise des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Dazu gehören der personalisierende, auf Hitler und Stalin reduzierende Blickwinkel der Dokumentation, die schicken computererzeugten Grafiken und vielen bunten historischen Bilder, vor allem aber der illustrierende Gebrauch der Interviews: Nie zeigt das Bild mehr als das Gesagte, die Erinnerungen der Zeitzeugen haben sich dem Bild unterzuordnen. Wenn es aus dem Off heißt, die Bevölkerung hätte Stalin vor Kriegsbeginn geliebt, wie Stepan Mikojan, ein Freund der Familie Stalins, behauptet, dann wird ein sowjetischer Propagandafilm von Stalin mit kleinen Kindern als fürsorglicher Landesvater gezeigt. Als ob die Erzählungen nicht ausreichen, um die Zuschauer zu berühren, als würde der Film seinen eigenen „Bildern“ nicht trauen.
Guido Knopp der BBC
Dabei ist Rees auch hier zu Lande kein Unbekannter. Für die BBC hat er unter anderem die TV-Dokumentation „Die Nazis. Eine Warnung der Geschichte“ hergestellt. Für das TV-Magazin „Timewatch“ wurde er mehrfach mit dem Emmy-Award ausgezeichnet. Immer wieder hat sich Rees in seinen Arbeiten mit dem Zweiten Welkrieg auseinander gesetzt. So auch in „A British Betrayal“, einer Reportage über britische Kriegsverbrechen. Bei der BBC, so ist intern zu hören, hat er eine Position wie hier zu Lande Guido Knopp beim ZDF: Wer für die BBC eine zeitgeschichtliche Dokumentation drehen will, kommt an Rees nicht vorbei.
Zeichneten sich Rees’ Filme bisher durch das Fehlen von Spekulation und wohltuende Zurückhaltung aus, gleicht „Hitlers Krieg im Osten“ erstmals einer Produktion aus dem Hause Knopp. So lautet eine der zentralen Thesen: Stalin war vor und nach dem Überfall Deutschlands bereit, mit dem NS-Regime Frieden zu schließen. Tatsächlich fanden Ende 1941 Geheimverhandlungen statt. Ein konspiratives Treffen zwischen einem sowjetischen Geheimdienstoffizier und dem bulgarischen Botschafter, der das Deutsche Reich während des Krieges diplomatisch in Moskau vertrat. Doch Rees räumt selber ein: Ob diese diplomatische Initiative ernst gemeint war oder nur eine Finte, um Zeit für eine militärische Gegenoffensive zu gewinnen, das ist bis heute nicht geklärt.
Von neuem, aufsehenerregendem Material, wie es vollmundig in der Programmankündigung heißt, kann keine Rede sein. Inhaltlich bringt der Film auch nichts Neues. Das Bild von der untadeligen und unpolitischen deutschen Wehrmacht gerät nicht erst durch „Hitlers Krieg im Osten“ ins Wanken. Schließlich zeigt Laurence Rees in seiner Dokumentation auch russische Verbrechen: Grausamkeiten gegen deutsche Kriegsgefangene, gegen ethnische Minderheiten, die im Verdacht standen, mit den Deutschen kollaboriert zu haben, oder brutale Zwangsmaßnahmen gegenüber der eigenen Bevölkerung – bis hin zum Mord. Gleichwohl findet die Ermordung der russischen Juden im ersten Teil der Dokumentation kaum Erwähnung. Teil vier, der die Schlussphase des Krieges beschreibt, versucht das wiedergutzumachen und erwähnt immerhin die Deportation der ungarischen Juden. Weder Stalin noch Hitler, so das Fazit von Rees, war ein Menschenleben etwas wert. Der menschenverachtende Terror eskalierte, Hass, Wut und Rache schaukelten sich gegenseitig hoch.
Die Komplexität des Aufstiegs und des Machterhalts von Nationalsozialismus und Stalinismus bleibt auf die Personen Hitler und Stalin reduziert. Dieser personalisierende, filmische Blick verbindet sich unter der Hand mit der unheilvollen „Logik der Aufhebung“: Die Verbrechen der deutschen Wehrmacht werden mit denen der Sowjets verrechnet.
Hitlers Krieg im Osten, 4-tlg. Doku-Reihe, Teil 1 heute 21.45 Uhr, ARD, danach jeden Donnerstag um 21.45 Uhr
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